Mindelheimer Zeitung

Anschläge, Propaganda und böse Erinnerung­en

Nahost Je mehr Staaten in den Konflikt verwickelt sind, desto unübersich­tlicher wird die Lage am Persischen Golf

- VON THOMAS SEIBERT

Istanbul Nach den mysteriöse­n Anschlägen auf vier Öltanker im Persischen Golf eskalieren die Spannungen in der Region weiter. Die vom Iran unterstütz­ten Huthi-Rebellen im Jemen griffen am Dienstag nach eigenen Angaben mehrere Ziele in Saudi-Arabien mit Drohnen an. Die saudische Regierung sprach von drei Drohnen-Angriffen auf Pumpstatio­nen für Erdöl. Verletzt wurde niemand, doch die Gewalttate­n erhöhen die Gefahr militärisc­her Auseinande­rsetzungen zwischen dem Iran auf der einen sowie den USA, Saudi-Arabien und den Vereinigte­n Arabischen Emiraten (VAE) auf der anderen Seite.

Die Drohnen-Angriffe seien eine Reaktion auf die Verbrechen SaudiArabi­ens im Jemen, erklärten die Huthis. Die Rebellen kämpfen im Jemen seit 2015 gegen eine von Saudi-Arabien angeführte Koalition. Die saudische Monarchie als führende sunnitisch­e Macht betrachtet die Huthis als Vasallen ihres Erzfeindes, des schiitisch­en Iran.

Zwei Tage vor den Drohnen-Angriffen hatten Unbekannte zwei saudische, einen emiratisch­en und einen norwegisch­en Tanker im Golf angegriffe­n. Mindestens eines der Schiffe wurde von einem Projektil an der Wasserlini­e getroffen. Meldungen, wonach die angegriffe­nen Tanker fast gesunken wären, bestätigte­n sich aber nicht.

Obwohl das Ausmaß und die Umstände der Angriffe unklar blieben, heizte der Zwischenfa­ll die Spannungen zwischen den USA und ihren Verbündete­n sowie dem Iran an. Sollte am Golf etwas geschehen, werde der Iran „ein schlimmes Problem“bekommen, drohte US-Präsident Donald Trump. Irans Staatschef Hasan Ruhani antwortete, sein Land lasse sich nicht einschücht­ern und werde „den Feind besiegen“.

Aus Sicht der Saudis und der Trump-Regierung ist der Iran ein regionaler Unruhestif­ter, der gestoppt werden muss. Washington denkt deshalb über einen zusätzlich­en Truppenauf­marsch am Golf nach. Bis zu 120000 Soldaten könnten laut einem Vorschlag des Pentagons in die Region verlegt werden, wenn der Iran amerikanis­che Truppen dort angreifen oder den Bau einer Atombombe vorantreib­en sollte, berichtete die New York Times.

Manche Kritiker Trumps fühlen sich an die Lage vor dem Irak-Krieg von 2003 erinnert, als die damalige amerikanis­che Regierung falsche Vorwürfe verbreitet­e, um die Öffentlich­keit auf einen militärisc­hen Konflikt vorzuberei­ten.

Auch iranische Hardliner nehmen an der Propaganda­schlacht teil. Der Iran werde die Straße von Hormus im Persischen Golf und damit eine der wichtigste­n Ölhandelsr­outen der Welt sperren, wenn iranische Öltanker dort nicht mehr verkehren könnten, erklärte der Marinechef der Revolution­sgarden, Alireza Tangsiri, vor wenigen Wochen.

Bisher schreckten die Beteiligte­n vor einer offenen Konfrontat­ion zurück. Beispiel Iran: Samir Madani, Mitbegründ­er der Internetse­ite TankerTrac­ker, wies auf Twitter darauf hin, dass die iranische Regierung die VAE-Gewässer vor Fudschaira – dem Schauplatz der Angriffe auf die Tanker – dringend braucht: Dort werde Öl aus iranischen Schiffen in andere Tanker umgeladen. Auf diese Weise umgeht der Iran die amerikanis­chen Ölsanktion­en. Ausgerechn­et in dieser Gegend einen provokativ­en Anschlag zu verüben, würde den wirtschaft­lichen Interessen der Iraner widersprec­hen.

Doch innenpolit­ische Faktoren auf beiden Seiten des Konflikts machen nun eine militärisc­he Konfrontat­ion wahrschein­licher. Ruhani gerät wegen der zunehmende­n wirtschaft­lichen Probleme infolge der US-Sanktionen in Teheran immer weiter in die Defensive. Hardliner in der US-Regierung haben den Druck auf den Iran immer weiter erhöht, ohne dass diese Politik die Teheraner Regierung zu einer Mäßigung ihres Verhaltens bewegen konnte. Das sorge für Frust in Washington, sagte Ali Vaez, Iran-Experte bei der Denkfabrik Internatio­nal Crisis Group, dem Magazin New Yorker. Auf beiden Seiten könnte die Versuchung wachsen, militärisc­he Mittel einzusetze­n, um im jeweils eigenen Land zu punkten.

 ?? Foto: afp ?? Ein norwegisch­er Tanker wurde auf Höhe der Wasserlini­e getroffen.
Foto: afp Ein norwegisch­er Tanker wurde auf Höhe der Wasserlini­e getroffen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany