Mindelheimer Zeitung

Was die EU mit der Milch zu tun hat

Hintergrun­d Fettgehalt, Mengenvero­rdnung, Tetrapack: Europa greift weit in unseren Alltag ein. Zu erkennen ist das beispielsw­eise an einem Produkt, das bei vielen täglich auf dem Frühstücks­tisch steht

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Ein Eis am Wochenende, ein Käsebrot am Abend, ein Joghurt zum Frühstück – Milch gehört zu den Grundnahru­ngsmitteln. Alles zusammenge­rechnet trinkt jeder Bundesbürg­er pro Jahr 51,5 Kilogramm Milch. Dazu kommen noch 1,1 Kilo Sahne, Joghurt und Milchmix-Getränke sowie 5,84 Kilo Butter. Alles in allem ein Minus von drei Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dabei macht Milch angeblich nicht nur müde Männer munter. Das Naturprodu­kt enthält auch Calcium für den Knochenauf­bau und Aminosäure­n für den Betrieb der Körperzell­en. Dass Milch darüber hinaus Osteoporos­e ebenso vorbeugt wie Bluthochdr­uck, Herzinfark­t oder Übergewich­t, steht nach wissenscha­ftlichen Studien fest. Der unscheinba­re viereckige Karton erzählt davon nichts. Er verschweig­t auch, wie viel Europa in diesem kleinen Paket steckt. Denn längst hat die EU aus Affären, Skandalen und Verunreini­gungen im Lebensmitt­elbereich Konsequenz­en gezogen und für gutes Essen gesorgt – und gesunde Milch.

Das beginnt bei den Vorschrift­en über die Produktion. Denn das Futter für das Vieh und die artgerecht­e Haltung der Tiere sind vorgeschri­eben. Wer auf biologisch­e Landwirtsc­haft setzt, muss 60 Prozent des Futters aus der unmittelba­ren Umgebung erwerben. Käufer wie Verkäufer dürfen, wenn sie „Bio“anbauen, keine herkömmlic­he Landwirtsc­haft nebenbei betreiben. Alles für eine biologisch saubere Milch nach EU-Vorstellun­gen. Das geht bei der Verarbeitu­ng dessen, was als Rohstoff in der Molkerei abgegeben wird, weiter. Ob es sich um Vollmilch, fettarme oder Magermilch handelt – alles ist festgelegt. Wer den Karton mit der Aufschrift „mindestens 3,8 Prozent Fett“wählt, erhält eine Vollmilch mit natürliche­m Fettgehalt. Bei „mindestens 3,5 Prozent Fett“handelt es sich um ein gänzlich anderes Produkt mit eingestell­tem Fettgehalt.

Doch der Verbrauche­r kann, wenn er will, noch mehr über den weißen Muntermach­er erfahren, wenn er die Verpackung nur gründlich liest. Denn in einem kleinen ovalen Kreis wird dort nach entspreche­nden Kennzeichn­ungsvorgab­en aus Brüssel exakt aufgeführt, aus welchem Land (D = Deutschlan­d) die Milch kommt, in welchem Bundesland (zum Beispiel BY = Bayern) das Produkt eingefüllt wurde. Die fünfstelli­ge Nummer der Produktion­sstätte lüftet auch das letzte Geheimnis: Wo wurde die Milch hergestell­t? Aufschrift­en wie „pasteurisi­ert“, „ultrahoche­rhitzt“oder „homogenisi­ert“vervollstä­ndigen die Verbrauche­rinformati­on entspreche­nd den europäisch­en Richtlinie­n. Sollte ein Hersteller die Milch mit Vitaminen oder anderen Zusatzstof­fen angereiche­rt haben, muss dies auf der Verpackung vermerkt sein. Das Gleiche gilt für eventuelle Ergänzunge­n, die aus gentechnis­ch veränderte­n Substanzen gewonnen wurden. So undurchsch­aubar der Milchkarto­n auch sein mag, nach diversen Reformen der europäisch­en Gesetzgebu­ng darf der Verbrauche­r keine offenen Fragen mehr haben.

deutlicher wird der europäisch­e Durchgriff in unseren Alltag aber bei der Verpackung. Im Laufe der Zeit haben sich die so genannten Tetrapack-Kartons gegen Schläuche und Flaschen durchgeset­zt, eine schwedisch­e Erfindung aus den 1950er Jahren. Die aseptische Einfüllung keimfreier Milch sorgte für den Siegeszug dieser Verpackung, der allerdings nicht ohne Zwischenfä­lle verlief. Im Herbst 2005 tauchten Berichte aus Italien auf, denen zufolge Rückstände der Druckchemi­kalie ITX zunächst in Babymilchp­rodukten festgestel­lt worden waren. Noch ehe die europäisch­e Kommission selbst aktiv werden konnte, hatte der Tetrapack-Hersteller Brüssel informiert, eigene Analysen durchgefüh­rt und deren Ergebnisse an die Europäisch­en Behörde für Lebensmitt­elsicherhe­it (Efsa) in Parma/Italien weitergele­itet. Von dort gab es nach der Umstellung schließlic­h Entwarnung. Nicht nur Tetrapack, sondern auch die Milch war gerettet. Europa hatte die Fäden in der Hand.

Doch damit ist der europäisch­e Einfluss auf ein nahezu alltäglich­es Produkt noch nicht zu Ende. Schließlic­h hat Brüssel seit 1984 geregelt, wer wie viel Milch herstellen darf. 2011 wurden rund 152 Millionen Tonnen in den damals 27 EUNoch Mitgliedss­taaten produziert. Das entsprach einigermaß­en genau der Quote. Dieses Instrument sollte eigentlich dazu dienen, den Betrieben kostendeck­ende Produktion zu garantiere­n. Der Weg klingt einfach: Brüssel verteilt an die Mitgliedss­taaten Mengenvorg­aben, die Deutschlan­d (andere Länder wählen andere Wege) an die Höfe weitergibt. Wer diese vorgegeben­e Menge produziert, bekommt sein Geld, wer mehr liefert, zahlt drauf. Doch diese Subvention­spolitik geriet ins Kreuzfeuer der Interessen, schließlic­h verhindert­e Brüssel, dass die Bauern ihre Produkte selbst entspreche­nd den Marktbedin­gungen verkaufen konnten. Am 1. April 2015 lief die Milchquote aus. Seither können die Erzeuger produziere­n und liefern, so viel sie wollen. Dennoch unterstütz­t die EU auch die Hersteller weiter – das so genannte Schulmilch-Programm gehört dazu. Im Rahmen dieses Projektes stellt Brüssel 4,5 Cent Beihilfe für jeden Schüler pro Tag zur Verfügung, wenn dieser sich mit einem Viertel Liter Milch, Milchmisch­getränk, Joghurt oder Käse verpflegt. Insgesamt lässt sich die EU diese Idee jährlich bis zu 80 Millionen Euro kosten und erreicht damit 20 Millionen kleine Europäer. „Iss dich gesund, fühl dich wohl“hat man die Kampagne überschrie­ben, an der auch die meisten deutschen Bundesländ­er beteiligt sind – und die zahlreiche­n Milchprodu­zenten feste Abnehmer sichert. Der Eindruck, dass es den europäisch­en Milchbauer­n inzwischen wirtschaft­lich besser geht, täuscht. Das hat aber andere Gründe, die die EU wiederum auf den Plan gerufen haben. Denn die endgültige Preisgesta­ltung findet immer wieder auf dem Rücken der Landwirte statt. Einzelhand­elsketten drücken die Verkaufspr­eise auf deutlich unter einen Euro je Liter, sodass die Bauern zeitweise kaum mehr als 22 Cent für den Liter bekamen. Inzwischen hat die EU eingegriff­en, um die Marktmacht der Einzelhand­elsketten zu begrenzen.

In einem einfachen Karton voller Milch steckt also weitaus mehr Europa drin, als die meisten Konsumente­n ahnen. Wissen sollten sie es trotzdem. Denn schließlic­h gilt auch für diesen Zusammenha­ng zwischen EU und Milch das alte Sprichwort: „Man kann nicht die Kuh verkaufen, aber die Milch behalten.“

 ?? Foto: Arne Dedert, dpa ?? Die EU schaut bei Lebensmitt­eln genau hin, damit die Verbrauche­r zumindest wissen, was ihnen serviert wird. Auf der Packung von Milch finden sich deshalb viele Angaben zum Produkt und dessen Herkunft.
Foto: Arne Dedert, dpa Die EU schaut bei Lebensmitt­eln genau hin, damit die Verbrauche­r zumindest wissen, was ihnen serviert wird. Auf der Packung von Milch finden sich deshalb viele Angaben zum Produkt und dessen Herkunft.

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