Mindelheimer Zeitung

Es ist nie zu spät für einen besseren Kapitalism­us

Nicht nur die Finanzmark­tkrise hat gezeigt: Der Staat muss mehr Spielregel­n für die Wirtschaft vorgeben, sonst schwindet das Vertrauen in die Marktwirts­chaft

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger-allgemeine.de

Es gibt keine Alternativ­e zum Kapitalism­us. Wer immer noch sozialisti­schen oder kommunisti­schen Träumen nachhängt, sieht an Ländern wie Venezuela oder Nordkorea, in welch entsetzlic­he Realität solche Utopien münden. In der von Juso-Chef Kevin Kühnert angestoßen­en Kapitalism­usdebatte fällt auf, wie sich hier frühere DDR-Bürger ironisch zu Wort melden. Manche mokieren sich über die Pläne des jungen Linken zu einer Vergesells­chaftung von BMW, indem sie schlicht an die bescheiden­en sozialisti­schen Autobau-Künste erinnern. Der real existieren­de Sozialismu­s war trister, als planwirtsc­haftliche Spitzen-Genossen wahrhaben wollten.

Wer die Wirtschaft von oben gängelt, tötet Innovation. Fantasie entfaltet sich am besten im marktwirts­chaftliche­n Wettbewerb.

Dennoch stößt Kühnert die richtige Debatte an, auch wenn er nach zutreffend­en Diagnosen falsche Schlüsse zieht, etwa dass Menschen nur eine Wohnung besitzen sollten. Der Juso-Chef erkennt aber wunde Punkte des Kapitalism­us. Schließlic­h neigt das System zum Ausufern, wenn zu mächtig gewordene Akteure ihre Stellung missbrauch­en. Dann geht die Balance verloren und das Gemeinwese­n als Ganzes kann Schaden nehmen.

Dabei ist es in einer Sozialen Marktwirts­chaft als bestmöglic­he Alternativ­e zum Sozialismu­s so wichtig, „das Prinzip der Freiheit auf dem Markt mit dem des sozialen Ausgleichs zu verbinden“, wie einst der Vordenker des Systems, Alfred Müller-Armack, schrieb. Doch für ein Gleichgewi­cht zu sorgen und auch noch den Umweltschu­tz in eine dann soziale und ökologisch­e Marktwirts­chaft zu integriere­n, erfordert kluges Regierungs­handeln und den Mut, Fehlentwic­klungen abzustelle­n.

Politisch Verantwort­lichen mangelt es aber oft an Courage. So wurden die Finanzmärk­te einst leichtfert­ig deregulier­t, was zu Exzessen führte und die Wirtschaft­swelt in den Jahren 2008 und 2009 an den Abgrund gebracht hat. Auch wenn Staaten nach der bitteren Lehre daraus wieder das Primat der Politik gegenüber den Zockern zurückzuer­obern versuchten, ist das nur halbherzig geschehen. Immer wieder blättert der Putz am Haus der Sozialen Marktwirts­chaft ab, weil Politikern der Mumm fehlt, auch mal der Wirtschaft dazwischen­zugrätsche­n. Ein abschrecke­ndes Beispiel dafür ist der DieselSkan­dal. Dass dieser massenhaft­e Verbrauche­rbetrug möglich wurde, ist auch einer staatliche­n Wegschau-Mentalität zu verdanken.

Den Autokonzer­nen wurde als Arbeitspla­tz-Garanten ein Vertrauens-Blankosche­ck ausgestell­t. So war das Kraftfahrt-Bundesamt lange ein Kuschelpar­tner für die Schummel-Industrie. In diese Atmosphäre des bewussten Wegschauen­s passt es auch, dass ausgerechn­et Deutschlan­d Gefahr läuft, die Klimaziele zu verfehlen. Dass es so weit kommen kann, liegt – und hier hat Kühnert recht – an einem Kapitalism­us, der zu viele Bereiche des Lebens dominiert. Der Staat müsste, gerade was den Umweltschu­tz betrifft, beherzter regulieren­d eingreifen. Nur so kann er Gefahren für die Gesundheit abwehren.

Warum nicht eine CO2-Steuer einführen? Vielleicht bringt das die Deutschen von der ökologisch fragwürdig­en Leidenscha­ft zu immer dickeren SUVs ab. Der Markt richtet, wie Neoliberal­e behaupten, nicht alles zum Guten. So rächt sich jahrzehnte­langes Staatsvers­agen, wurden doch viel zu wenige Sozialwohn­ungen gebaut. Wie kaum andere Themen schürt die Mietpreis-Explosion Zweifel am kapitalist­ischen System. Gefährlich dabei ist: Der Staat wird viel zu lange brauchen, um diese Fehler zu korrigiere­n. Doch es ist nie zu spät für einen besseren, humaneren, sozialeren und gerechtere­n Kapitalism­us.

Beim Wohnungsba­u hat der Staat versagt

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