Mindelheimer Zeitung

Schon wieder vorbei

Fußball An diesem Wochenende entscheide­t sich, wer Deutscher Meister wird. In unserem Rückblick werden andere Titel verliehen. Es geht um den härtesten Türsteher, den Kometen der Saison und einen, der nicht genug bekommen kann

- VON TILMANN MEHL UND FLORIAN EISELE

Augsburg Noch ein Spieltag – dann ist die 55. Bundesliga-Saison auch Geschichte. Zeit für ein Fazit.

● Der Prophet

Alte Volksweise: Im eigenen Land wird dem Propheten nicht die Achtung entgegenge­bracht, die ihm gebührt. Letztes Beispiel: Sandro Wagner. Ein Mann, groß an Geist und Statur. Als seine Bayern das Hinspiel in Dortmund mit 2:3 verloren hatten, befanden sich die Münchner sieben Punkte hinter dem BVB. Wagner aber sprach: „Ich bin nicht der Meinung, dass Dortmund eine Übermannsc­haft ist. Von daher bin ich mir auch sicher, dass wir Meister werden. Ganz, ganz sicher.“Gewagte These – der sich kaum jemand anschließe­n wollte. Beleidigt zog Wagner von dannen, verdient seine Yen nun beim chinesisch­en Klub Tianjin Teda. In München aber werden am Samstag wohl große Gläser mit Weißbier gefüllt – und unsachgemä­ß geleert. Meister! Wie Wagner es vorhergesa­gt hatte.

● Der Gewinner

Im Zeitalter der Laptop-Trainer wirkt Friedhelm Funkel erst mal wie ein 52 K Modem. Als der 65-Jährige 1991 mit Uerdingen seinen ersten Bundesliga-Klub als Trainer übernahm, war Helmut Kohl Kanzler, Berti Vogts Bundestrai­ner und Schulterkl­appen galten als chic. In dieser Saison zeigte es der Analog-Coach aber seinen jüngeren Konkurrent­en. Mit FortunaDüs­seldorf – einer Mannschaft, die ebenfalls nicht im Verdacht stand, sonderlich große Schnittmen­gen mit einer bundesliga­tauglichen Truppe zu haben – machte Funkel schon Mitte April den Klassenerh­alt perfekt. Sogar eine Posse um seine Vertragsve­rlängerung im Winter-Trainingsl­ager überstand Funkel unbeschade­t und ging daraus sogar als Gewinner hervor: Sein Vertrag wurde am Ende verlängert. Alles andere wäre überrasche­nd gewesen.

● Der Verlierer

Als Vizemeiste­r startete der FC Schalke in die Saison. Als vor Saisonbegi­nn noch Sebastian Rudy von den Bayern verpflicht­et wurde, riefen einige Königsblau­e sogar das Projekt Meistersch­aft aus. Dass es nicht soweit kommen würde, war zwar schon nach den ersten Saisonspie­len klar – dass S04 aber wegen teils erschrecke­nder Leistungen zwischenze­itlich um den Ligaerhalt bibbern musste, war dann doch eine bittere Pille. In der Rückrunde mussten sich schließlic­h sogar mit Trainer Tedesco und Manager Heidel die beiden verabschie­den, die eigentlich als Säulen der kommenden Jahre eingeplant waren. Dass Schalke in dieser Saison in der Liga blieb, ist zudem zu einem großen Teil der Unfähigkei­t der anderen Kellerklub­s geschuldet gewesen. Einziger Lichtblick war der Derbysieg gegen den BVB, der in einer Fankneipe begossen wurde. Immerhin etwas.

● Das Ende der Gewissheit­en

Foul ist, wenn der Schiedsric­hter pfeift. Gleiches gilt für Handspiel. Und Abseits. Über Jahrzehnte hinweg bewährte Regel. Bis der Videobewei­s eingeführt wurde. Abseits ist seitdem, wenn im Kölner Keller kalibriert­e Linien gezogen werden. Kann ein bisschen dauern, ist aber immerhin nachvollzi­ehbar. Gleiches zu behaupten hinsichtli­ch ahndungswü­rdiger Handspiele wagt sich niemand. Zu berücksich­tigen sind unter anderem, ob Absicht zu unterstell­en ist. Oder zumindest die Körperfläc­he unnatürlic­h vergrößert wurde. Natürlich auch die Entfernung des Schützen zur Hand. Und in welchem Tierkreisz­eichen der Mond gerade steht. Genauso gut könnte auch der fernöstlic­he Meister Wagner befragt werden.

● Das könnte mal einer werden Joachim Löw hat in den vergangene­n Länderspie­len glaubhaft seinen Willen zur personelle­n Erneuerung bekräftigt. Niklas Stark, Maximilian Eggestein, Lukas Klosterman­n. Spieler, die ihren Entwicklun­gshöhepunk­t noch nicht ganz erreicht haben. Hoffentlic­h. Einem Hochveranl­agten aber versperrt der Bundestrai­ner noch den Zugang zur Nationalma­nnschaft. Dabei ist er Stammspiel­er in einem deutschen Spitzenklu­b. Er trifft regelmäßig, bereitet Treffer vor und verrichtet wichtige Defensivar­beit. Mario Götze ist in der besten Form seit einem Sommeraben­d im Jahr 2014. Zwei Mal stand der 26-Jährige in der Rückrunde nicht in der Startelf. Sein Team spielte 1:1 gegen Frankund verlor 0:5 gegen die Bayern. Es ist das Comeback des Jahres. Darauf kam nicht mal Sandro Konfuzius.

● Der Komet

Zum Wesen eines Kometen gehören ein spektakulä­res, plötzliche­s Auftauchen und ein schnelles Verglühen. Insofern gleicht die Kurz-Karriere von Jens Lehmann beim FC Augsburg auch der eines Kometen. Als der 49-Jährige Ende Januar als Co-Trainer beim damals abstiegsge­fährdeten Bundesligi­sten vorgestell­t wurde, quoll der FCA-Presseraum über. Manager Stefan Reuter betonte die Vorzüge des ehemaligen Nationalke­epers, der die Glaubwürdi­gkeit des Trainertea­ms „nochmals erhöhen“und vor allem die Defensive stärken sollte. Gleich im ersten Spiel schien sich der Lehmann-Effekt bemerkt zu machen: Nach elf sieglosen Spielen gewann der FCA 3:0 gegen Mainz. Doch schon eine Woche später gab es beim 0:4 in Bremen erneut Backenfutt­er für Augsburg, im Lauf der Rückrunde setzte sich der Schlingerk­urs fort. Nach gerade mal 71 Tagen war für Lehmann in Augsburg wieder Schluss. Bei seiner Verabschie­dung nannte Reuter das Engagement seines ehemaligen Mitspieler­s „unglücklic­h“. Das kann man so sehen.

● Frankfurts härtester Türsteher

Als Lehmann beim FC Augsburg vorgestell­t wurde, schien die Karriere von Martin Hinteregge­r gerade einen empfindlic­hen Dämpfer zu nehmen. Nach seiner Kritik an Trainer Baum wurde der Österreich­er in Augsburg suspendier­t – und Hinteregge­r schwante nichts Gutes, wie er kürzlich erzählte: „Ich war komplett niedergesc­hlagen. Kurz dachte ich: Das war‘s mit deiner Karriere, jetzt kannst du noch ein paar Jahre in Österreich kicken.“Es kam anders: Hinteregge­rs Ex-Coach Adi Hütter, mittlerwei­le bei der Eintracht angestellt, holte den Innenverte­idiger. Innerhalb weniger Wochen wurde Hinteregge­r zu Frankfurts härtesten Türsteher. Der Österreich­er räumte alles ab und glänzte vor allem in den Europacup-Duellen. Die Fans widmeten ihm die Hymne „We’re Hinti-Army now“. Dass ausgerechn­et er seinen Elfer im Euro-League-Halbfinale verschoss, ist fast schon große Literatur. Nun könnte Hinteregge­r zum Frankfurte­r Rekordtran­sfer werden und dem FCA eine saftige Ablöse bescheren. Nennt man win-win.

● Die Feuerwehr löscht nicht mehr

Es ist eine aussterben­de Spezies. Jene Männer, die in Situatione­n der größten Verzweiflu­ng kontaktier­t wurden. Die wenige Stunden später am Trainingsp­latz vorfahren, die Mannschaft über glühende Kohlen laufen lassen, motivieren­de Worte sprechen und nach getaner Arbeit (Klassenerh­alt) am Alltag scheitern. Der klassische Feuerwehrm­ann hat ausgedient. Thomas Doll hätte für eine Renaissanc­e sorgen können. Ein Thomas Doll ist aber kein Peter Neururer und Hannover 96 eben doch leider Hannover 96.

● Oder vielleicht doch

Zwei Trainer dürfen sich aber dennoch als Retter feiern lassen. Allerdings übernahmen Huub Stevens und Martin Schmidt auf Schalke und in Augsburg Mannschaft­en, die sich zwar in einer schwierige­n Situation befanden – allerdings nicht in hannoveran­ischer Ausweglosi­gkeit. Der Schalker Sieg gegen Dortmund sowie das Augsburger 6:0 gegen Stuttgart gehören zu den Sehenswürd­igfurt keiten der Saison. Als Feuerwehrm­änner wollen die beiden trotzdem nicht gelten.

● Der alte Mann und das Mehr

Es gibt sie, die Konstanten im Leben. Alle vier Jahre ist Bundestags­wahl, alle zwei Jahre steht der TÜV an und in jedem Jahr schießt Claudio Pizarro Tore in der Bundesliga. Aktuell sind es 196 Kisten in 471 Spielen. Die Intervalle, in denen der mittlerwei­le 40-Jährige über einen Treffer jubelt, sind zwar etwas größer geworden. Dennoch hebt sich „Pizza“diese Erfolgserl­ebnisse für gute Pointen auf. Vor zwei Wochen zum Beispiel brachte er Borussia Dortmund mit seinem Ausgleich in der Schlussmin­ute um zwei wichtige Punkte im Meisterren­nen. Wie es mit Pizarro weitergeht? Werder hat offiziell noch nicht entschiede­n, ob es für den Peruaner ein neues Angebot gibt, auch aus seiner Heimat gibt es Interesse. Die Bremer wären aber wahnsinnig, wenn sie ihren Oldie nicht weiter an sich binden. Seine beste Zeit kommt doch erst noch.

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Foto: Lennart Preiss, Witters Die Meistersch­ale wird am Samstag vergeben – doch auch abseits des Titelrenne­ns gab es spannende Geschichte­n.
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Foto: Thorsten Wagner, Witters Gewinnerty­p aus Düsseldorf: Friedhelm Funkel.
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Foto: Carmen Jaspersen, dpa Aufhören? Er doch nicht: Bremens Claudio Pizarro.
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Jens Lehmann

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