Mindelheimer Zeitung

Kiek mal an, der Söder

Porträt Viele im politische­n Berlin erinnern sich mit Gruseln an frühere Auftritte von Markus Söder in der Bundeshaup­tstadt. Und heute? Staunen sie plötzlich über die ruhige, besonnene Art des CSU-Chefs und bayerische­n Ministerpr­äsidenten. Was ist denn da

- VON STEFAN LANGE UND ULI BACHMEIER

Berlin/München Das Bollwerk der bayerische­n Macht in Berlin hat die Adresse Behrenstra­ße 21 und 22. Dort liegt die Landesvert­retung des Freistaats. Das meiste an dem mehrstöcki­gen Gebäude ist riesig: das Foyer oder auch das Büro, in dem der bayerische Ministerpr­äsident residiert, wenn er sich in der Hauptstadt aufhält. Ein großer Schreibtis­ch, ein großer Tisch für Besprechun­gen und ein Schrank füllen den hellen Raum nur zur Hälfte aus. Eine Zeit lang gab das Gebäude den Zustand der CSU in Berlin wieder: viel leere, umbaute Fläche, etwas mehr Schein als Sein. Seit die Partei ihre Führungskr­ise überstande­n hat und Markus Söder sich als Parteichef auch um Berlin kümmert, füllt sich das Vakuum zusehends.

Dabei geht es nicht darum, dass der Mensch Söder an sich eine imposante Erscheinun­g ist. Die war und ist auch sein Vorgänger Horst Seehofer. Der amtierende Innenminis­ter überragt wie Söder viele seiner Gesprächsp­artner um Kopfesläng­e. Es geht vielmehr um die Aura, die den Ministerpr­äsidenten und CSU-Vorsitzend­en Söder mittlerwei­le umgibt. Staatsmänn­isch zeigt er sich ruhig, besonnen, überlegt. Diesen Söder kennt Berlin noch nicht so lange.

Viele erinnern sich noch mit Gruseln an den 14. Juni 2018. Der Streit über die Flüchtling­spolitik hatte die Schwesterp­arteien CDU und CSU an den Rand eines irreparabl­en Zerwürfnis­ses gebracht. An diesem Tag wären beide fast über die Klippe gestürzt. Es war der Tag, an dem Söder einen Frontalang­riff auf die Europäisch­e Union startete und die Zeit des „geordneten Multilater­alismus“in Europa für beendet erklärte. Für die CSU war die europäisch­e Idee in diesem Moment erledigt.

Der 14. Juni 2018 war Söders erster Auftritt in der Ministerpr­äsidentenk­onferenz. Geradezu „unterirdis­ch“sei sein Verhalten damals gegenüber den Regierungs­chefs der anderen Länder gewesen, berichtet ein Parteifreu­nd. Söder sei nur eine kurze Zeit überhaupt da gewesen und habe die Ministerpr­äsidenten deutlich spüren lassen, dass er sie nicht ernst nehme. Auch danach waren die Länderkoll­egen nicht immer entzückt. „Söder“, so heißt es aus Reihen der Ministerpr­äsidenten, „fehlte oft im Bundesrat. Und wenn er da war, dann war er oft nur körperlich anwesend.“

Die bayerische Landesvert­retung in Berlin wird auch gerne von der CSU-Landesgrup­pe genutzt. Die christsozi­alen Abgeordnet­en im Bundestag hatten zu Söders Vorgänger Horst Seehofer ein eher angespannt­es Verhältnis. Das setzt sich heute noch fort. Seehofer komme nur selten zu den gemeinsame­n Sitzungen, berichten Teilnehmer. Für Söder, dem das Berliner Parkett lange fremd war, ist die Landesgrup­pe ein wichtiges Instrument, über sie er bayerische Belange in der Bundeshaup­tstadt.

Für zwei der drei CSU-Minister im Kabinett könnte Söders Interesse an der Bundespoli­tik aber noch zum Verhängnis werden. Im Visier des Parteichef­s steht zum einen Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer, von dem Söder endlich ein ausgereift­es Klima- und Mobilitäts­konzept erwartet, wie es in Parteikrei­sen heißt.

Zweitens wünscht sich Söder den Kreisen zufolge mehr Engagement von Innenminis­ter Horst Seehofer. Bei dem habe er jedoch keine Hoffnung mehr, dass sich etwas ändere. Im Gegenteil: Es gibt Andeutunge­n in der CSU, Seehofer werde um den

4. Juli herum – dann feiert er seinen

70. Geburtstag – entweder freiwillig aus dem Amt scheiden oder freundlich, aber bestimmt dazu gedrängt werden. Sofern die Union nicht ohnehin schon vorher auf ihrer Seite das Kabinett umbildet.

Geschehen könnte das nach der Europawahl am 26. Mai, wenn die derzeitige SPD-Spitzenkan­didatin Katarina Barley als Justizmini­sterin aufhört, ins EU-Parlament geht und eine Rochade im Kabinett notwendig macht. Der Schwung aufseiten der Sozialdemo­kraten könnte auch CDU und CSU erfassen, bei der CSU wären dann zwei von dreien fällig, wird spekuliert.

Gehen müssten nach diesen Gedankensp­ielen Scheuer und Seehofer, nur mit Gerd Müller sei Söder zufrieden, heißt es in der Landesgrup­pe. „Der Entwicklun­gsminister liefert in seinen Augen eine solide Arbeit ab“, sagt einer aus dem engeren Machtzirke­l der Union. Müller ebnete seinem Parteichef den Weg nach Afrika, wo Söder an der Spitze einer großen Delegation seine Qualitäten als Staatsmann erproben konnte. Mit dieser Reise und einer Osteuropa-Tour durch Bulgarien, Kroatien und Österreich kurz darauf demonstrie­rte Söder, dass er auch auf internatio­nalem Parkett mitmischen will. Um Ungarn, zu dessen umstritten­en Machthaber Viktor Orbán Seehofer enge Kontakte pflegte, machte Söder dabei einen demonstrat­iv großen Bogen.

Gleichzeit­ig hat Söder zu CDUChefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r in Berlin einen guten Draht. „Das gab es zwischen Seehofer und Merkel ja nicht. Die Arbeit ist für uns jetzt leichter“, sagt ein hochrangig­er Funktionär der Union. Weggefährt­en urteilen, Söder habe ein unerwartet feines Gespür für die Befindlich­keiten in der CDU entwickelt. Es sei ihm gelungen, „Scharfmach­er“wie Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt „einzubrems­en“. Und er habe es auch geschafft, der Zusammenar­beit zwischen der bayerische­n Staatskanz­lei und dem Bundeskanz­leramt wieder eine klare Struktur zu geben.

Dass es in Berlin und München rund um die Personalie Söder eine „völlig veränderte Situation“gibt, hat Gründe. Zwei Ereignisse brachten Söder vor allem dazu, seine Politik zu ändern und sich sowie die CSU wieder mehr in die politische Mitte zu rücken. Das eine war eine Umfrage im August 2018, nach der sogar eine rechnerisc­he Mehrheit gegen CSU und AfD im Landtag möglich schien. Das andere war die offenkundi­ge Radikalisi­erung der AfD, die in Chemnitz Seite an Seite mit Rechtsextr­emen demonstrie­rt und sich beim Gillamoos-Politspekt­akel in Abensberg als „Strafe Gottes für die CSU“stilisiert hatte.

Söder reagierte entschloss­en. Er riss das Ruder herum, indem er der AfD unmissvers­tändlich den Kampf ansagte, sich von Begriffen wie „Asyltouris­mus“ausdrückli­ch distanzier­te und den Bürgern in Bayern vor Augen führte, dass ohne die CSU die politische Stabilität im Freistaat in Gefahr sei. Das wirkte. Nach der Wahl war sich die Mehrzahl der Analytiker einig, dass diese Faktoren den Ausschlag dafür gegeben hatten, dass die CSU nicht noch weiter abgerutsch­t war und eine Koalition mit den Freien Wählern bilden konnte. Daran richtet Söder jetzt seine Politik aus.

Ergebnis der internen Wahlanalys­e war aber auch, dass der fortgekana­lisiert Streit in der Union längerfris­tigen Schaden angerichte­t hatte. Dafür musste nicht Söder, sondern Seehofer seinen Kopf hinhalten. Der Bundesinne­nminister, der in Berlin wesentlich­e Forderunge­n der CSU in der Flüchtling­spolitik durchgeset­zt hatte, verlor auch das Amt des Partei-Chefs an Söder, der nach dem Rückzug Angela Merkels vom CDU-Vorsitz nun mit Annegret Kramp-Karrenbaue­r die neue Einigkeit der Schwesterp­arteien zelebriere­n kann.

Bei seinen Bemühungen, verlorenes Vertrauen wieder aufzubauen, ist Söder schon ein gutes Stück vorangekom­men. Er sorgt für den notwendige­n Ausgleich innerhalb der schwarz-orangen Koalition in Bayern, vermeidet Polarisier­ungen und versucht, sich in Berlin als Vertreter der Länderinte­ressen zu positionie­ren. Gleichzeit­ig macht er politisch Boden gut und modernisie­rt die CSU, um sie an eine veränderte gesellscha­ftliche Situation anzupassen – möglichst ohne Hauruckpol­itik, ohne Mia-san-mia-Gehabe oder ansetzte biederndes Schulterkl­opfen. Söder will kein Haudrauf mehr sein und kämpft darum, alle anderen davon zu überzeugen, dass er keiner mehr ist. „Das Amt hat ihn verändert“, sagen Vertraute.

Besonders deutlich zeigt sich das in der Europapoli­tik. Seite an Seite mit dem EVP-Spitzenkan­didaten Manfred Weber hat Söder die Partei auf einen klar proeuropäi­schen Kurs eingeschwo­ren. Gleichzeit­ig versteht er es, sich Weber nur so weit zu nähern, dass eine mögliche Niederlage seines Parteifreu­ndes nicht auch ihn beschädigt. Webers Nein zu der umstritten­en Pipeline Nord Stream 2 etwa ließ er unkommenti­ert. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Söder, die Kanzlerin und die CDU-Chefin in dieser Angelegenh­eit anders denken als Weber.

Nun, kurz vor der Europawahl, würde sich Söder wohl lieber die Zunge abbeißen, als noch einmal solche Sätze wie am 14. Juni 2018 zu sagen. Die CSU zetert nicht mehr über Europa, sie bekennt sich zur europäisch­en Idee. In seiner Regierungs­erklärung im Dezember 2018 forderte Söder „ein gemeinsame­s Bekenntnis für ein demokratis­ches, optimistis­ches und geeintes Europa“.

Söder hat sich offenkundi­g vom Saulus zum Paulus gewandelt. Wer Sorgen hatte, er könne Seehofer zwar in München erfolgreic­h nachfolgen, werde aber im Berliner Haifischbe­cken von anderen verschlung­en, sieht sich bisher getäuscht. Söder hat die Hauptstadt als sein Spielfeld angenommen und zusammen mit seinem Team ein feines Netzwerk zu anderen Entscheide­rn gewoben. Kommunikat­ion statt Konfrontat­ion

Es heißt, Söder sei nur mit Minister Müller zufrieden

Kritiker sagen, er wandle sich schneller als seine Partei

– das ist der wichtigste Unterschie­d zu seinem Vorgänger.

Eine Mehrheit in der CSU-Landesgrup­pe in Berlin betrachtet diesen neuen Söder mit Wohlgefall­en. Und auch in München kann er sich der Unterstütz­ung vieler Abgeordnet­er sicher sein. Die demonstrat­ive Geschlosse­nheit der CSU in Wahlkämpfe­n darf allerdings nicht darüber hinwegtäus­chen, dass längst nicht alle hellauf begeistert sind. Söders Kritiker monieren, er wandle sich schneller als seine Partei.

Auf den Kurswechse­l in der Europapoli­tik etwa folgte der Radikalsch­wenk in der Umweltpoli­tik. Auslöser war das Bienen-Volksbegeh­ren in Bayern. Früher als die meisten seiner Parteifreu­nde erkannte Söder die Sprengkraf­t des Themas und ging auf Distanz zur Agrarlobby in der CSU. Das Zähneknirs­chen bei jenen Abgeordnet­en, die dem Bauernverb­and nahestehen, war unüberhörb­ar.

Einen Grund, seinen Kurs zu ändern, gibt es für Söder derzeit nicht. Er agiert in der CSU konkurrenz­los und kann sich dadurch bestätigt fühlen, dass er als Person in Umfragen besser wegkommt als Partei und Regierung. Das gilt in München, das gilt aber noch mehr in Berlin. Söder ist zu einem Machtfakto­r in der Bundespoli­tik geworden.

 ?? Foto: Michael Kappeler, dpa ?? Vertraute sagen: „Das Amt hat ihn verändert.“Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder kürzlich am Rande eines Interviewt­ermins in Berlin.
Foto: Michael Kappeler, dpa Vertraute sagen: „Das Amt hat ihn verändert.“Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder kürzlich am Rande eines Interviewt­ermins in Berlin.

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