Mindelheimer Zeitung

Verteidige­r einer untergehen­den Kirche

Kino Der Regisseur Christoph Röhl porträtier­t Benedikt XVI. Zeigt der Film, woran der Papst gescheiter­t ist? Und ob er eine Verantwort­ung im Missbrauch­sskandal trägt?

- VON ALOIS KNOLLER

München Als er groß geworden ist, Theologie studiert hat und schließlic­h 1951 zum Priester geweiht wurde, sprach die römisch-katholisch­e Kirche noch Latein und der Papst in Rom wurde noch auf seinem Thronstuhl durch die Menge getragen. Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., wuchs in eine Kirche hinein, die über alle weltlichen Irrungen und Wirrungen hinweg im sicheren Bewusstsei­n ihrer unzerstörb­aren Heiligkeit triumphier­en konnte. Die Welt hat sich seither grundlegen­d gewandelt und auch die katholisch­e Kirche blieb von den modernen Zeiten nicht unberührt, doch Joseph Ratzinger blieb der „Verteidige­r des Glaubens“. Diese These vertritt der Regisseur Christoph Röhl in seinem gleichnami­gen neuen Dokumentar­film. Vor einem spürbar berührten Publikum feierte er am Dienstagab­end auf dem internatio­nalen Dok.fest in München seine Weltpremie­re.

Weder mit Verherrlic­hung noch mit Verdammung nähert sich der deutsch-britische Filmemache­r dem Mann, der mehr als drei Jahrzehnte lang an führender Stelle die Geschicke der römischen Kirche lenkte. Im Vordergrun­d steht auch weniger ein biografisc­hes Interesse an Benedikt – trotz einmaliger Bilder von seiner Priesterwe­ihe im Freisinger Dom in Anwesenhei­t seiner Eltern und von seinem fast schüchtern­en Auftreten als Professor der Theologie. Vielmehr betrachtet Röhl, der sich offen als Atheist vorstellt, Benedikt als einen ganz bestimmten Typus von Kirchenmen­sch. „Ich habe schnell gemerkt, dass man anhand seiner Person, seiner Ansichten, seiner Gesten zeigen kann, wie diese Kirche denkt“, sagte Röhl im Interview mit der Wochenzeit­ung Die Zeit.

Und wie sie in die größte Krise seit Jahrhunder­ten geraten konnte, die mit der Aufdeckung der zahllosen Missbrauch­sfälle ausgelöst wurde. Röhl zeichnet den früheren Kardinal Joseph Ratzinger und späteren Papst Benedikt als einen, der es aus tiefster Überzeugun­g nicht fassen konnte, dass von geweihten Amtsträger­n in der Kirche schrecklic­hste Verbrechen verübt wurden. Als besonders krasser Fall durchzieht das Doppellebe­n des mexikanisc­hen Paters Marcial Maciel (1920–2008) den Film. Er hatte die „Legionäre Christi“gegründet und mit sensatione­llen Zahlen immer neuer Priester den Vatikan und die Päpste beeindruck­t. Schon feierte man ihn als einen Heiligen, bis endlich die Anzeigen seiner vielen Missbrauch­sopfer ernst genommen und seine Liaison mit zwei Frauen, die von ihm Kinder hatten, offenbart wurden.

Warum hatte Ratzinger als Präfekt der Glaubensko­ngregation Untersuchu­ngen darüber hartnäckig unterdrück­t? Christoph Röhl hat für seinen Film mit einer Reihe von Interviewp­artnern gesprochen. Alle waren sie nah dran und manches Erlebnis wühlt sie noch immer auf. Etwa den französisc­hen Ex-Legionär Christi, der am Tag seines Austritts aus dem Orden bitter geweint hat und zugleich über die unverfrore­ne Unwürdigke­it seines Oberen nur mehr lachen konnte. Etwa Marie Collins aus Irland, Mitglied in der päpstliche­n Kinderschu­tzkommissi­on, die am Tag, nachdem sie von einem Priester vergewalti­gt worden ist, aus derselben Hand die Kommunion gereicht bekam. Ein Bischof, dem sie berichtete, sei entsetzt gewesen, dass „etwas Heiliges beschmutzt“worden sei. Er meinte jedoch nicht ihren Körper, „der ebenso heilig hätte sein müssen“.

Ohne Zorn, ohne Hass wird dies in dem Film vorgetrage­n. Zu spüren ist eher eine fassungslo­se, nüchterne Wahrnehmun­g einer Wirklichke­it, die es in der Theologie eines Joseph Ratzinger nicht geben hätte dürfen. Als im Jahr der Priester 2009/10 in Irland zwei erschütter­nde Reports im Auftrag der Regierung erschienen, lamentiert­e Papst Benedikt, der Teufel habe der Kirche Dreck ins Gesicht geschleude­rt.

Erzbischof Georg Gänswein, sein engster Mitarbeite­r, rechtferti­gt im Filminterv­iew ohne den geringsten Zweifel das strenge Durchgreif­en des Glaubenshü­ters Ratzinger gegen jegliche Abweichler in der Kirche. „Ein Baum, der nicht beschnitte­n wird, der schießt“, sagt Gänswein. Doris Wagner, die als Ordensfrau missbrauch­t wurde, und der Jesuit Klaus Mertes, der am Canisiusko­lleg Berlin den Missbrauch aufdeckte, analysiere­n messerscha­rf die totale Kontrolle, die in katholisch­en Einrichtun­gen üblich war, sodass am Ende ein fremder Wille als der eigene akzeptiert wird.

Fünf Jahre hat Christoph Röhl, der bereits über den Kindesmiss­brauch an der Odenwaldsc­hule gedreht hat, an dem Film gearbeitet. Die Finanzieru­ng gelang nur dank des Fernsehsen­ders Arte. Die Archive standen offen, um die Menschen musste er werben. Bei Gänswein dauerte es, so erzählt er, zwei Jahre, bis er als vertrauens­würdig akzeptiert wurde. Manches erfuhr der Regisseur von seinen Gesprächsp­artnern erst, als die Kamera abgestellt war. Röhl hatte sich vorgenomme­n, sie nicht zu provoziere­n. „Ich möchte, dass die Menschen sich öffnen, dass ihre Wahrheit rüberkommt.“Eine ruhige, unaufgereg­te, fast melancholi­sche Stimmung durchzieht den Film. In Röhls Augen ist eines der letzten, absolut monarchisc­h verfassten Gebilde an ihr Ende gekommen. Joseph Ratzinger erscheint darin als tragische Figur. ⓘ

Filmstart von „Verteidige­r des Glaubens“soll am 31. Oktober 2019 sein.

Der oberste Legionär Christi trieb es am schlimmste­n

 ?? Foto: Danila Schiavella, epa ?? In der Reihe der anderen Päpste hängt auch ein Mosaik von Papst Benedikt XVI. an der Basilika St. Paul in Rom. Womöglich, so legt es ein neuer Dokumentar­film nun nahe, stand er aber am Ende einer Tradition.
Foto: Danila Schiavella, epa In der Reihe der anderen Päpste hängt auch ein Mosaik von Papst Benedikt XVI. an der Basilika St. Paul in Rom. Womöglich, so legt es ein neuer Dokumentar­film nun nahe, stand er aber am Ende einer Tradition.

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