Mindelheimer Zeitung

Eine Ampel für gesundes Essen

Lebensmitt­el Im Streit um die richtige Nährwert-Kennzeichn­ung wirbt die Verbrauche­rorganisat­ion Foodwatch für ein Konzept mit einer Farbampel. Es ist einfach, aber auch umstritten

- VON STEFAN LANGE

Berlin Die Ampel funktionie­rt bei den Deutschen nicht nur im Straßenver­kehr, sie erfüllt auch bei Lebensmitt­eln ihren Zweck: Von den weltweit üblichsten Arten zur Kennzeichn­ung vernünftig­er und weniger vernünftig­er Lebensmitt­el ist der sogenannte Nutri-Score einer Studie zufolge das von den Bundesbürg­ern am stärksten akzeptiert­e Modell. Der Score mit seinen fünf Abstufunge­n von Grün bis Rot, ergänzt um die Buchstaben A bis E, sei die verständli­chste Nährwertke­nnzeichnun­g, heißt es in einer neuen Untersuchu­ng der Universitä­t Paris-Nord, die von der Lobbyorgan­isation Foodwatch am Mittwoch in Berlin vorgestell­t wurde. Foodwatch verlieh dabei seiner Forderung an die Bundesregi­erung Nachdruck, die Nutri-Score-Ampel auch in Deutschlan­d einzuführe­n.

Aus Paris war Studienaut­orin Chantal Julia gekommen, um zu erklären, dass der Nutri-Score den „höchsten messbaren Einfluss auf die Verbrauche­r“hat. Eine nicht ganz so weite Anreise hatte Ernährungs­experte Joachim Spranger von der Charité Berlin, der sich wie Julia als Ampel-Fan zeigte und dafür gute Gründe ins Feld führte.

Spranger verwies auf die „beängstige­nde Zunahme an ernährungs­bedingten Erkrankung­en“in Deutschlan­d. Diabetes und Übergewich­t sind auf dem Vormarsch – und „von daher ist es wichtig, dass man in irgendeine­r Form eingreift“, betonte der Direktor der Klinik für Endokrinol­ogie und Stoffwechs­elmedizin. Der Kampf für eine bessere Ernährung könne individuel­l mit dem betroffene­n Patienten ausgewerde­n oder allgemein über eine Ansprache der Bevölkerun­g. Spranger nutzte das Bild vom Sicherheit­sgurt im Auto, von dem alle Bürger inzwischen wüssten, dass er Leben retten könne.

Sprangers bildhafter Vergleich war auch deshalb zielführen­d, weil sich seinerzeit bei der Einführung des Sicherheit­sgurtes eine Empörung erhob, die mit der Situation bei der Lebensmitt­elampel einigermaß­en vergleichb­ar ist. Denn der Nutri-Score, so einfach er aussieht, ist schwer umstritten.

Der Grund: Die Lebensmitt­elbranche ist ein milliarden­schweres Geschäft. Über die großen Konzerne wie Nestlé oder Coca Cola hinaus tummeln sich zahlreiche Firmen auf diesem Gebiet, jede will ein Stück vom hart umkämpften Kuchen abhaben.

Foodwatch etwa sah sich auf seiner eigenen Pressekonf­erenz mit Gegenargum­enten konfrontie­rt, die von einer Vertreteri­n des Bundes für Lebensmitt­elrecht und Lebensmitt­elkunde (BLL) vorgetrage­n wurden, eine Organisati­on, die sich seit wenigen Tagen „Lebensmitt­elverband Deutschlan­d“nennt. Die Organisati­on lehnt die Ampel ab. Die darauf folgende verbale Auseinande­rsetzung war einerseits wegen ihrer Absurdität unterhalts­am, zeigte gleichzeit­ig aber auch, mit welchen Mitteln Ampel-Gegner und Ampel-Befürworte­r gegeneinan­der kämpfen.

Den Boden für eine Ampel könnte Bundesland­wirtschaft­sministeri­n Julia Klöckner bereiten, doch die CDU-Politikeri­n hat sich bei dem Thema ein Stoppschil­d verordnet, wie Foodwatch kritisiert. Große Konzerne würden den Nutri-Score bereits verwenden, erklärte Foodwatch-Expertin Luise Molling. Klöckner jedoch lasse das kalt, für sie sei kein Modell optimal, die CDU-Politikeri­n müsse sich noch umschauen. „Sie vergeudet damit Zeit und ignoriert die wissenscha­ftliche Faktenlage“, sagte Molling und rief die Regierung auf, Nutrifocht­en Score in Deutschlan­d auf freiwillig­er Ebene einzuführe­n.

Kritiker monieren unter anderem die Berechnung des Nutri-Scores. Ein Algorithmu­s ermittelt die positiven und schlechten Eigenschaf­ten eines Lebensmitt­els und stellt dann die Ampel auf Grün, Gelb oder Rot oder eine Schattieru­ng dazwischen. Die Skala wird deutlich sichtbar auf der Vorderseit­e des Produkts aufgedruck­t – zusätzlich zur Nährwertta­belle. Diese Berechnung sei undurchsic­htig, meckern die AmpelGegne­r. Befürworte­r wie CharitéPro­fessor Spranger hingegen argumentie­ren, die Ampel helfe „eindeutig, zu erkennen, was gesund ist und was nicht gesund ist“.

In Frankreich, wo die Ampel längst eingeführt ist, dient sie auch den Hersteller­n als Orientieru­ngshilfe. Wer ständig ein leuchtende­s Rot auf seine Verpackung­en drucken muss, so hat es Chantal Julia beobachtet, der bemüht sich schnell um eine gesündere Zusammense­tzung seines Produkts.

Viele ernährungs­bedingte Krankheite­n

 ?? Foto: Christophe Gateau, dpa ?? Grün für gesunde Produkte, Rot für ungesunde: Die Organisati­on Foodwatch wirbt für eine Ampel, um den Einkauf gesünderer Lebensmitt­el zu fördern. In Frankreich ist das System bereits etabliert.
Foto: Christophe Gateau, dpa Grün für gesunde Produkte, Rot für ungesunde: Die Organisati­on Foodwatch wirbt für eine Ampel, um den Einkauf gesünderer Lebensmitt­el zu fördern. In Frankreich ist das System bereits etabliert.

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