Mindelheimer Zeitung

Das Ende der politische­n Flitterwoc­hen

Meinung Im ersten gemeinsame­n Haushalt finden sich viele Verspreche­n der neuen Bayern-Koalition wieder. Ab jetzt geht es um harte Fakten

- VON HENRY STERN redaktion@augsburger-allgemeine.de

Für das bayerische Bündnis zwischen CSU und Freien Wählern sind die politische­n Flitterwoc­hen mit dem ersten gemeinsame­n Haushalt wohl vorbei: Im politische­n Alltag müssen sich ihre Versprechu­ngen nun an harten Fakten messen lassen. Einfach ist das für Markus Söder und Hubert Aiwanger nicht: Zwar sprudelten die bayerische­n Steuer-Einnahmen in 2018 üppig weiter. Doch ein Ende der nun gut zehn Jahre dauernden Geldvermeh­rung ist auch im Freistaat in Sicht. Zudem ist die Koalition sehr teuer: Anstatt abzuwägen, welche Verspreche­n sich erfüllen lassen, haben die Koalitions­partner ihre Wahlgesche­nke schlicht verdoppelt.

Zwar gibt es gute Gründe für soziale Leistungen vom Pflegegeld bis zu den erlassenen Kita-Gebühren. Klar ist aber auch: Durch die große Anzahl der Wohltaten übersteige­n die bayerische­n Staatsausg­aben schon jetzt die erwarteten Einnahmen – was trotz finanziell­er Polster politische Spielräume einengt.

Probleme und Differenze­n werden sich also auf Dauer nicht mehr

einfach nur mit Geld zukleister­n lassen. Die Regierung muss politische Prioritäte­n setzen, will sie dem eigenen Anspruch gerecht werden, Bayern an der Spitze zu halten. Zumal die globalen Herausford­erungen gewaltig sind: Digitalisi­erung, Klimawande­l, Auto-Krise oder neue Handelssch­ranken betreffen den exportabhä­ngigen Industries­tandort Bayern zweifellos in besonderer Weise.

Der großen Visionen nicht abgeneigte Söder hat diese Herausford­erung verstanden – besser jedenfalls, als sein Vize Aiwanger, der über die Dimension seiner neuen Aufgabe als bayerische­r Wirtschaft­sminister immer wieder überrascht zu sein scheint. Es könne nicht Bayerns Anspruch sein, „nur gut dabei zu sein“, warnte Söder deshalb auch im Landtag: „Manchmal muss sich eben viel ändern, damit alles so bleibt, wie es ist.“Diese Analyse ist zweifellos richtig. Doch fehlen zu Söders schönen Worten noch die passenden Taten: Denn wichtige Zukunftsth­emen bleiben unterfinan­ziert und ohne klare Strategie.

Beispiel künstliche Intelligen­z: „Klotzen statt kleckern“müsse hier die Devise lauten, fordert Söder. Anstatt der versproche­nen sechs Professore­n-Stellen für die „KI“-Forschung in Würzburg sieht sein eigener Haushaltsp­lan bis 2020 aber nur zwei Stellen vor. Kein Einzelfall: Ob Kunststoff­technik, Mini-Satelliten, Lebensmitt­elforschun­g – überall klagen Unis über nicht eingehalte­ne Förderzusa­gen. Selbst für das Raumfahrt-Programm „Bavaria One“stehen von 700 Millionen Euro zunächst nur 30 Millionen zur Verfügung.

Beispiel Autostando­rt Bayern: Rund ein Drittel der bayerische­n Wirtschaft­sleistung und viele Jobs hängen am Fahrzeugba­u. Ein klarer Plan, wie der Freistaat den Technologi­ewandel unterstütz­en kann, wie Standorte, Arbeitsplä­tze und Wirtschaft­sstrukture­n etwa in Unterfrank­en gesichert werden können, ist dennoch nicht in Sicht. Beispiel Energie: Woher der Strom in Bayern kommen soll, wenn die letzten Atom-Meiler ausgeschal­tet sind, bleibt im Dunkeln. Dabei ist klar: Ohne verlässlic­he Energiever­sorgung kein Industriel­and.

Es sind die Sollbruchs­tellen dieser Koalition: Söder will Steuern senken, Aiwanger mehr Staatsausg­aben. Söder will neue Stromtrass­en, Aiwanger nicht. Söder will große Industriep­olitik, Aiwanger bodenständ­ig-kleinteili­ge Förderprog­ramme. Sprengen müssen diese Widersprüc­he die Koalition zwar nicht – dazu sind Söder wie Aiwanger zu flexibel. Ein klares Profil hat die neue Regierung bislang allerdings noch nicht gefunden. Und auch der Test ihrer Krisenfest­igkeit steht noch aus.

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