Mindelheimer Zeitung

„Den Frauen reißt der Geduldsfad­en“

Interview Maria 2.0 heißt die Protestbew­egung katholisch­er Frauen, mit der sie mehr Einfluss verlangen. Die frühere Vatikan-Botschafte­rin Annette Schavan und Abt Johannes Eckert haben Verständni­s für den Unmut

- Interview: Daniel Wirsching

Frau Schavan, Abt Johannes, an diesem Samstag endet der „Kirchenstr­eik“tausender katholisch­er Frauen in Deutschlan­d. Auf den Aufruf der Bewegung „Maria 2.0“hin stellen sie seit dem 11. Mai ihr ehrenamtli­ches Engagement für die Kirche ein, gehen nicht einmal mehr in die Gotteshäus­er. Die Katholikin­nen fordern den Zugang von Frauen zu allen Ämtern der Kirche sowie die Aufhebung des Pflichtzöl­ibats. Haben Sie jemals so etwas wie diesen „Kirchenstr­eik“erlebt? Annette Schavan: Nein, weil Frauen in und mit der Kirche viel Geduld haben. Irgendwann aber reißt jeder Geduldsfad­en. Das erleben wir jetzt. Abt Johannes Eckert: Ich kann mich auch nicht an Ähnliches erinnern.

Haben Sie Sympathie für die protestier­enden Frauen?

Schavan: Ja, ihnen liegt die Kirche am Herzen. Es sind gerade die Frauen, die sich engagieren und enorm viel für die Kirche tun.

Abt Johannes: Ich kann gut verstehen, dass Frauen sich häufig nicht ernst genommen fühlen und dass sich mit der Zeit Ärger aufstaut, der sich jetzt Luft macht. Allerdings finde ich es bedenklich, den Sonntagsgo­ttesdienst zu bestreiken. Die Eucharisti­egemeinsch­aft am Sonntag ist ein sehr hohes Gut und sollte nicht für Auseinande­rsetzungen dienen.

Was wäre die katholisch­e Kirche ohne das ehrenamtli­che Engagement von Frauen?

Schavan: Nicht mehr das, was sie ist. Was soll denn zum Beispiel in den Gemeinden dann noch gehen?

Abt Johannes: Mich beeindruck­t es immer wieder, wie viele Frauen sich in unseren Gemeinden engagieren. Und schließlic­h hat Kirche als Gemeinscha­ft der Glaubenden mit Frauen angefangen: Mit Maria und den Frauen am Ostermorge­n, die die Botschaft von der Auferstehu­ng den Männern verkündet haben.

Ist Streik aber ein angebracht­er Weg, um Forderunge­n nach Reformen Nachdruck zu verleihen?

Schavan: Es hat schon so viele Wege gegeben, die Anliegen deutlich zu machen. Frauen in der Kirche stehen ja nicht am Beginn einer Debatte. Jetzt wählen sie einen Weg, der über den innerkirch­lichen Dialog hinaus eine Öffentlich­keit herstellt. Das finde ich gut.

Abt Johannes: Das griechisch­e Wort für Kirche, „ecclesia“, meint eigentlich „herausrufe­n“. So verstanden ist der Streik ein Weckruf, ein Ruf, der aufwecken will. Was sagt es aus über den Zustand der katholisch­en Kirche, wenn Frauen in dieser Weise glauben, „aufwecken“zu müssen? Sehen Sie das als eine Bankrotter­klärung?

Schavan: Ich sehe diese Aktion als eine Chance in sehr schwierige­r Zeit, endlich einander ernst zu nehmen im Dialog. In der nächsten Generation werden die Frauen nicht einmal mehr streiken. Sie bleiben einfach weg.

Abt Johannes: Nein, das ist keine Bankrotter­klärung, die Aktion zeigt, wie viel den streikende­n Frauen an der Kirche liegt und noch mehr an der Botschaft, die wir verkünden sollen. Ob der Streik dafür das richtige Zeichen ist, darüber kann man unterschie­dliche Ansichten haben. Aber die Frauen bringen damit zum Ausdruck, welchen Reformstau sie in ihrer Kirche wahrnehmen und welche Veränderun­gen sie sich wünschen. Diese Themen ins Gespräch zu bringen, ist absolut notwendig.

Abt Johannes, Sie stehen der Benediktin­erabtei St. Bonifaz in München und Andechs vor. Welche Rolle, würden Sie sagen, spielen Frauen in der Abtei beziehungs­weise für diese?

Abt Johannes: Wir sind sehr dankbar, dass in unseren beiden Klöstern zum Beispiel unsere Arbeit in der Seelsorge, aber gerade auch unser soziales Engagement in der Obdachlose­nhilfe von vielen Frauen mitgetrage­n wird. In unserer Arztpraxis für die Obdachlose­n arbeiten eine Ärztin, eine Krankensch­wester und eine Sprechstun­denhilfe und ich habe den Eindruck, dass gerade die Frauen den vielen männlichen Gästen sehr guttun.

Könnten Sie sich vorstellen, Ihre Klöster für Nonnen zu öffnen – und damit auch diese Form des geistliche­n Zusammenle­bens zu erproben?

Abt Johannes: Wir haben guten Kontakt zu der Benediktin­erinnenabt­ei Venio hier in München und pflegen auch mit anderen weiblichen Ordensgeme­inschaften einen regen Austausch. Doppelklös­ter, wie Sie es vorschlage­n, gab es ja schon immer in der Kirchenges­chichte. Ob das für St. Bonifaz etwas wäre, kann ich nicht sagen. Das müsste ich mit der Gemeinscha­ft beraten. Aber beist der geistliche Austausch zwischen Frauen und Männern etwas sehr Anregendes.

Haben Sie beide das Gefühl, dass Frauen in der Kirche am Rande stehen? Dass sie Kuchen backen sollen fürs Pfarrfest, ansonsten aber wenig zu sagen haben – eben weil kirchliche Macht letztlich an der Weihe hängt? Schavan: Sie stehen nicht am Rande. Gleichwohl sind Deutungsho­heit und Entscheidu­ngsmonopol gebunden an das Amt. Und es wird darauf geachtet, dass das tunlichst so bleibt und dieses Amt gleichsam vor den Frauen geschützt wird.

Abt Johannes: Ich glaube auch nicht, dass Frauen am Rande stehen. Oft sind sie das Herzstück einer Gemeinde.

Als ein Grund für die durch (Macht-)Missbrauch ausgelöste schwere Krise der katholisch­en Kirche gilt, dass diese zu männerbünd­isch sei. Wäre eine weiblicher­e Kirche eine andere, vielleicht eine bessere Kirche? Schavan: Frauen sind nicht bessere Menschen und müssen es auch nicht sein, um gleichbere­chtigt zu sein. Klar ist aber auch: Teams, bestehend aus Männern und Frauen, sind besser als solche, in denen nur Männer oder nur Frauen sind.

Abt Johannes: Ob die Kirche dann eine bessere Kirche wäre, weiß ich nicht. Jedenfalls hat Jesus in seiner engeren Nachfolge sowohl Frauen als auch Männer gerufen und unter dem Kreuz waren es die Frauen, die ihm in besonderer Weise die Treue gehalten haben. Von daher, glaube ich, ist eine weiblicher­e Kirche, wie Sie es nennen, eine Kirche, die mehr dem Evangelium entspricht. Und das ist die Ur-Kunde, an der wir uns orientiere­n sollten.

Frau Schavan, Sie waren bis Sommer 2018 deutsche Botschafte­rin beim Heiligen Stuhl. Sie waren also im Machtzentr­um dieser Kirche der Männer. Fühlten Sie sich als Frau als Exotin, als anerkannt?

Schavan: Eine Diplomatin ist anerkannt. Die Zahl der Frauen im Diplomatis­chen Korps war erfreulich hoch. Das ist allerdings keine Entscheidu­ng der Kirche, sondern der Länder, die diplomatis­che Beziehunge­n mit dem Heiligen Stuhl pflegen.

Ein mächtiger Kirchenman­n war Kurienkard­inal George Pell. Er wurde inzwischen von einem Gericht in Australien wegen Kindesmiss­brauchs zu sechs Jahren Haft verurteilt. Als Nachfolger­in Pells wird mit Claudia Ciocca eine Frau als Leiterin des vatikanisc­hen Wirtschaft­ssekretari­ats gehandelt. Wäre sie eine Sensation? Schavan: Das wäre ein gutes Zeichen.

Abt Johannes: Hier sollte Kompetenz entscheide­n und nicht, ob es eine Sensation wäre. Aber wenn die entspreche­nde Kompetenz bei Frau Ciocca gegeben ist, was ich nicht beurteilen kann, dann fände ich ihre Berufung in diese verantwort­ungsvolle Aufgabe ein starkes Zeichen.

Wäre diese Personalie Beginn weiterer Reformen? Sie, Abt Johannes, schreiben in Ihrem jüngsten Buch, dass es sinnvoll wäre, wenn es auch Kardinälin­nen gäbe – kirchenrec­htlich wäre das problemlos möglich. Abt Johannes: Bis 1917 war das Kardinalat nicht an die Weihe gebunden, sondern es gab männliche Laien, die diesen Dienst ohne Weihe ausübten. Warum können nicht auch weibliche Laien diesen Dienst ausüben, etwa eine lebenserfa­hrene Mutter, eine Ordensober­in oder eine christlich­e Managerin?

Sind Sie auch für Priesterin­nen und Diakoninne­n, Frau Schavan? Schavan: Ich bin schon lange für eine Weiterentw­icklung der Theologie des Amtes, die Männer und Frauen betrifft.

Das konservati­ve, „papsttreue“Forum Deutscher Katholiken verurteilt­e die Aktion „Maria 2.0“heftig: Hier werde „in durchsicht­iger Weise der sexuelle Missbrauch instrument­alisiert, um das Frauenprie­stertum durchzuset­zen“.

Schavan: Heute gehören Papsttreue und die Bereitscha­ft zum Wandel zusammen. Man lese nur die Rede von Papst Franziskus im Konklave oder seine bislang veröffentl­ichten Dokumente. Im Übrigen geht es nicht um modern oder traditione­ll. Schon der Blick in die Tradition zeigt viel Potenzial für den Wandel. Denken Sie nur an die Rolle von Äbtissinne­n im Mittelalte­r.

Abt Johannes: Weil Gottes Geist wirkt, ist Kirche immer im Werden, und dazu braucht es auch den Konflikt. Von daher finde ich die Auseinande­rsetzung nicht schlecht, allerdings sollte man in der Argumentas­timmt tion fair und evangelium­streu bleiben. Das wäre wichtig.

Papst Franziskus hat kürzlich gesagt, es werde keine schnelle Entscheidu­ng zur Einführung eines Frauendiak­onats geben; eine von ihm eingesetzt­e Kommission sei bei diesem Thema nicht zu einer einheitlic­hen Sichtweise gekommen.

Abt Johannes: Fakt ist, dass Frauen Jesus dienten – zumindest die Schwiegerm­utter des Petrus – und Maria, die ja von sich selbst sagt: Ich bin die Magd, die Dienerin des Herrn. Das sollte uns Männern doch zu denken geben, wie wir mit Diensten in der Kirche umgehen. Schauen Sie Maria von Magdala an: Als sie Jesus am Ostermorge­n begegnet, nennt er sie beim Namen und macht sie so zum Ausgangspu­nkt der Osterverkü­ndigung. Frauen und Männer sind also gleichbere­chtigt berufen zum Dienst am Evangelium. Maria von Magdala aber ist es, die zu den Aposteln geht und verkündet, sie habe den Herrn gesehen. Wenn Jesus in den Dienst ruft, dann sieht er auf den Menschen und nicht auf Mann oder Frau …

Verstehen Sie, dass selbst viele gläubige Katholiken die Geduld mit der Kirche verlieren – nicht nur die Frauen, die „Maria 2.0“unterstütz­en?

Schavan: Ja.

Abt Johannes: Ja, absolut, aber Gott sei Dank gibt es ja auch außerhalb der Kirche viel Heil – das Reich Gottes ist am Wachsen, wo wir es oft gar nicht erwarten. Und das stimmt mich nach wie vor sehr hoffnungsf­roh. ⓘ

Annette Schavan, 1955 im nordrhein-westfälisc­hen Jüchen geboren, war von 2014 bis 2018 deutsche Botschafte­rin beim Heiligen Stuhl in Rom – als erste Frau, die die Bundesrepu­blik in dieser Funktion vertrat. Zuvor war die engagierte Katholikin CDUBundesb­ildungsmin­isterin.

Johannes

Eckert, 1969 in

Mosbach in Baden-Württember­g geboren, ist seit

2003 Abt der Benediktin­erabtei St.

Bonifaz in München und Andechs. Sein aktuelles Buch heißt „Steht auf! Frauen im Markus-Evangelium als Provokatio­n für heute“(Verlag Herder, 144 Seiten, 16 Euro)

„In der nächsten Generation werden die Frauen nicht mehr streiken. Sie bleiben dann einfach weg.“

Annette Schavan

„Wenn Jesus in den Dienst ruft, dann sieht er auf den Menschen und nicht auf Mann oder Frau.“

Abt Johannes

 ?? Fotos: Imago Images; Laurence Chaperon, Kloster Andechs ?? Madonnen-Statuen unter Folie in einem Souvenir-Shop: Frauen protestier­en derzeit dafür, in der katholisch­en Kirche mehr Gehör zu finden.
Fotos: Imago Images; Laurence Chaperon, Kloster Andechs Madonnen-Statuen unter Folie in einem Souvenir-Shop: Frauen protestier­en derzeit dafür, in der katholisch­en Kirche mehr Gehör zu finden.
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Annette Schavan
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Johannes Eckert

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