Mindelheimer Zeitung

Bayern geht in die Luft

Trend Immer mehr Städte denken darüber nach, mit Seilbahnen dem Verkehrsch­aos Herr zu werden. Etwa Kempten. Wie die Gondel-Modelle funktionie­ren sollen und was Kritiker zu bemängeln haben

- VON STEPHANIE SARTOR

Kempten Nur mal angenommen, man könnte in die Zukunft blicken. Was würde uns wohl erwarten? Wie sähen unsere Städte aus? Hätte er uns längst kalt erwischt, der Verkehrsko­llaps, der ja immer wieder beschworen wird? Oder hätten wir ihm ein Schnippche­n geschlagen, wären ihm einfach davongefah­ren – irgendwo weit droben, in einer Gondel, bequem und leise dahinschwe­bend? Schon heute ist das mehr als nur ein Zukunftshi­rngespinst. Denn in Bayern gibt es immer mehr Städte, die genau diese Idee verfolgen: Seilbahn statt Straße. Gondel statt genervtes Gehupe.

Ein Beispiel dafür ist Kempten. Die 70000-Einwohner-Stadt im Allgäu will bis 2025 eine Stadt-Seilbahn bauen. Die Pläne hat die CSUStadtra­tsfraktion vor wenigen Tagen vorgestell­t. Die Seilbahn-Idee ist Teil eines ÖPNV-Konzeptes, das die CSU in einem Antrag zusammenge­fasst hat. Mit sieben zu vier Stimmen wurde beschlosse­n, dass die Stadt das Thema in die entspreche­nden Ausschüsse einbringen soll. Mit der Ausgestalt­ung soll dann ein Planungsbü­ro beauftragt werden.

Thomas Kreuzer, CSU-Fraktionsc­hef im Bayerische­n Landtag und Stadtrat in Kempten, stellt sich

Verkehrscl­ub setzt weiter auf die Straßenbah­n

hinter das Projekt: „Eine Stadtseilb­ahn in Kempten bietet interessan­te Möglichkei­ten: Da die Gondeln dauerhaft verkehren, gibt es keine Wartezeite­n an den Stationen.“Eine urbane Seilbahn sei außerdem emissionsf­rei und es könnten bis zu 1000 Busfahrten pro Tag eingespart werden.

Nicht nur in Kempten wird über eine Seilbahn nachgedach­t. Viele bayerische­n Städte beschäftig­en sich mit dem Thema. In München etwa wird schon seit längerem darüber diskutiert, wie sinnvoll eine 4,5 Kilometer lange Seilbahnve­rbindung entlang des Frankfurte­r Rings wäre. In rund 60 Metern Höhe könnten bis zu 4000 Fahrgäste pro Stunde transporti­ert werden. 50 Millionen Euro könnte die ganze Sache kosten – wenn sie denn tatsächlic­h Realität wird. Ob sich der Aufwand lohnt, das soll in einer Machbarkei­tsstudie untersucht werden.

Und es gibt noch mehr Beispiele für Städte, in denen die Bürger irdurch die Stadt gondeln könnten: Ingolstadt etwa – wo auch bald Flugtaxis unterwegs sein sollen –, Nürnberg, Würzburg oder Passau.

Die frühere Verkehrsmi­nisterin Ilse Aigner hatte das Thema vehement vorangetri­eben, Fördergeld­er versproche­n und an Kommunen appelliert, in diese Richtung zu denken. Und ihr Nachfolger? Verkehrsmi­nister Hans Reichhart sieht die Sache ähnlich: „Wir müssen beim Nahverkehr kreativer denken. Ich freue mich über alle innovative­n Ideen, die den Verkehr gerade in den Innenstädt­en entzerren. So können wir Stau und Feinstaub vermeiden.“Eine Sprecherin seines Ministeriu­ms fügt hinzu: „Seilbahnen können im städtische­n Nahverkehr eine bislang in Bayern nicht genutzte Ergänzungs­funktion übernehmen. Die Seilbahn kann bauliche und topografis­che Hinderniss­e auf geradem Weg überwinden, wo sonst Umwege oder Eingriffe in die Landschaft notwendig wären.“

Während einige Städte mit einer Seilbahn liebäugeln, favorisier­t der Landesverb­and des Verkehrscl­ubs VCD die Straßenbah­n. „Wir haben momentan das Gefühl, dass die Seilbahn gehypt wird und genutzt wird, um den Bau von neuen Straßenbah­nen zu behindern, weil die Straßenbah­n Platz vom Autoverkeh­r wegnimmt“, sagt der bayerische Landesvors­tand des VCD, Christian Loos. In München etwa blieben auf dem Frankfurte­r Ring sechs Fahrspuren bestehen, wenn es eine Seilgendwa­nn bahn geben würde. Das würde den Umstieg auf den öffentlich­en Verkehr nicht gerade fördern, sagt Loos. Dabei biete die Straßenbah­n „eine attraktive Reisegesch­windigkeit und ist durch viele Haltestell­en für die potenziell­en Nutzer sehr gut zu erreichen.“Bei einer Tram könne man etwa alle 300 bis 600 Meter eine Haltestell­e bauen. Eine Seilbahn hingegen sei technisch auf wenige Stationen ausgelegt.

Auch das Karlsruher Institut für Technologi­e hat sich mit SeilbahnMo­dellen beschäftig­t und eine Analyse erstellt. Die Wissenscha­ftler kommen darin unter anderem zu diesem Schluss: Urbane Seilbahnen seien „kein Allheilmit­tel für die Lösung urbaner Verkehrspr­obleme“.

 ?? Foto: Matthias Becker/Montage: Peter Schiess ?? An der Kemptener Residenz könnte bald eine Seilbahn vorbeischw­eben. Die Aussicht wäre sicher spektakulä­r – die Befürworte­r erhoffen sich aber noch mehr: nämlich, dass der Verkehr in der Stadt beruhigt wird.
Foto: Matthias Becker/Montage: Peter Schiess An der Kemptener Residenz könnte bald eine Seilbahn vorbeischw­eben. Die Aussicht wäre sicher spektakulä­r – die Befürworte­r erhoffen sich aber noch mehr: nämlich, dass der Verkehr in der Stadt beruhigt wird.
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