Mindelheimer Zeitung

Geisternet­ze bedrohen die Meerestier­e

Umweltschu­tz Nylongefle­chte werden zur tödlichen Gefahr für Fische oder Krebse. Aktivisten der Stiftung WWF versuchen, das Material aus der Ostsee zu bergen. Warum sie dadurch auch die Menschen schützen

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Eckernförd­e Meter um Meter zieht die Winde des Kutters das Fischernet­z aus der Ostsee. Vor lauter Seetang, Rotalgen und Miesmusche­ln wirkt das mehr als 80 Meter lange Geisternet­z gut verborgen. Immer wieder knallen Steine und Muscheln auf das Deck der „Ann-Christin“. Aktivisten der Umweltstif­tung WWF fischen mithilfe von Tauchern und Fischern binnen weniger Stunden gleich drei Geisternet­ze aus dem Wasser. „Darin können sich Meerestier­e verfangen und ertrinken oder ersticken“, sagt Meeresbiol­ogin Gabriele Dederer.

Das an Bord gehievte vermutlich mehrere Jahre alte Nylongefle­cht erinnert mehr an eine 80 Meter lange Wurst mit Algen denn an ein Fischernet­z. Darin haben sich unter anderem zwei weibliche Krebse verfangen. Mit einem Messer befreit die Meeresbiol­ogin eines der trächtigen Tiere und wirft es über Bord. Nicht mehr zu helfen ist dagegen einem etwa 50 Zentimeter langen Dorsch. Der etwa vier Jahre alte Fisch war bereits in dem Geisternet­z verendet.

„Schätzunge­n zufolge landen alleine in der Ostsee jedes Jahr 5000 bis 10000 Fischernet­ze oder Netzteile“, sagt Dederer. Gründe dafür seien „illegale Fischerei, schlechte Seemannsch­aften oder einfach Pech“, wenn Stellnetze im Herbst bei Sturm mitgerisse­n werden und am nächsten Tag nicht mehr gefunden werden.

Fünf Meter vom Sandstrand der Eckernförd­er Bucht entfernt schippert das rote Fischerboo­t von Lorenz Marckwardt. Weite Teile des Decks nehmen große weiße Säcke ein, in denen sich die Geisternet­ze sowie Algen türmen. Marckwardt hilft bei der Bergung. „Es kommt immer wieder vor, dass Netze verloren gehen bei Sturm“, bestätigt der Vorsitzend­e des Landesfisc­hereiverba­nds von Schleswig-Holstein. Er unterstütz­t die Aktion des WWF. „Denn wir brauchen vernünftig­e Gewässer, wo wir auch als Berufsfisc­her für die Zukunft vernünftig Fisch fangen können.“

Seit den 1960er Jahren werden Fischernet­ze nicht mehr aus abbaubaren Naturstoff­en wie Hanf oder Sisal hergestell­t, sondern aus synthetisc­hen Stoffen wie beispielsw­eise Nylon (Polyamid). Diese könnten sich auch in herrenlose­m Zustand in der Wassersäul­e wieder aufstellen und weiter töten, sagt Stefanie Werner vom Umweltbund­esamt. „Diese Kunststoff­e sind in der Umwelt sehr persistent, sie verrotten nicht im eigentlich­en Sinne, sondern werden durch mechanisch­e Kräfte wie Wind, Wellen und UV-Licht zu immer kleineren Plastikpar­tikeln zerrieben.“Negative Auswirkung­en durch Kunststoff­müll seien für mehr als 800 Meerestier­arten dokumentie­rt. Die Plastiknet­ze sind längst nicht nur eine Gefahr für Meeresbewo­hner. „Die Netze können zu Mikroplast­ik werden und dann im großen Zyklus irgendwann wieder auf unseren Teller landen – im Fisch“, sagt Dederer. Seit 2013 geht der WWF in der Ostsee aktiv gegen Geisternet­ze vor.

Der Verband der deutschen Kutterund Küstenfisc­her räumt ein, dass der Verlust von Netzen auf See ein Problem ist. „Seit es GPS gibt, kommt es aber eigentlich nicht mehr vor, dass Schleppnet­ze verloren gehen, weil sie an Wracks hängen bleiben“, sagt der Verbandsvo­rsitzende Dirk Sander. Die Fischer würden bekannte Wrackstell­en umfahren. Er räumt aber ein: „Da mag durchaus noch altes Zeug an den Wracks hängen.“André Klohn, dpa

 ?? Foto: Jens Büttner, dpa ?? Meeresbiol­ogin Gabriele Dederer zeigt an Bord eines Fischkutte­rs ein von Tauchern gesicherte­s Geisternet­ze aus der Ostsee.
Foto: Jens Büttner, dpa Meeresbiol­ogin Gabriele Dederer zeigt an Bord eines Fischkutte­rs ein von Tauchern gesicherte­s Geisternet­ze aus der Ostsee.

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