Kiek mal an, der Söder
Porträt Viele im politischen Berlin erinnern sich mit Gruseln an frühere Auftritte von Markus Söder in der Bundeshauptstadt. Und heute? Staunen sie plötzlich über die ruhige, besonnene Art des CSU-Chefs und bayerischen Ministerpräsidenten. Was ist denn da
Berlin/München Das Bollwerk der bayerischen Macht in Berlin hat die Adresse Behrenstraße 21 und 22. Dort liegt die Landesvertretung des Freistaats. Das meiste an dem mehrstöckigen Gebäude ist riesig: das Foyer oder auch das Büro, in dem der bayerische Ministerpräsident residiert, wenn er sich in der Hauptstadt aufhält. Ein großer Schreibtisch, ein großer Tisch für Besprechungen und ein Schrank füllen den hellen Raum nur zur Hälfte aus. Eine Zeit lang gab das Gebäude den Zustand der CSU in Berlin wieder: viel leere, umbaute Fläche, etwas mehr Schein als Sein. Seit die Partei ihre Führungskrise überstanden hat und Markus Söder sich als Parteichef auch um Berlin kümmert, füllt sich das Vakuum zusehends.
Dabei geht es nicht darum, dass der Mensch Söder an sich eine imposante Erscheinung ist. Die war und ist auch sein Vorgänger Horst Seehofer. Der amtierende Innenminister überragt wie Söder viele seiner Gesprächspartner um Kopfeslänge. Es geht vielmehr um die Aura, die den Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Söder mittlerweile umgibt. Staatsmännisch zeigt er sich ruhig, besonnen, überlegt. Diesen Söder kennt Berlin noch nicht so lange.
Viele erinnern sich noch mit Gruseln an den 14. Juni 2018. Der Streit über die Flüchtlingspolitik hatte die Schwesterparteien CDU und CSU an den Rand eines irreparablen Zerwürfnisses gebracht. An diesem Tag wären beide fast über die Klippe gestürzt. Es war der Tag, an dem Söder einen Frontalangriff auf die Europäische Union startete und die Zeit des „geordneten Multilateralismus“in Europa für beendet erklärte. Für die CSU war die europäische Idee in diesem Moment erledigt.
Der 14. Juni 2018 war Söders erster Auftritt in der Ministerpräsidentenkonferenz. Geradezu „unterirdisch“sei sein Verhalten damals gegenüber den Regierungschefs der anderen Länder gewesen, berichtet ein Parteifreund. Söder sei nur eine kurze Zeit überhaupt da gewesen und habe die Ministerpräsidenten deutlich spüren lassen, dass er sie nicht ernst nehme. Auch danach waren die Länderkollegen nicht immer entzückt. „Söder“, so heißt es aus Reihen der Ministerpräsidenten, „fehlte oft im Bundesrat. Und wenn er da war, dann war er oft nur körperlich anwesend.“
Die bayerische Landesvertretung in Berlin wird auch gerne von der CSU-Landesgruppe genutzt. Die christsozialen Abgeordneten im Bundestag hatten zu Söders Vorgänger Horst Seehofer ein eher angespanntes Verhältnis. Das setzt sich heute noch fort. Seehofer komme nur selten zu den gemeinsamen Sitzungen, berichten Teilnehmer. Für Söder, dem das Berliner Parkett lange fremd war, ist die Landesgruppe ein wichtiges Instrument, über sie er bayerische Belange in der Bundeshauptstadt.
Für zwei der drei CSU-Minister im Kabinett könnte Söders Interesse an der Bundespolitik aber noch zum Verhängnis werden. Im Visier des Parteichefs steht zum einen Verkehrsminister Andreas Scheuer, von dem Söder endlich ein ausgereiftes Klima- und Mobilitätskonzept erwartet, wie es in Parteikreisen heißt.
Zweitens wünscht sich Söder den Kreisen zufolge mehr Engagement von Innenminister Horst Seehofer. Bei dem habe er jedoch keine Hoffnung mehr, dass sich etwas ändere. Im Gegenteil: Es gibt Andeutungen in der CSU, Seehofer werde um den
4. Juli herum – dann feiert er seinen
70. Geburtstag – entweder freiwillig aus dem Amt scheiden oder freundlich, aber bestimmt dazu gedrängt werden. Sofern die Union nicht ohnehin schon vorher auf ihrer Seite das Kabinett umbildet.
Geschehen könnte das nach der Europawahl am 26. Mai, wenn die derzeitige SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley als Justizministerin aufhört, ins EU-Parlament geht und eine Rochade im Kabinett notwendig macht. Der Schwung aufseiten der Sozialdemokraten könnte auch CDU und CSU erfassen, bei der CSU wären dann zwei von dreien fällig, wird spekuliert.
Gehen müssten nach diesen Gedankenspielen Scheuer und Seehofer, nur mit Gerd Müller sei Söder zufrieden, heißt es in der Landesgruppe. „Der Entwicklungsminister liefert in seinen Augen eine solide Arbeit ab“, sagt einer aus dem engeren Machtzirkel der Union. Müller ebnete seinem Parteichef den Weg nach Afrika, wo Söder an der Spitze einer großen Delegation seine Qualitäten als Staatsmann erproben konnte. Mit dieser Reise und einer Osteuropa-Tour durch Bulgarien, Kroatien und Österreich kurz darauf demonstrierte Söder, dass er auch auf internationalem Parkett mitmischen will. Um Ungarn, zu dessen umstrittenen Machthaber Viktor Orbán Seehofer enge Kontakte pflegte, machte Söder dabei einen demonstrativ großen Bogen.
Gleichzeitig hat Söder zu CDUChefin Annegret Kramp-Karrenbauer in Berlin einen guten Draht. „Das gab es zwischen Seehofer und Merkel ja nicht. Die Arbeit ist für uns jetzt leichter“, sagt ein hochrangiger Funktionär der Union. Weggefährten urteilen, Söder habe ein unerwartet feines Gespür für die Befindlichkeiten in der CDU entwickelt. Es sei ihm gelungen, „Scharfmacher“wie Landesgruppenchef Alexander Dobrindt „einzubremsen“. Und er habe es auch geschafft, der Zusammenarbeit zwischen der bayerischen Staatskanzlei und dem Bundeskanzleramt wieder eine klare Struktur zu geben.
Dass es in Berlin und München rund um die Personalie Söder eine „völlig veränderte Situation“gibt, hat Gründe. Zwei Ereignisse brachten Söder vor allem dazu, seine Politik zu ändern und sich sowie die CSU wieder mehr in die politische Mitte zu rücken. Das eine war eine Umfrage im August 2018, nach der sogar eine rechnerische Mehrheit gegen CSU und AfD im Landtag möglich schien. Das andere war die offenkundige Radikalisierung der AfD, die in Chemnitz Seite an Seite mit Rechtsextremen demonstriert und sich beim Gillamoos-Politspektakel in Abensberg als „Strafe Gottes für die CSU“stilisiert hatte.
Söder reagierte entschlossen. Er riss das Ruder herum, indem er der AfD unmissverständlich den Kampf ansagte, sich von Begriffen wie „Asyltourismus“ausdrücklich distanzierte und den Bürgern in Bayern vor Augen führte, dass ohne die CSU die politische Stabilität im Freistaat in Gefahr sei. Das wirkte. Nach der Wahl war sich die Mehrzahl der Analytiker einig, dass diese Faktoren den Ausschlag dafür gegeben hatten, dass die CSU nicht noch weiter abgerutscht war und eine Koalition mit den Freien Wählern bilden konnte. Daran richtet Söder jetzt seine Politik aus.
Ergebnis der internen Wahlanalyse war aber auch, dass der fortgekanalisiert Streit in der Union längerfristigen Schaden angerichtet hatte. Dafür musste nicht Söder, sondern Seehofer seinen Kopf hinhalten. Der Bundesinnenminister, der in Berlin wesentliche Forderungen der CSU in der Flüchtlingspolitik durchgesetzt hatte, verlor auch das Amt des Partei-Chefs an Söder, der nach dem Rückzug Angela Merkels vom CDU-Vorsitz nun mit Annegret Kramp-Karrenbauer die neue Einigkeit der Schwesterparteien zelebrieren kann.
Bei seinen Bemühungen, verlorenes Vertrauen wieder aufzubauen, ist Söder schon ein gutes Stück vorangekommen. Er sorgt für den notwendigen Ausgleich innerhalb der schwarz-orangen Koalition in Bayern, vermeidet Polarisierungen und versucht, sich in Berlin als Vertreter der Länderinteressen zu positionieren. Gleichzeitig macht er politisch Boden gut und modernisiert die CSU, um sie an eine veränderte gesellschaftliche Situation anzupassen – möglichst ohne Hauruckpolitik, ohne Mia-san-mia-Gehabe oder ansetzte biederndes Schulterklopfen. Söder will kein Haudrauf mehr sein und kämpft darum, alle anderen davon zu überzeugen, dass er keiner mehr ist. „Das Amt hat ihn verändert“, sagen Vertraute.
Besonders deutlich zeigt sich das in der Europapolitik. Seite an Seite mit dem EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber hat Söder die Partei auf einen klar proeuropäischen Kurs eingeschworen. Gleichzeitig versteht er es, sich Weber nur so weit zu nähern, dass eine mögliche Niederlage seines Parteifreundes nicht auch ihn beschädigt. Webers Nein zu der umstrittenen Pipeline Nord Stream 2 etwa ließ er unkommentiert. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Söder, die Kanzlerin und die CDU-Chefin in dieser Angelegenheit anders denken als Weber.
Nun, kurz vor der Europawahl, würde sich Söder wohl lieber die Zunge abbeißen, als noch einmal solche Sätze wie am 14. Juni 2018 zu sagen. Die CSU zetert nicht mehr über Europa, sie bekennt sich zur europäischen Idee. In seiner Regierungserklärung im Dezember 2018 forderte Söder „ein gemeinsames Bekenntnis für ein demokratisches, optimistisches und geeintes Europa“.
Söder hat sich offenkundig vom Saulus zum Paulus gewandelt. Wer Sorgen hatte, er könne Seehofer zwar in München erfolgreich nachfolgen, werde aber im Berliner Haifischbecken von anderen verschlungen, sieht sich bisher getäuscht. Söder hat die Hauptstadt als sein Spielfeld angenommen und zusammen mit seinem Team ein feines Netzwerk zu anderen Entscheidern gewoben. Kommunikation statt Konfrontation
Es heißt, Söder sei nur mit Minister Müller zufrieden
Kritiker sagen, er wandle sich schneller als seine Partei
– das ist der wichtigste Unterschied zu seinem Vorgänger.
Eine Mehrheit in der CSU-Landesgruppe in Berlin betrachtet diesen neuen Söder mit Wohlgefallen. Und auch in München kann er sich der Unterstützung vieler Abgeordneter sicher sein. Die demonstrative Geschlossenheit der CSU in Wahlkämpfen darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass längst nicht alle hellauf begeistert sind. Söders Kritiker monieren, er wandle sich schneller als seine Partei.
Auf den Kurswechsel in der Europapolitik etwa folgte der Radikalschwenk in der Umweltpolitik. Auslöser war das Bienen-Volksbegehren in Bayern. Früher als die meisten seiner Parteifreunde erkannte Söder die Sprengkraft des Themas und ging auf Distanz zur Agrarlobby in der CSU. Das Zähneknirschen bei jenen Abgeordneten, die dem Bauernverband nahestehen, war unüberhörbar.
Einen Grund, seinen Kurs zu ändern, gibt es für Söder derzeit nicht. Er agiert in der CSU konkurrenzlos und kann sich dadurch bestätigt fühlen, dass er als Person in Umfragen besser wegkommt als Partei und Regierung. Das gilt in München, das gilt aber noch mehr in Berlin. Söder ist zu einem Machtfaktor in der Bundespolitik geworden.