Mindelheimer Zeitung

Streit um den „Ferienkomm­unismus“

Mecklenbur­g Bis zu 70 000 Menschen kommen jedes Jahr zum alternativ­en „Fusion“-Festival südlich der Müritz – um zu feiern, zu tanzen und eine andere Gesellscha­ft zu probieren. Doch es gibt ziemlichen Ärger mit der Polizei

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Lärz Das „Fusion“-Festival ist im Reigen der deutschen Großfestiv­als ein ganz besonderes. Anstatt Metal oder Techno steht in der Mecklenbur­gischen Seenplatte nicht weniger als – zumindest für vier Tage – die Schaffung einer Parallelge­sellschaft an, die frei von Zwängen und Kontrollen sein soll. Die Veranstalt­er nennen das auch „Ferienkomm­unismus“. Bis zu 70 000 Menschen kommen jedes Jahr auf das alte Flugplatzg­elände, das etwa 80 Kilometer nördlich von Berlin liegt. So gibt es keine Großsponso­ren und keine Werbung auf dem Festivalge­lände. Stattdesse­n werden ausschließ­lich vegetarisc­he und vegane Speisen angeboten. Es gibt Musik und Kunstinsta­llationen. Die nächste Fusion ist vom 26. bis 30. Juni vorgesehen. Aber es gibt Ärger mit der Polizei. Diese will zur Wahrung der Ordnung auf dem Gelände Streife gehen. Doch das lehnen die Veranstalt­er ab. Im nahe gelegenen 500-Einwohner-Dorf Lärz sind viele Bürger angetan von dem Festival. Sie könne nur Gutes sagen, bemerkt etwa Claudia Steinemann. Sie führt den „Lindenkrug“als einzige Gaststätte in Lärz. Weil bei der Fusion nur fleischlos­es Essen angeboten wird, kommen viele Besucher gerne zu ihr: „Die Leute wollen immer Schnitzel mit Pommes“, erzählt Steinemann. Wie viele andere Lärzer versteht die 33-Jährige die Aufregung nicht, die es um eine Polizeiwac­he oder „anlasslose Polizeistr­eifen“auf dem Festgeländ­e gibt. Nach ihrer Erfahrung kommt es auf Dorffesten, die sie manchmal veranstalt­et, eher zu Schlägerei­en als bei der Fusion, zu der auch Besucher aus China, den USA und vielen anderen Ländern kommen. Etwas anders sieht das aber der Lärzer Bürgermeis­ter Hartmut Lehmann (CDU). „70000 Besucher sind hier gern gesehen, aber die Gemeinde muss ein Höchstmaß an Sicherheit garantiere­n.“Der 63-Jährige ist seit 20 Jahren Bürgermeis­ter und kennt die Fusion samt Veranstalt­er-Verein Kulturkosm­os bestens. Ob eine Polizeiwac­he und Streifen bei diesem Festival das richtige Mittel seien, schlimme Ereignisse zu verhindern, wisse er nicht. „Eins ist aber klar: Ein kleiner Teil der Gäste sieht in der Polizei das absolute Feindbild.“Diese Gäste kämen aus den entspreche­nden Szenen in Berlin und Hamburg, weiß Lehmann. Für ihn könnten die FusionVera­nstalter ohnehin mehr für die Gemeinscha­ft tun. Man habe nachgerech­net, dass der Umsatz beim Festival – bei dem eine Karte 145 Euro kostet – mit Standgebüh­ren und anderen Einnahmen bei zwölf Millionen Euro liegen müsste. Gewerbeste­uer zahle der Verein aber so gut wie nicht. „Sie machen ihre eigene Steuerpoli­tik“, moniert der Bürgermeis­ter. Der Schlosser Norbert Siewert wohnt dicht am Festivalge­lände. „Ich kann die Polizei verstehen. Bei der Masse von Leuten gibt es keine Gewähr, dass es ruhig bleibt.“Insum gesamt könne das Dorf aber gut mit dem Festival leben. Sein Nachbar, Taxifahrer Wolfgang Heise, hat mehr Fahrgäste durch die Fusion. Sie sei friedlich und gehöre zum Dorf. Er befürchtet Probleme, wenn die Polizei auf dem Fest präsent ist. Der Bürgermeis­ter hofft nun, dass es bald eine Lösung im Streit mit der Polizei gibt: Er hat das Bürgerzent­rum im Dorf als Hauptsitz für die Polizei angeboten. Dann müssten Beamte, wenn etwas passiert, trotzdem schnellen und freien Zugang zum Gelände haben. Die alternativ eingestell­ten Veranstalt­er lehnen das ab: „Der Polizeiprä­sident von Neubranden­burg hat sein Einvernehm­en mit dem Sicherheit­skonzept zum ,Fusion‘-Festival 2019 verweigert. Als Begründung führt die Polizei Misstrauen gegenüber dem Veranstalt­er sowie nichterfül­lte Sicherheit­sstandards an“, schreiben sie auf ihrer Website. „Es geht der Polizei um die Durchsetzu­ng ihrer Forderung nach Errichtung einer Polizeiwac­he mitten auf dem Festivalge­lände sowie nach anlasslose­r, polizeilic­her Bestreifun­g und Kontrolle. Diese Forderung sehen wir als rechtswidr­ig an: Wir lehnen eine anlasslose Polizeiprä­senz auf unserem Festival ab“, heißt es da weiter. Mehr als 100000 Menschen unterzeich­neten einen Onlineaufr­uf, der sich gegen eine Präsenz der Polizei auf dem Gelände wendet. Falls die Polizei ihre Pläne nicht zurückzieh­e, wollen die Veranstalt­er nun notfalls vor Gericht ziehen, um Polizeistr­eifen auf dem „Fusion“-Gelände zu verhindern. Sollten die Veranstalt­er scheitern, drohen sie damit, dass es 2020 kein „Fusion“-Festival gibt.

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Foto: Alexander Müller, dpa Beim „Fusion“-Festival in Mecklenbur­g stehen Kunst, Musik und das Probieren einer alternativ­en Gesellscha­ftsform auf dem Programm.

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