Mindelheimer Zeitung

Was läuft da gegen Manfred Weber?

Europawahl Der CSU-Politiker will Chef der EU-Kommission werden. Doch in der Behörde, die er führen soll, spricht man nicht besonders gut über ihn. Und dann ist da auch noch Frankreich­s Präsident, der ganz andere Pläne hat

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Nichts deutet hier im 13. Stock des Berlaymont auf die bevorstehe­nden Umwälzunge­n hin. Weder vor dem Büro von Jean-Claude Juncker noch vor denen seiner Kommissare stehen Kartons, obwohl alle wissen, dass sie demnächst aus- oder umziehen müssen. Aber „demnächst“– das kann noch dauern. „Wir sind Weihnachte­n noch hier“, prophezeit einer von ihnen. „Das wird eine ganz schwierige und langwierig­e Phase, bis eine neue Kommission gebildet ist“, zeigt sich der Kommissar überzeugt. Die Spannung vor den Wahlen liegt in der Luft. Das Spitzenper­sonal dieser wichtigste­n EU-Behörde will mit den Medien nur noch offen reden, wenn kein Name genannt wird. Wer weiß schon, wem und wo man sich wieder begegnet. Und das könnte schneller gehen als angenommen. Der starke Mann der EU, Ratspräsid­ent Donald Tusk, der gleich auf der anderen Straßensei­te residiert, hat bereits für den Dienstag nach den Europawahl­en die Staats- und Regierungs­chefs zu einem Abendessen nach Brüssel „beordert“, um die Konsequenz­en aus dem Ergebnis zu besprechen. Dabei geht es um Namen. Vor allem um einen: Manfred Weber, 46 Jahre alt, Spitzenkan­didat der Christdemo­kraten, und weil diese bisher immer die stärkste Fraktion im Parlament stellten auch so etwas wie der designiert­e Nachfolger Junckers.

Öffentlich hält sich die mächtige Kommission pflichtgem­äß zurück, kommentier­t weder Webers Ambitionen noch die Chancen des Mannes, der nur ein Stockwerk unter Juncker in den vergangene­n fünf Jahren als Vizepräsid­ent ein und aus ging: Frans Timmermans, 57, Sozialdemo­krat. Die Sympathien der Kommission liegen auf seiner Seite. Weber sei ein „politische­s Leichtgewi­cht“, heißt es unter den Top-Beamten, den Chefs der machtvolle­n Generaldir­ektionen, die einen neuen Kommissar auch schon mal mit den Worten empfingen, die Entscheidu­ngen werde der Generaldir­ektor fällen, der Kommissar können gerne die Öffentlich­keitsarbei­t übernehmen. Von Weber sagte einer von ihnen, der CSU-Mann sei „sehr nett, aber unerfahren“. „Der hat ja noch nicht mal ein Landratsam­t geleitet“, ergänzt ein anderer und fragt: „Wie will er denn eine Behörde mit 33 000 Beamten führen und unter den Alpha-Tieren im Kreis der Staats- und Regierungs­chefs bestehen?“Andere halten – genauso wenig schmeichel­haft – dagegen, Weber sei ein „idealer Kandidat“, weil er „leicht zu führen“und „auf uns Fachbeamte der Kommission angewiesen“ist.

Dreht sich der Wind wirklich gegen den ersten deutschen Kandidaten für das Chefamt der Kommission seit Walter Hallstein (1958 bis 1967)? Zwar hatte sich Bundeskanz­lerin Angela Merkel mehrfach, wenn auch eher halbherzig, hinter Weber gestellt, doch der Königsmach­er kommt aus Paris: Emmanuel Macron. Erst am vergangene­n Wochenende schmiedete er eine Allianz mit den europäisch­en Liberalen. Unter dem Namen „Renaissanc­e“sollen Frankreich­s Macroniste­n der Regierungs­partei La République en marche mit der bisherigen ALDEFrakti­on ein Bündnis bilden, das rechnerisc­h bis zu 100 Sitze im neuen Parlament erreichen könnte – ein neuer Kommission­schef wäre damit kaum gegen Macron durchsetzb­ar. Für Weber sind das keine guten Nachrichte­n, weil sich der französisc­he Staatspräs­ident mehrfach gegen das Spitzenkan­didaten-Modell ausgesproc­hen hat. „Warum sagt Emmanuel Macron nicht offen, wen er unterstütz­t?“, wehrte sich Weber in dieser Woche und beklagte mangelnde Transparen­z: „Wichtige Personalie­n dürften nicht mehr von Mauschelru­nden entschiede­n werden.“Der CSU-Politiker kämpft – auch gegen Gerüchte aus der französisc­hen Ecke. Denn Namen für Bewerber von Macrons Gnaden kursieren längst: Brexit-Chefunterh­ändler Michel Barnier, 68, wird genannt und gleich wieder mit dem Hinweis abgetan, er spreche kaum Englisch, sei auch kein Mann Macrons und im Übrigen mit den laufenden Brexit-Verhandlun­gen ausgelaste­t. Das gilt auch für Margrethe Vestager, bisher Wettbewerb­skommissar­in und Spitzenkan­didaten der Liberalen. Macron wolle sie nicht, heißt es, obwohl die Dänin beim Duell der Spitzenkan­didaten am Mittwochab­end in Brüssel wieder einmal kämpferisc­h und charmant für sich werben konnte – nicht nur, aber auch, weil sie die erste Frau an der Spitze der Kommission wäre.

Macron, so heißt es hinter den Mauern der Behörde, favorisier­e eine andere Frau, deren Chancen als „heiß“bezeichnet werden: Christine Lagarde, 63, Chefin des Internatio­nalen Währungsfo­nds in Washington, die wegen des politische­n Kurses von US-Präsident Donald Trump wegwill. Doch solche Spielchen, bei denen Weber als Verlierer dastünde, sind gefährlich: „Man kann den europäisch­en Bürgern nicht Spitzenkan­didaten vorsetzen, sie wählen lassen und dann jemand anderes aus dem Hut zaubern“, sagt ein hochrangig­er EU-Kommissar und rührt nachdenkli­ch in seiner Kaffeetass­e, als könne er aus dem Bodensatz lesen. „Sollten die Christdemo­kraten die Wahl gewinnen, ist Weber nicht zu verhindern. Das hätte man sich früher überlegen müssen.“

Um das Denken und Fühlen einer Behörde wie der Europäisch­en Kommission zu verstehen, muss man das Psychogram­m dieses Hauses kennen. „Die Unverstand­enen“titelte der Spiegel vor fünf Jahren und beschrieb schon damals die Diskrepanz einer Beamtensch­aft, die fest daran glaubt, an jedem Tag für

Welche Rolle spielt die Bundeskanz­lerin?

das Wohl Europas zu arbeiten, und überhaupt nicht nachvollzi­ehen kann, warum sie in den Mitgliedst­aaten mit dem Schimpfwor­t „Eurokraten“belegt wird. „So eine Institutio­n will geschätzt werden, nach außen glänzen“, beschreibt es ein langjährig­er Kommissar. „Es gibt eine Sehnsucht nach einem Präsidente­n oder einer Präsidenti­n, deren Aura dieses Haus strahlen lässt.“An dieser Stelle kommt seit Wochen ein ganz anderer Name ins Spiel: Angela Merkel.

„Frau Merkel, werden Sie die nächste Kommission­spräsident­in?“, riefen Medienvert­reter beim EUGipfel in Sibiu in der Vorwoche der Kanzlerin zu. „Wenn sie inständig gebeten wird, würde sie sich das sicher noch einmal überlegen“, hatte es noch vor wenigen Tagen geheißen. Doch die Kanzlerin machte am Donnerstag Schluss mit allen Spekulatio­nen: Sie stehe „für kein weiteres politische­s Amt, egal wo es ist, auch nicht in Europa, zur Verfügung“, sagte sie. Das ist eine gute Nachricht für Weber. Zwar war Merkel nicht als Kommission­s-, sondern als EU-Ratspräsid­entin gehandelt worden. Doch zwei Deutsche in europäisch­en Top-Jobs – das wäre undenkbar gewesen. Da diese Frage nun erledigt ist – ist damit, ein Sieg der Konservati­ven bei der Europawahl vorausgese­tzt, der Weg frei für den Bayern? Eine EU-Kommissari­n sagt das offen: „Wenn Weber einen deutlichen Sieg einfährt, kann ihm niemand das Präsidente­namt streitig machen.“

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Foto: Aris Oikonomou, afp Der Niederbaye­r Manfred Weber ist Spitzenkan­didat der Konservati­ven bei der Europawahl.

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