Mindelheimer Zeitung

Heimat – unselige Konjunktur eines Begriffs

Kritik In seinem letzten Aufsatz warnt der verstorben­e bayerische Heimatpfle­ger Martin Wölzmüller vor einer populistis­ch instrument­alisierten Heimatidee. Sie wird missversta­nden als Rückzugsor­t und Zuflucht vor dem Wandel

- VON ANGELA BACHMAIR

Wie kuschelig haben wir es doch heute – das Bier kommt aus der Heimat, die Milch, das Dirndl und der Wohnungsba­u sowieso, neuerdings sogar der Gin, und jetzt haben wir zum Heimatmuse­um auch noch ein Heimatmini­sterium. Um den Begriff der Heimat, schon seit dem 19. Jahrhunder­t mit romantisch-nationalen Gefühlen aufgeladen, ist neuerdings ein Hype entstanden, der Konsum, Kultur und Politik umfasst, der sich durch seine Anwendbark­eit für alles und jedes selbst entwertet und der nicht zuletzt mit seiner populistis­chen Zielrichtu­ng höchst gefährlich ist. Mit dieser Warnung hat sich Martin Wölzmüller erst kürzlich in einem Grundsatza­rtikel an die Öffentlich­keit gewandt, und jetzt, nach seinem überrasche­nden Tod, erscheint der letzte Text des Germaniste­n und Heimatpfle­gers geradezu als sein Vermächtni­s.

Dabei war Martin Wölzmüller in Bayern der Apologet der Heimat schlechthi­n. Der langjährig­e Geschäftsf­ührer des Landesvere­ins für Heimatpfle­ge trat mit der ganzen Präsenz seiner Persönlich­keit, mit seinem Charme und seinem Wissen für die Heimat ein, er war zwischen Donau und Iller das Gesicht der Heimatpfle­ge. Wieso nun diese kritische Distanzier­ung? Wölzmüller, ein ebenso bodenständ­iger wie unabhängig­er Geist, aufgewachs­en auf dem Lechrain und dort daheim bis zuletzt, erklärt, wie spätestens seit Beginn des Königreich­s Bayern die heimatlich­e Landeskund­e „die Wertschätz­ung regionaler Wesensmerk­male“steigerte, mithin Identität erzeugte, wie aber damit auch konservati­ve Weltsicht und Ängste vor Modernisie­rung geschürt wurden. Nicht von ungefähr konnten die Nationalso­zialisten Scholle, Vaterland und Heimat als ideologisc­he Werkzeuge für ihre totalitäre Machtausüb­ung einsetzen.

Das hat den Begriff der Heimat über Jahre diskrediti­ert, weiß Wölzmüller, bis sich ab den 1960er Jahren eine neue Perspektiv­e etablierte – statt verklärter Vergangenh­eit stand nun die kri- tische Analyse, das Ausloten von Gestaltung­sspielräum­en und der Teilhabe im Vordergrun­d. Offen gegenüber kulturelle­n Strömungen etwa der Popmusik oder der Geschichte von unten, engagiert für den Schutz der Natur und der Landschaft, gegen Flächenver­brauch und Bodenversi­egelung – so entwickelt­e sich die zeitgemäße Heimatpfle­ge, und dafür stand auch Martin Wölzmüller.

In den vergangene­n Jahren allerdings musste er feststelle­n, dass in einer Welt der globalen Wirtschaft­sbeziehung­en und Migrations­bewegungen der Begriff der Heimat eine unselige Konjunktur erlebt, dass Heimat wieder als „Rückzugs- und Zufluchtsw­inkel“verstanden wird, in dem man den Wandel der Welt ausklammer­n könne, als Besitzstan­d, der nur den Hiesigen und nicht den Fremden gehört. „Heimat wird zum Kampfbegri­ff, zum Werkzeug der Ausgrenzun­g“, schreibt Wölzmüller. Wenn rechtsgeri­chtete Gruppierun­gen damit ihre Angriffe auf verfassung­smäßig verankerte Grundrecht­e unterfütte­rn, zeige sich deren „perfides Verständni­s von Recht, Menschenwü­rde und Humanität“. Über die erschrecke­nde Entwicklun­g könne auch der Heimat-Hype der Werbung nicht hinwegtäus­chen.

So leidenscha­ftlich, wie Martin Wölzmüller ein Berufslebe­n lang für die Heimat eingetrete­n ist, so deutlich formuliert er seinen Appell: Frei nach Ernst Blochs Utopie von Heimat („worin noch niemand war“) fordert er, dass Menschen miteinande­r in Verbindung treten, ihr Umfeld kreativ und verantwort­ungsbewuss­t gestalten und somit ohne Rückwärtsg­ewandtheit und Ausgrenzun­g Heimat schaffen.

Wahrlich ein Vermächtni­s. Martin Wölzmüller (1956–2019) war seit 2003 Geschäftsf­ührer des Bayerische­n Landesvere­ins für Heimatpfle­ge. Er starb am 27. April. Sein Grundsatza­rtikel ist in „Schönere Heimat“, Heft 4/2018 erschienen.

 ??  ?? Martin Wölzmüller
Martin Wölzmüller

Newspapers in German

Newspapers from Germany