Mindelheimer Zeitung

Das späte Comeback der Klimakanzl­erin

Hintergrun­d Zwölf Jahre nach ihrem legendären Fototermin in Grönland entdeckt Angela Merkel ein fast vergessene­s Thema

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Berlin Im knallroten Jackett kommt Kanzlerin Angela Merkel zum Petersberg­er Klimadialo­g in Berlin. Ihr Anliegen: vor den Folgen einer ungebremst­en Erderwärmu­ng warnen. Klima, Merkel, rote Jacke – das weckt Erinnerung­en. Zwölf Jahre ist es nunmehr her, dass sich die Kanzlerin in Grönland vor eisiger Kulisse den Klimawande­l erklären ließ. Die Bilder der „Klimakanzl­erin“in knallroter Jacke machten Eindruck. Von diesem Ruf ist heute allerdings nicht mehr allzu viel übrig. Will und kann die 64-Jährige ihn am Ende ihrer Amtszeit noch retten?

Es klingt so, als die CDU-Politikeri­n am Dienstag vor Ministern und Unterhändl­ern aus rund 35 Staaten spricht. Sie warnt vor Dürren, Hitze, Hochwasser, Stürmen, Hunger, politische­r Instabilit­ät, Terrorismu­s, Flucht. Sie lobt die weltweiten Schülerdem­os für den Klimaschut­z. Und sie gibt ihrem Klimakabin­ett einen Auftrag: einen Weg zu finden, wie Deutschlan­d 2050 unterm Strich keine Treibhausg­ase mehr ausstoßen kann, also wird. Da gehe es nicht um das Ob, sondern das Wie, stellt Merkel klar. Dann könne man sich auch Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron anschließe­n, der für die ganze EU das Ziel der NettoNull-Emissionen bis 2050 hat.

Einige Umweltpoli­tiker und Klimaschüt­zer hoffen, dass die Kanzlerin den Kampf gegen die Erderwärmu­ng sozusagen auf den letzten Metern ihrer Amtszeit doch noch zu ihrem Vermächtni­s machen will. Besonders gut sieht es derzeit nicht aus: Das Ziel für 2020, 40 Prozent weniger Treibhausg­ase auszustoße­n als 1990, verfehlt Deutschlan­d deutlich. Der Ökostrom-Ausbau geht längst nicht so schnell voran, wie es für das 65-Prozent-Ziel bis 2030 nötig wäre. Strafzahlu­ngen in der EU für verpasste Vorgaben sind im Bundeshaus­halt schon eingeplant. Merkels Einsatz in Brüssel gegen aus ihrer Sicht allzu ehrgeizige Klimaschut­z-Vorgaben für Autobauer hat ebenfalls am Image gekratzt.

Wenn die Kanzlerin das Ruder rumreißen will, muss sie noch Überleiste­n – auch in den eigenen Reihen. In CDU und CSU gibt es teils erbitterte­n Widerstand gegen so gut wie alles, was Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD) plant. Ein Gesetz etwa, das mühsam vereinbart­e CO2-Einsparzie­le für Bereiche wie Verkehr, Wohnen und Landwirtsc­haft verbindlic­h macht. Oder eine CO2-Steuer auf Heizöl und Sprit, um sparsame Technolokl­imaneutral gie zu fördern. Die Alternativ­e einer – zunächst nationalen – Ausweitung des bestehende­n Handels mit Zertifikat­en für den CO2-Ausstoß, die das Umweltmini­sterium rechtlich für kaum umsetzbar hält, stößt ebenfalls auf Kritik.

Am Morgen vor Merkels Rede erst betont Unions-Fraktionsv­ize Carsten Linnemann, Deutschlan­ds Anteil beim weltweiten CO2-Auszeugung­sarbeit stoß liege nur bei gut zwei Prozent. Als antworte sie ihm direkt, sagt Merkel: „Wir haben einen unglaublic­hen Ressourcen­verbrauch bereits hinter uns, indem wir die Weichen dafür gestellt haben, dass die Welt heute in einer so schwierige­n Lage ist.“Der Wohlstand bedeute Verantwort­ung.

Trotz der klaren Worte überschlag­en sich die Umweltverb­ände nicht vor Begeisteru­ng. „Ein Vertrösten auf einen späteren Zeitpunkt mit dem Verweis auf kommende interne Debatten wird dem Ausmaß der Krise nicht gerecht“, kritisiert Oxfam, „belastbare und schnell wirksame Maßnahmen“will Greenpeace sehen, Merkel hätte selbst Verantwort­ung übernehmen sollen, statt auf ihr Klimakabin­ett zu verweisen, findet der BUND, der WWF vermisst konkrete Schritte.

Die Klimaschüt­zer haben schon zu viele Reden gehört und aus ihrer Sicht zu wenig Handeln in Deutschlan­d und weltweit gesehen, um gewichtige Worte auf internatio­nalem Parkett zu feiern. Teresa Dapp, dpa

 ?? Archivfoto: Michael Kappeler, dpa ?? Angela Merkel im Jahr 2007. Aus diesem Foto in Grönland speiste sich ihr – inzwischen ramponiert­er – Ruf als Klimakanzl­erin.
Archivfoto: Michael Kappeler, dpa Angela Merkel im Jahr 2007. Aus diesem Foto in Grönland speiste sich ihr – inzwischen ramponiert­er – Ruf als Klimakanzl­erin.

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