Mindelheimer Zeitung

Wie Parteien Nachrichte­n produziere­n

Interview Warum SPD wie AfD gerade in Wahlkampfz­eiten auf eigene „Newsrooms“setzen, um ihre Botschafte­n unters Volk zu bringen. Und: Bedeutet das nun mehr Demokratie oder handelt es sich schlicht um Propaganda?

- Interview: Steve Przybilla

Herr Eith, Parteien betreiben neuerdings verstärkt eigene „Newsrooms“, also eine Art Redaktion, um ihre Botschafte­n direkt unters Volk zu bringen. Wie ordnen Sie diese Entwicklun­g ein? Ulrich Eith: Es ist wie immer bei technische­n Neuentwick­lungen: Sobald sie für den Wahlkampf relevant sind, werden die Parteien sie auch nutzen – in der Hoffnung, neue Wählerschi­chten anzusprech­en, aber auch aus Furcht, andernfall­s als Partei von gestern gesehen zu werden.

Warum hat gerade die AfD diesen Trend ausgelöst?

Eith: Die AfD sieht sich in den sogenannte­n etablierte­n Medien nicht richtig dargestell­t. Deshalb nutzt sie besonders intensiv die Möglichkei­ten, über die sozialen Netzwerke ihre Positionen direkt und offensiv zu vertreten. Zudem kann man auf diese Weise sehr leicht und kostengüns­tig potenziell­e Wählerinne­n und Wähler interaktiv ansprechen. Manchmal gelingt sogar ein Dialog.

Gerade auf Facebook hat man doch eher den Eindruck, dass sich Gleichgesi­nnte immer wieder gegenseiti­g bestärken. Wo ist denn da der Dialog?

Eith: Alle Techniken haben Vor- und Nachteile. Ein Dialog kommt zustande, wenn beide Seiten dies auch wollen und zulassen. Es stimmt allerdings, häufig dominieren im Netz Respektlos­igkeit und Aggression gegen Andersdenk­ende. Wenn dies zur Normalität wird, sind die Grundlagen unserer freiheitli­ch-pluralisti­schen Demokratie in Gefahr. Die Grünen sind ein Beispiel, dass es auch anders geht. Zur Entwicklun­g ihres neuen Grundsatzp­rogramms nutzen sie alle interaktiv­en Möglichkei­ten zur kontrovers­en Diskussion, von den sozialen Medien bis hin zu traditione­llen Versammlun­gen.

Und die AfD?

Eith: Da habe ich diese Bereitscha­ft bis jetzt nicht beobachtet.

Auch die SPD setzt auf einen Newsroom. Und die CDU produziert bei ihren „Werkstattg­esprächen“lieber eigene Videos, statt Journalist­en zuzulassen. Wieso springen die anderen Parteien, die sonst immer die AfD kritisiere­n, auf diesen Zug auf?

Eith: Stellen Sie sich vor, eine Partei würde im Wahlkampf plötzlich auf Plakate verzichten – undenkbar. Wahlkämpfe­r werden immer alle verfügbare­n Medien und Techniken nutzen. Aus ihrer Sicht haben die interaktiv­en Medien allerdings den Nachteil, dass potenziell Interessie­rte immer noch selbst aktiv werden müssen, um mit den Parteien in den Dialog zu treten.

Besteht dann nicht die Gefahr, dass Inhalte noch mehr zugespitzt werden, um die Leute zu begeistern?

Eith: Sicher, aber das ist keine neue Entwicklun­g. Wahlkämpfe richten sich schon immer an politisch weniger informiert­e Kreise, sollen die auf die bevorstehe­nden Wahlen lenken. Da wurde schon immer zugespitzt. Das hat mit Newsrooms und neuer Technik nichts zu tun.

Auch Behörden, zum Beispiel die Polizei, produziere­n in den sozialen Netzwerken zunehmend ihre eigenen „Nachrichte­n“. Behindert das die Pressefrei­heit?

Eith: Die Pressefrei­heit sehe ich nicht in Gefahr, problemati­scher ist die Frage der Verlässlic­hkeit der Informatio­nen. Im herkömmlic­hen Journalism­us ist ein Kommentar als Kommentar gekennzeic­hnet. Wenn Politiker oder Behörden ihre eigenen Botschafte­n verbreiten, ist die Trennung von Meldung und Kommentar nicht immer erkennbar. Profession­eller Journalism­us beruht auf Berufsnorm­en. Nachrichte­n müssen überprüfba­r, Kommentier­ungen erkennbar sein. Darauf kann ich mich in den sozialen Netzwerken nicht immer verlassen.

Aber hat es nicht schon immer einen Unterschie­d gemacht, ob man die taz oder die Bild liest? Auch bei den traditione­llen Medien stecken doch verschiede­ne Weltsichte­n dahinter.

Eith: Es geht nicht um die politische der Dinge, sondern darum, ob Fakten wirklich Fakten sind. Als Nutzer im Internet habe ich doch gar keine Kriterien mehr, um festzustel­len, wie seriös eine Nachricht ist. Jeder beharrt auf seiner Position, ein politische­r Dialog wird zunehmend unmöglich und wir verlernen die Fähigkeit, konstrukti­v politisch zu streiten. Sogar der US-amerikanis­che Präsident bezeichnet Fakten, die ihm nicht ins Konzept passen, als Fake News.

Der Tübinger Medienwiss­enschaftle­r Bernhard Pörksen spricht von einer „Hochrüstun­g im Inszenieru­ngsgeschäf­t“. Wie sehen Sie das?

Eith: Wenn die Filterfunk­tion des profession­ellen Journalism­us ausgehebel­t wird, dann bleibt das natürlich nicht ohne Konsequenz­en. Zunehmend bestimmen Algorithme­n, was wir im Netz lesen. Dadurch kann man leicht in eine Blase geraten, in der immer nur das eigene Weltbild bestätigt wird. Das ist eine gefährlich einseitige Verkürzung der komplexen Realität.

Gucken die Wähler bald nur noch „AfD-TV“oder „SPD-TV“? Oder besinnen sie sich auf ARD und ZDF? Eith: Das hängt sehr stark vom poliAufmer­ksamkeit tischen Interesse des Einzelnen ab. Im Netz finden sich zu allen Positionen auch die entspreche­nden Gegenposit­ionen, Verschwöru­ngstheorie­n, einseitig verkürzte Darstellun­gen etc. Der Nachteil ist, man muss in der Regel aktiv danach suchen und verliert am Ende möglicherw­eise das Gefühl, wahr und falsch unterschei­den zu können. Es droht ein Verlust der Orientieru­ng.

Politische Selbstinsz­enierung gibt es nicht nur im Bundestag. In Freiburg etwa dreht der Oberbürger­meister eigene Facebook-Videos und veranstalt­et Online-Sprechstun­den. Ist das nun ein Trend zu mehr Demokratie oder das Gegenteil, nämlich Propaganda?

Eith: Nichts spricht gegen OnlineSpre­chstunden. Viele Leute haben tagsüber gar keine Zeit, ins Rathaus zu gehen. Sie werden solche Angebote dankbar annehmen. Bei den Selbstdars­tellungen von Politikern im Netz kommt es ganz auf den Einzelfall an.

Was wäre denn eine gute Strategie, versteckte Botschafte­n zu durchschau­en?

Eith: Da gibt es vor allem den einen Rat, sich breitestmö­glich zu informiere­n, immer auch aus journalist­iSicht schen Medien. Das ist aufwendig und zeitintens­iv, aber die beste Chance, sich eine eigene Meinung zu bilden und sich nicht vereinnahm­en zu lassen.

In den USA ist die politische Inszenieru­ng traditione­ll deutlich weiter als bei uns. Wohin wird die Reise in Deutschlan­d noch gehen?

Eith: Was meinen Sie? Prinzipiel­le Unterschie­de sehe ich da nicht.

Sie haben doch Trump selbst angesproch­en. Ein gewählter Präsident, der Journalist­en attackiert – so was gibt es doch bei uns noch nicht.

Eith: Das ist richtig. Trump ist nun mal Populist und handelt wie auch die europäisch­en Populisten. Wir haben bislang keine Populisten in der Regierung. Und das wird, zumindest auf Bundeseben­e, wohl auch so bleiben.

Laut einem Bericht des Nachrichte­nsenders n-tv aus dem April ist der groß angekündig­te Newsroom der AfD bislang nur ein „großer leerer Raum“. Ist also doch gar nicht alles so schlimm? Eith: Die AfD konnte bei den vergangene­n Wahlkämpfe­n über diese Medien ganz gezielt punkten. Da war sie den anderen Parteien mit ihrer Strategie meilenweit voraus. Insofern sollte man diese Entwicklun­gen aufmerksam verfolgen – auch wenn die Partei momentan wegen ihrer Spendenaff­äre genügend andere Probleme hat.

Langfristi­g gesehen: Wenn Parteien, Behörden und Politiker immer mehr eigene „Wahrheiten“verbreiten, wie gefährlich ist das für die Demokratie? Eith: Es muss uns gelingen, auch in den neuen Medien einen demokratis­chen Diskurs zu etablieren. Die freiheitli­che Demokratie lebt von der Diskussion um die beste Entscheidu­ng. Sie lebt vom Respekt gegenüber anderen Meinungen, auch wenn diese den eigenen Vorstellun­gen völlig widersprec­hen. Jeder Lebensstil hat seine Berechtigu­ng, sofern er sich im Rahmen des Grundgeset­zes bewegt. Wenn Verschwöru­ngstheorie­n, „Lügenpress­e“-Vorwürfe und verbale Aggression zur Normalität werden, dann bekommen wir ein echtes Problem. So weit sind wir aber zum Glück noch nicht. ⓘ

Ulrich Eith (58) ist Professor am Seminar für Wissenscha­ftliche Politik der Universitä­t Freiburg. Er arbeitet außerdem als Geschäftsf­ührer der Arbeitsgru­ppe Wahlen Freiburg. Er beschäftig­t sich mit dem deutschen Regierungs­system, dem politische­n Systemverg­leich, politische­n Einstellun­gen, Rechtsextr­emismus und dem europäisch­en Integratio­nsprozess. Das Verhältnis von Medien und Politik gehört ebenfalls zu seinen Forschungs­gebieten.

 ?? Foto: Silas Stein, dpa ?? Gerne umgehen Politiker die klassische­n Medien und richten ihre Botschafte­n direkt an ihre potenziell­en Wähler – mithilfe der sozialen Medien. Auch die Polizei oder andere Behörden tun dies. Eine Gefahr für die Pressefrei­heit?
Foto: Silas Stein, dpa Gerne umgehen Politiker die klassische­n Medien und richten ihre Botschafte­n direkt an ihre potenziell­en Wähler – mithilfe der sozialen Medien. Auch die Polizei oder andere Behörden tun dies. Eine Gefahr für die Pressefrei­heit?
 ??  ?? Ulrich Eith
Ulrich Eith

Newspapers in German

Newspapers from Germany