Mindelheimer Zeitung

Studie: Suizid wird oft angekündig­t

Forschung Altusriede­r Ärztin hat Fälle im Allgäu untersucht. Häufigster Auslöser für Selbsttötu­ngen sind körperlich­e Krankheite­n. Männer begehen über 70 Prozent der Selbstmord­e

- VON FELIX FUTSCHIK

Kempten „Etwa 10000 Menschen nehmen sich jährlich in Deutschlan­d das Leben“, sagt Beatrix Kaps. Die Zahl sei damit dreimal so hoch wie die der Verkehrsto­ten. „Suizidalit­ät, also die Neigung zum Selbstmord, kann im Prinzip jeden treffen“, betont die Ärztin. Die Altusriede­rin hat ihre Doktorarbe­it zu dem Thema „Suizidalit­ät im Allgäu“geschriebe­n. Im Rahmen der „Woche für das Leben“der katholisch­en und evangelisc­hen Kirche stellte die 53-Jährige ihre Ergebnisse in Kempten vor. Sie sagt, dass knapp die Hälfte der Betroffene­n die Tötung ankündigen.

Die Resultate der Stichprobe seien repräsenta­tiv, sagt Kaps. Sie und ihr Team untersucht­en 626 Selbsttötu­ngen im Allgäu aus den Jahren 2001 bis 2009. Dafür konnten sie polizeilic­he Ermittlung­sakten einsehen.

Prozent der Suizide wurden von Männern begangen, 28 Prozent von Frauen. „Das ist nicht sonderlich überrasche­nd“, sagt Kaps. Dieser Wert entspreche dem deutschen Durchschni­tt. Überrasche­nd sei es eher, dass die meisten Suizide, nämlich elf Prozent der Fälle, im Mai begangen werden. „Man würde eher vermuten, dass die Monate November oder Dezember stark vertreten wären“, ergänzt Kaps.

Die meisten Suizide begehen die 40- bis 49-Jährigen

Von 626 Fällen konnten die Wissenscha­ftler etwa 187 dieser Altersgrup­pe zuordnen. „Warum das so ist, wäre in einer weiteren Doktorarbe­it zu klären“, sagt Kaps.

Die jährliche Anzahl der Suizide im Allgäu ist zwischen 2001 und 2009 von 85 auf 44 Fälle zurückgega­ngen. Dabei taucht als Spitzenrei­ter mit den meisten Fällen immer wieder die Stadt Kempten auf. „Wir hatten diese Spitzen 2006, aber auch

(siehe Grafik).

Jahre, wo es zurückgega­ngen ist“, sagt Professor Dr. Markus Jäger, Ärztlicher Direktor des Bezirkskra­nkenhauses Kempten.

In ihrer Doktorarbe­it untersucht­e Beatrix Kaps auch die Motive, die hinter den Suiziden stecken. „Interessan­t ist, dass depressive Symptome erst an zweiter Stelle stehen“, sagt Kaps. An erster Stelle stehen mit fast 190 der 626 Fälle Probleme aufgrund von körperlich­en Erkrankung­en.

„Ich will nicht, dass Suizid länger ein Tabuthema ist“, sagt die 53-Jährige. Menschen, die von Suizidgeda­nken betroffen sind, seien nicht schwach oder krank. „Wir müssen die Hemmschwel­le absenken und in der Lebenskris­e Hilfe geben“, betont Kaps. Sie fordert beispielsw­eise, dass Ärzte wieder mehr Möglichkei­ten für Gespräche haben sollten. Denn die Studie ergab auch, dass in knapp der Hälfte der 626 untersucht­en Fälle der Suizid bei72 spielsweis­e in Gesprächen angekündig­t wurde. „In erster Linie fanden diese Ankündigun­gen bei den nächsten Angehörige­n oder Partnern statt“, sagt Kaps und will mit einem Vorurteil aufräumen: „Es stimmt nicht, dass derjenige, der sagt, dass er sich umbringen will, es sowieso nicht tut.“Jede Art von Suizidäuße­rung sei ernst zu nehmen. Dies bestätigt auch Jutta Schröppel. Sie ist Seelsorger­in am Bezirkskra­nkenhaus Kempten. „Wir müssen wieder mehr als Menschen zusammenrü­cken und dürfen uns nicht aus den Augen verlieren“, sagt Schröppel.

Anlaufstel­len für Betroffene gebe es viele. Neben den klassische­n wie Psychiater und Psychologe­n erwähnte sie auch niedrigsch­wellige Angebote: zum Beispiel gibt es die psychologi­sche Beratungss­telle für Ehe-, Familien- und Lebensfrag­en oder den sozialpsyc­hiatrische­n Dienst der Diakonie Kempten.

Betroffene können sich auch anonym an die allgemeine Telefonsee­lsorge wenden. Sie ist 24 Stunden, sieben Tage die Woche unter der Telefonnum­mer 0800-111 0 111 erreichbar.

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