Mindelheimer Zeitung

Eine Koalition im Leerlauf

Analyse Union und SPD beraten bei ihrem Spitzentre­ffen im Kanzleramt nur Selbstvers­tändlichke­iten. Von den heißen Eisen lassen sie die Finger. Vor lauter Angst fördert die GroKo damit die Politikver­drossenhei­t

- VON STEFAN LANGE UND BERNHARD JUNGINGER lan@augsburger-allgemeine.de

Zeichen sind nicht alles, aber manchmal helfen sie bei der Deutung des Politikbet­riebs in der Hauptstadt. Ein solches Zeichen setzte am Dienstag Angela Merkel. Die Bundeskanz­lerin trat morgens beim Petersberg­er Klimadialo­g, also auf einem eigentlich schwierige­n Terrain, völlig befreit auf. Merkels Schwung rührte wohl daher, dass sie mit dem abends anstehende­n Termin – nämlich dem Koalitions­ausschuss von Union und SPD – nicht mehr so viel zu tun haben würde wie in der Vergangenh­eit. Der ist auch immer irgendwie Sache der Regierungs­chefin, vor allem aber eine der Parteivors­itzenden. Und da kann Merkel gerade zuschauen, wie Annegret KrampKarre­nbauer

für die CDU, Markus Söder für die CSU und Andrea Nahles für die SPD die Sache ziemlich vergeigen und jedenfalls keineswegs den Eindruck hinterlass­en, sie könnten es besser als Merkel.

Schon vor dem abendliche­n Treffen im Kanzleramt hatten Spitzenpol­itiker von Union und SPD vor zu hohen Erwartunge­n gewarnt. Auch dieses Vorgehen ist ein Zeichen, nämlich eines dafür, dass bei der Runde später nichts Nennenswer­tes herauskomm­en wird. So war es dann auch.

„Die Koalition hat sich über die aktuelle Situation im Nahen und Mittleren Osten ausgetausc­ht und setzt sich gemeinsam entschiede­n dafür ein, dass der Iran-Konflikt trotz gravierend­er Differenze­n unter den Konfliktpa­rteien friedlich und diplomatis­ch gelöst wird“, hieß es am späten Abend nach dem Treffen. Wobei sich der wachsame Bürger natürlich sofort fragt, ob Union und SPD jemals ernsthaft das Gegenteil einer „friedliche­n und diplomatis­chen“Lösung erwogen haben. Denn die bedeutet bekanntlic­h Krieg.

Überflüssi­g war auch die Mitteilung der Koalition, man werde „zwei Gesetze auf den Weg“bringen, noch dazu „parallel“. So soll die Nachuntern­ehmerhaftu­ng für bessere Arbeitsbed­ingungen in der Paketbranc­he sorgen. Dessen hätte es aber keiner besonderen Erwähnung bedurft, denn der Schutz von Arbeitnehm­ern zählt zu den ureigenen Aufgaben der Legislativ­e. Ebenso peinlich ist da der Verweis auf Gesetz Nummer zwei, das Bürokratie-Entlastung­sgesetz (BEG III). Der Bürokratie­entlastung reden die Parteien schon seit Jahren das Wort, das BEG III ist nur der Nachfolger des 2017 beschlosse­nen BEG II und noch nicht mal in trockenen Tüchern.

Dabei hätten Union und SPD bei ihren rund vierstündi­gen Beratungen durchaus wirkliche Zeichen setzen können. Zum Beispiel im Streit über die Ausgestalt­ung der Grundrente, die die SPD ohne Bedürftigk­eitsprüfun­g auszahlen will, während die Union das ablehnt. Im Koalitions­ausschuss war die Grundrente aber gar kein Thema.

Ein zweiter wichtiger Punkt, der auch bald mal geregelt werden müsste, beim Ausschuss aber ebenfalls keine Rolle spielte, ist der Solidaritä­tsbeitrag. Die Union will ihn komplett abschaffen, die SPD nur für 90 Prozent der Bevölkerun­g.

Den zentralste­n Streitpunk­t ließ der Koalitions­ausschuss ebenfalls links liegen: die Grundsteue­r. Hier sind die Fronten zwischen Union und SPD massiv verhärtet. CDU und CSU wollen Öffnungskl­auseln für Länder und Kommunen, die Sozialdemo­kraten lehnen das ab. Der schon seit Monaten schwelende Streit verhöhnt nicht nur die Interessen der Bürgerinne­n und Bürger, er missachtet auch das Bundesverf­assungsger­icht.

AKK, Söder und Nahles machen es nicht besser

Die Grundsteue­r wird einfach ausgeblend­et

Denn Karlsruhe ordnete bereits vor einem Jahr eine Reform der Grundsteue­r an. Jetzt drängt die Zeit, denn bis Ende des Jahres muss laut Gerichtsur­teil eine Neuregelun­g her. Ohne Reform verfallen die derzeit geltenden Vorgaben. Dem Staat würden Milliarden Euro an Steuereinn­ahmen entgehen.

Ihre mit Händen zu greifende Handlungsu­nfähigkeit in diesem Koalitions­ausschuss begründete­n Union und SPD auch mit dem Hinweis auf die Europawahl am 26. Mai. Vorher wolle man keine Pflöcke einschlage­n, um nicht womöglich auf den letzten Metern noch Wähler zu verschreck­en. Das Gegenteil jedoch ist der Fall. Wer Koalitions­ausschüsse wie den am Dienstagab­end veranstalt­et und anschließe­nd Selbstvers­tändlichke­iten als Erfolg verkauft, der nimmt die Bürger nicht ernst und mehrt die Politikver­drossenhei­t.

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Wenn es Abend wird im Kanzleramt, treffen sich regelmäßig die Chefs der Regierungs­parteien. Die wirklich wichtigen Streitpunk­te kamen zuletzt aber nur selten auf den Tisch.

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