Aufklärung des Grauens
Gericht Staatsanwältin fordert für Todespfleger Högel nach stundenlangem Plädoyer lebenslänglich
Oldenburg Das geforderte Strafmaß für den mutmaßlichen Serienmörder und Ex-Krankenpfleger Niels Högel konnte nicht überraschen. „Lebenslange Freiheitsstrafe unter Feststellung der besonderen Schwere der Schuld“, beantragte Oberstaatsanwältin Daniela SchiereckBohlmann in ihrem stundenlangen Plädoyer. Und das wegen 97-fachen Mordes. In drei Fällen sei er hingegen freizusprechen.
Högel sitzt bereits wegen zwei Morden und zwei Mordversuchen lebenslang unter Feststellung besonderer Schwere der Schuld im Gefängnis. Somit kann der 42-Jährige nur in Ausnahmefällen – etwa bei schwerer Krankheit – nach 15 Jahren freikommen.
Doch bei diesem besonderen Prozess geht es nicht um die Strafe, sondern vor allem um die Aufklärung der vermutlich größten Mordserie im Nachkriegsdeutschland. Högel hatte seinen Opfern lebensbedrohliche Medikamente gespritzt, um später bei der Reanimation zu glänzen.
Die Dimension der Verbrechen machte Gaby Lübben deutlich. Statt die angeklagten Taten einzeln aufzuzählen, schaltete die Rechtsanwältin und Nebenklagevertreterin einen Beamer ein und zeigte in langsamer Folge auf zwei Leinwänden Fotos vieler Opfer. Högel habe einmal gesagt, dass ihn die toten Seelen im Traum besuchen, er sie aber nicht zuordnen könne, erinnerte Lübben. „Deshalb stelle ich sie Ihnen jetzt vor.“
Bei jedem Foto erzählte sie aus dem Leben der getöteten Menschen. Nach jedem Opfer herrschte jeweils ein Moment Stille im Saal. Staatsanwältin Schiereck-Bohlmann ging dezidiert jeden einzelnen der angeklagten 100 Fälle durch. „Allein die Aussage ,Größter Serienmörder der Geschichte‘ reicht nicht aus, ihn zu verurteilen“, sagte die Oberstaatsanwältin.
Anwältin Lübben sagte, sie habe oft die Frage gehört, wozu das Verfahren noch geführt werde. „Die Klarheit, die wir hier erlangen konnten, hilft den Angehörigen, das Erlebte verarbeiten zu können.“Allerdings hätten die Angehörigen auf „ehrliche Worte der Reue“von Högel gehofft. Sie seien aber enttäuscht worden. Angehörigen-Sprecher Christian Marbach hatte Högel vor dem Plädoyer als Lügner bezeichnet. Anders als angekündigt habe dieser die Chance nicht genutzt, zur Aufklärung beizutragen, reinen Tisch zu machen und den Angehörigen Wahrheit zu verschaffen.