Eine Koalition im Leerlauf
Analyse Union und SPD beraten bei ihrem Spitzentreffen im Kanzleramt nur Selbstverständlichkeiten. Von den heißen Eisen lassen sie die Finger. Vor lauter Angst fördert die GroKo damit die Politikverdrossenheit
Zeichen sind nicht alles, aber manchmal helfen sie bei der Deutung des Politikbetriebs in der Hauptstadt. Ein solches Zeichen setzte am Dienstag Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin trat morgens beim Petersberger Klimadialog, also auf einem eigentlich schwierigen Terrain, völlig befreit auf. Merkels Schwung rührte wohl daher, dass sie mit dem abends anstehenden Termin – nämlich dem Koalitionsausschuss von Union und SPD – nicht mehr so viel zu tun haben würde wie in der Vergangenheit. Der ist auch immer irgendwie Sache der Regierungschefin, vor allem aber eine der Parteivorsitzenden. Und da kann Merkel gerade zuschauen, wie Annegret KrampKarrenbauer
für die CDU, Markus Söder für die CSU und Andrea Nahles für die SPD die Sache ziemlich vergeigen und jedenfalls keineswegs den Eindruck hinterlassen, sie könnten es besser als Merkel.
Schon vor dem abendlichen Treffen im Kanzleramt hatten Spitzenpolitiker von Union und SPD vor zu hohen Erwartungen gewarnt. Auch dieses Vorgehen ist ein Zeichen, nämlich eines dafür, dass bei der Runde später nichts Nennenswertes herauskommen wird. So war es dann auch.
„Die Koalition hat sich über die aktuelle Situation im Nahen und Mittleren Osten ausgetauscht und setzt sich gemeinsam entschieden dafür ein, dass der Iran-Konflikt trotz gravierender Differenzen unter den Konfliktparteien friedlich und diplomatisch gelöst wird“, hieß es am späten Abend nach dem Treffen. Wobei sich der wachsame Bürger natürlich sofort fragt, ob Union und SPD jemals ernsthaft das Gegenteil einer „friedlichen und diplomatischen“Lösung erwogen haben. Denn die bedeutet bekanntlich Krieg.
Überflüssig war auch die Mitteilung der Koalition, man werde „zwei Gesetze auf den Weg“bringen, noch dazu „parallel“. So soll die Nachunternehmerhaftung für bessere Arbeitsbedingungen in der Paketbranche sorgen. Dessen hätte es aber keiner besonderen Erwähnung bedurft, denn der Schutz von Arbeitnehmern zählt zu den ureigenen Aufgaben der Legislative. Ebenso peinlich ist da der Verweis auf Gesetz Nummer zwei, das Bürokratie-Entlastungsgesetz (BEG III). Der Bürokratieentlastung reden die Parteien schon seit Jahren das Wort, das BEG III ist nur der Nachfolger des 2017 beschlossenen BEG II und noch nicht mal in trockenen Tüchern.
Dabei hätten Union und SPD bei ihren rund vierstündigen Beratungen durchaus wirkliche Zeichen setzen können. Zum Beispiel im Streit über die Ausgestaltung der Grundrente, die die SPD ohne Bedürftigkeitsprüfung auszahlen will, während die Union das ablehnt. Im Koalitionsausschuss war die Grundrente aber gar kein Thema.
Ein zweiter wichtiger Punkt, der auch bald mal geregelt werden müsste, beim Ausschuss aber ebenfalls keine Rolle spielte, ist der Solidaritätsbeitrag. Die Union will ihn komplett abschaffen, die SPD nur für 90 Prozent der Bevölkerung.
Den zentralsten Streitpunkt ließ der Koalitionsausschuss ebenfalls links liegen: die Grundsteuer. Hier sind die Fronten zwischen Union und SPD massiv verhärtet. CDU und CSU wollen Öffnungsklauseln für Länder und Kommunen, die Sozialdemokraten lehnen das ab. Der schon seit Monaten schwelende Streit verhöhnt nicht nur die Interessen der Bürgerinnen und Bürger, er missachtet auch das Bundesverfassungsgericht.
AKK, Söder und Nahles machen es nicht besser
Die Grundsteuer wird einfach ausgeblendet
Denn Karlsruhe ordnete bereits vor einem Jahr eine Reform der Grundsteuer an. Jetzt drängt die Zeit, denn bis Ende des Jahres muss laut Gerichtsurteil eine Neuregelung her. Ohne Reform verfallen die derzeit geltenden Vorgaben. Dem Staat würden Milliarden Euro an Steuereinnahmen entgehen.
Ihre mit Händen zu greifende Handlungsunfähigkeit in diesem Koalitionsausschuss begründeten Union und SPD auch mit dem Hinweis auf die Europawahl am 26. Mai. Vorher wolle man keine Pflöcke einschlagen, um nicht womöglich auf den letzten Metern noch Wähler zu verschrecken. Das Gegenteil jedoch ist der Fall. Wer Koalitionsausschüsse wie den am Dienstagabend veranstaltet und anschließend Selbstverständlichkeiten als Erfolg verkauft, der nimmt die Bürger nicht ernst und mehrt die Politikverdrossenheit.