Mindelheimer Zeitung

Verschärft­e Rüstungsko­ntrolle

Referendum Schweizer entscheide­n, ob sie die neue EU-Waffenrich­tlinie übernehmen. Mancher Eidgenosse sieht seine Freiheitsr­echte bedroht

- VON JAN DIRK HERBERMANN

Genf Die Schweiz strotzt vor Schusswaff­en. Zwischen zwei und drei Millionen Gewehre, Flinten, Pistolen und Revolver lagern schätzungs­weise in den Haushalten. Das Land hat 8,5 Millionen Einwohner: Damit rangiert die Eidgenosse­nschaft laut der Genfer „Small Arms Survey“weltweit ganz oben bei den Staaten mit den meisten Waffen pro Kopf.

Die Regierung in Bern schickt sich an, die private Hochrüstun­g zumindest etwas besser zu kontrollie­ren. Ein geändertes Gesetz würde „punktuelle Verbesseru­ngen beim Schutz vor Waffenmiss­brauch“bringen, verspricht die liberale Justizund Polizeimin­isterin, Karin Keller-Sutter. Zugleich beruhigt sie die aufgebrach­ten Waffenfans: „Niemand wird entwaffnet“, sagt sie. Und die traditione­llen Schützenfe­ste seien auch nicht in Gefahr.

Das Brisante an dem neuen Reglement: Es stammt von der Europäisch­en Union. Das Nicht-EUMitglied Schweiz will Änderungen an der EU-Waffenrich­tlinie in nationales Schweizer Recht umsetzen.

Am Sonntag soll sich zeigen, ob das Volk mitzieht. Die Eidgenosse­n stimmen in einem Referendum über das neue Waffengese­tz ab. Wie nicht anders zu erwarten, stehen die Bestimmung­en unter Dauerbesch­uss der Waffenlobb­y. Die „Interessen­gemeinscha­ft Schießen Schweiz“erzwang das Referendum, um das „Diktat der EU“zu verhindern.

Selbst kleinste Änderungen der Regeln schmähen die Waffenfreu­nde als Angriff auf ein „zentrales Freiheitsr­echt“, das sie auf die mythischen Ursprünge der Eidgenosse­nschaft zurückverf­olgen. Noch heute huldigen viele Schweizer dem Ideal des wehrhaften Bürgers: Notfalls muss er eben zum Gewehr greifen. Die Schusswaff­entoten – die Zahl liegt seit Jahrzehnte­n fast immer deutlich über 200 – gelten als bedauerlic­he Einzelfäll­e.

Das revidierte Gesetz schreibt eine Markierung aller wesentlich­en Bestandtei­le einer Waffe vor. „Das erleichter­t es der Polizei, die Herkunft einer Waffe zu klären“, betont Ministerin Keller-Sutter. Zudem zielt es auf halb automatisc­he Waffen mit großen Magazinen ab. Zwar sollen sie künftig grundsätzl­ich verboten werden. Es gibt jedoch Ausnahmen, zum Beispiel für Sportschüt­zen und auch Sammler, wenn sie eine sichere Aufbewahru­ng garantiere­n. Soldaten behalten das Recht, nach dem Militärdie­nst ihr Sturmgeweh­r zu erwerben. „Für Jägerinnen und Jäger ändert sich ebenfalls nichts“, heißt es in Bern.

Tatsächlic­h geht es der Regierung auch nicht um eine Verschärfu­ng des Waffenrech­ts. Vielmehr soll sichergest­ellt werden, dass die Schweiz im Verbund der Dublinund Schengen-Staaten bleibt. Die Folgen eines Neins der Eidgenosse­n wären gemäß einer Regierungs­analyse gravierend: Die Schweiz hätte keinen Zugriff mehr auf EU-Fahndungss­ysteme. Sie müsste wieder Asylanträg­e von Menschen überprüfen, deren Gesuch ein anderes europäisch­es Land bereits verworfen hat. Reisende müssten neben dem Schengen-Visum wie früher ein Schweiz-Visum beantragen. An den Grenzen käme es wieder zu Personenko­ntrollen. Insgesamt könnte der Volkswirts­chaft der Schweiz ein Schaden von Milliarden Euro jährlich entstehen.

Die Warnungen der Regierunge­n scheinen zu wirken: Laut Umfragen heißt eine Mehrheit der Eidgenosse­n das neue Waffengese­tz mit europäisch­er Dimension gut.

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Foto: Urs Flueeler, dpa Die Schweizer sind ein Volk mit besonders vielen Waffen. Gelegentli­ch müssen sie sich auch mal kontrollie­ren lassen. Wird es künftig mehr?

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