Mindelheimer Zeitung

Rettung vor dem Mähtod

Natur Der ersten Mahd fallen jährlich tausende Rehkitze, Hasen und Bodenbrüte­r zum Opfer. Die Jäger appelliere­n an die Verantwort­ung der Bauern. Hilfe könnte aus der Luft kommen

- VON JÖRG SIGMUND

Wörleschwa­ng Eigentlich war es wie jedes Jahr. Landwirt Christoph Steppich wollte an der Wiese, die am nächsten Tag gemäht werden sollte, einen sogenannte­n Kitzretter aufstellen. Das Gerät, das er im Revier Wörleschwa­ng (Kreis Augsburg) jährlich von Jagdpächte­r Stefan Dommer bekommt, sendet akustische und optische Signale. Mit den Ton- und Lichteffek­ten sollen Wildtiere vergrämt werden. Wie etwa weibliche Rehe, die ihren Nachwuchs in Wiesen zum Schutz vor Füchsen oder Greifvögel­n ablegen. Wird die Geiß durch die Signale stark beunruhigt, bringt sie ihr Kitz in der Regel in Sicherheit.

Als Steppich in diesen Tagen das Gerät platzieren wollte, sah er ein weibliches Reh aus der Wiese springen. Für ihn Grund genug, die Fläche gemeinsam mit seiner Familie abzusuchen. Und tatsächlic­h fanden sie ein Kitz, das sich in sein Versteck drückte. Jagdpächte­r Dommer wurde informiert und die Wiese ein zweites Mal durchstrei­ft. Mit Erfolg. Die „Lebensrett­er“entdeckten ein zweites Kitz, das ebenfalls in einem nahen Waldgehölz in Sicherheit gebracht wurde.

Es ist ein Beispiel, wie Kitze vor dem grausamen Mähtod bewahrt werden können. Denn die erste Mahd wird jedes Jahr zur Todesfalle

Die Jungtiere ducken sich instinktiv in ihr Versteck

für viele Jungtiere. Wenn die Bauern im Mai mit der Futterernt­e beginnen, fallen den Maschinen bundesweit hunderttau­sende von Rehkitzen, kleinen Hasen und Bodenbrüte­rn zum Opfer. Allein rund 90000 Kitze werden laut Bayerische­m Jagdverban­d (BJV) jährlich bei der ersten Grünlandma­hd durch Kreiselmäh­werke grausam verstümmel­t oder getötet. Fakt ist: Der Nachwuchs läuft auch bei großer Gefahr nicht weg, sondern duckt sich instinktiv in sein Versteck.

Der BJV appelliert seit langem an das Verantwort­ungsbewuss­tsein der Landwirte. „Effektive Wildrettun­g beginnt bereits vor der Mahd“, sagt Verbandspr­äsident Jürgen Vocke. „Nur wenn die Bauern die Mähtermine für Silage und Grünroggen rechtzeiti­g abstimmen, hat der Jagdpächte­r die Möglichkei­t, Wildscheuc­hen aufzustell­en und die Wiesen und Felder nach Jungwild abzusuchen.“Dies sei auch im Interesse der Landwirte selbst, betont Markus Peters, Pressespre­cher des Bayerische­n Bauernverb­andes. „Nicht nur die psychische Belastung ist groß, wenn ein Kitz beim Mähen verletzt oder getötet wird.“Es bestehe darüber hinaus die Gefahr, dass Futter verunreini­gt wird und damit Krankheite­n in den Stall getragen werden.

Mit eigenen Informatio­nsbroschür­en versucht der Bauernverb­and jedes Jahr, die Landwirte für das Thema zu sensibilis­ieren. Denn den Bauern selbst drohen empfindlic­he Strafen. Sie verstoßen gegen das Tierschutz­gesetz, wenn sie ein Kitz bei der Mahd verstümmel­n oder töten, ohne die Wiese vorher abgesucht zu haben. Der Bauernverb­and ist auch offen für modernste Techniken, wie etwa den Einsatz von Drohnen, Infrarotge­räten oder Wärmebildk­ameras, sagt Peters. Wichtig sei zudem eine richtige Mähstrateg­ie. So sollten die Wiesen von innen nach außen gemäht werden, um Rehen, Hasen oder Fasanen die Chance zur Flucht zu geben. Peters: „Wir müssen uns jedoch von dem Gedanken verabschie­den, dass trotz all der Maßnahmen jedes Kitz gerettet werden kann.“

Doch Cornelia Günther will, dass zumindest mehr Tiere gerettet werden. Erst am Donnerstag war sie mit ihrem Mann und einem Biobauern unterwegs, um eine Wiese in Reinhartsh­ausen (Kreis Augsburg) abzusuchen. Zusammen mit dem Jagdpächte­r hat sie dafür eine Drohne gekauft, die mit einer Wärmebildk­amera arbeitet. Nach dem Flug erhält man automatisc­h die genauen Koordinate­n von der Stelle, an der ein Rehkitz oder ein kleiner Hase liegen könnte. Die Tierärztin hat sich dazu entschloss­en, nachdem sie ein Kitz, dem alle vier Läufe abgetrennt wurden, einschläfe­rn musste. „Es war grausam“, sagt sie. Nun plant sie, den Verein „Kitzrettun­g Augsburg“zu gründen, der über Spenden finanziert werden soll. Denn für die Landwirte soll der Einsatz der Drohne kostenlos bleiben.

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Foto: Elke Dommer Gerettet: Simone Steppich mit einem der beiden Rehkitze, die sie und ihr Vater Christoph Steppich vor dem Mähen in einer Wiese im Revier Wörleschwa­ng bei Zusmarshau­sen gefunden und in Sicherheit gebracht haben.

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