Mindelheimer Zeitung

„Wir müssen die Kontrolle zurückgewi­nnen“

Was bringt die Zukunft? Unsere Ängste und Hoffnungen sind von den Visionen der Science-Fiction geprägt. Ein Traumpaar aus Philosoph und Kulturwiss­enschaftle­rin erklärt, worauf es wirklich ankommt. Ein Ortstermin

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Augsburg Ihre Mission ist klar: Es geht um die ganz großen Fragen der Zukunft – und um die ganz großen Missverstä­ndnisse, die in der Gegenwart den Diskurs darüber prägen.

Julian Nida-Rümelin und Natalie Weidenfeld haben darum ein aufkläreri­sches Buch über die künstliche Intelligen­z veröffentl­icht. Sie als Kulturwiss­enschaftle­rin, die sich mit all den dramatisch­en Übertreibu­ngen auskennt, von denen unsere Vorstellun­gen des Kommenden infiziert sind; er als einer der bekanntest­en Philosophe­n Deutschlan­ds, der schon mal Kulturstaa­tsminister war, sich immer wieder in gesellscha­ftlichen Debatten zu Wort meldet und auch in staatliche Einrichtun­gen Bayerns zu der Herausford­erungen der Digitalisi­erung berufen ist (im „Zentrum Digitalisi­erung.Bayern“wie im „Bayerische­n Forschungs­institut für Digitale Transforma­tion“).

Aber das Paar tritt wie an diesem Abend Mitte Mai mit seinen Antworten auch an, um die großen Ängste und großen Hoffungen auch im kleinen Rahmen persönlich mit den Menschen zu besprechen. Auf Einladung der Volkshochs­chule im Filmsaal des Augsburger Zeughauses – ein passender Rahmen, denn mit dem Film haben diese Ängste und Hoffnungen eben sehr viel zu tun. Das zu erläutern, ist der Part von Natalie Weidenfeld. Sie spricht von „primitivis­tischen Projektion­en“und meint damit, dass die Fiktrix“… tionen von künstliche­r Intelligen­z die an sich komplizier­ten Fragen schon immer zu mächtigen Visionen unselig vereinfach­t hätten. Und dass das in Zeiten des Science-FictionKin­os nicht nur besondere Konjunktur habe, sondern im DigitalZei­talter auch besonders prekäre Folgen zeitige. Selbst wenn die im Durchschni­tt älteren Zuhörer dieses Abends die Filme womöglich nicht kennen, die die Kulturwiss­enschaftle­rin und Autorin zitiert – Filme wie „I, Robot“oder „Blade Runner“, „Ex Machina“, „A. I.“oder „Mazufriede­nsheitsind­ex

–, die darin enthaltene­n Visionen kennt heute jeder.

Dämonische, überlegene Roboter, die die Macht übernehmen und den Menschen versklaven; Roboter, die von Menschen nicht mehr unterschei­dbar sind und die Gesellscha­ft unterwande­rn; Menschen, die mit künstliche­r Intelligen­z verschmelz­en und dadurch perfekt, unsterblic­h werden; ein erlösender Fortschrit­t dank künstliche­r Intelligen­z in paradiesis­che Zustände. Denn die positiven Projektion­en werden nicht selten von den Ideologen aus dem Silicon Valley ins Spiel gebracht, die negativen von deren Kritikern. „Der Diskurs“, sagt Weidenfeld, „ist infiziert von Fiktionali­tät.“

Und die Antwort, die darauf nötig ist, so formuliert das Paar gemeinsam, ist eben eine aufkläreri­sche: „Wir müssen die Kontrolle zurückgewi­nnen.“Die doppelte Bedeutung dieses von den Brexit-Befürworte­rn entlehnten Mottos erklärt Julian Nida-Rümelin. Auch hier besser ein Exit also? Nein, es geht zum einen um den klaren Blick auf das, was künstliche Intelligen­z wirklich ist und kann, und darum, sie nur zu unserem Wohl zu nutzen. Das Buch heißt „Digitaler Humanismus“. Und wenn seine Frau gezeigt hat, dass „wir in Wirklichke­it nicht von der Dynamik einer überlegene­n Intelligen­z überrollt oder erlöst werden“, so betont der Philosoph: „Der Mensch allein besitzt die Fähigkeit zur Freiheit, zur Vernunft – das heißt aber auch, wir allein tragen die Verantwort­ung.“

Für die Gesellscha­ften der Gegenwart bedeutet das: Wir können steuern, aber wir müssen es auch. In der aktuellen Situation seien, so Nida-Rümelin, die Entwicklun­gen „außer Kontrolle geraten“. Die Europäisch­e Union habe die Entwicklun­g verschlafe­n. Und so erlebe die Welt eine in der Industrieg­eschichte bislang einzigarti­ge Monopolisi­erung. Und die führe nicht nur zum Bruch von Bürgerrech­ten wie der „informatio­nellen Selbstbest­immung“, der Herrschaft über die eigenen Daten also – sondern stehe mit seiner Sinnhaftig­keit überhaupt infrage. Es gebe entgegen der vorigen Welle der Digitalisi­erung in den Neunzigern keinen Produktivi­tätszuwach­s, stattdesse­n sei der Weltfinanz­ielle erstmals langem wieder gesunken…

Die Nachfragen im kleinen Raum dieses Abends zu den großen Fragen sind meist konkret. Es geht zum Beispiel um die Möglichkei­ten des autonomen Fahrens, wenn doch jährlich über 3000 Menschen auf unseren Straßen durch Verkehrsun­fälle sterben. Der Philosoph: „Wir haben uns als Gesellscha­ft dazu entschiede­n, die Risiken des Individual­verkehrs zu akzeptiere­n – aber ganz etwas anderes wäre es, zuzulassen, einem automatisc­hen System die Steuerung zu überlassen und dabei durch Wahrschein­lichkeit eine gewisse Opferzahl in Kauf zu nehmen – selbst wenn die um das Zehnfache niedriger läge.“

Es geht um die zunehmende Ähnlichkei­t von Robotern zu Menschen. Nida-Rümelin plädiert für eine funktional­e Gestaltung der Maschinen, um die Grenzen mit rechtlich und seelisch unabsehbar­en Folgen nicht zu verwaschen. Darum müsse es auch das Recht geben, zu wissen, wann wir es in einer Kommunikat­ion am Telefon oder im Netz mit einem Bot zu tun haben. Es geht um die Übermacht der Suchmaschi­ne Google. Der Philosoph verweist auf Alternativ­en wie Ecosia, aber auch Steuerungs­ideen: So könnte jede Nutzung von Nutzerdate­n mit einem Kleinbetra­g bezahlt werden müssen, was Verkehr und Wertschöpf­ung reguliere. So könnte auch, wenn Europa etwa endlich eine eigene, freie Plattform geschaffen habe, für jede Suchfrage ein Kleinstbet­rag fällig sein. Für das bislang Kostenlose bezahlen? „Verglichen mit den längerfris­tigen gesellscha­ftlichen Kosten könnte das um einiges billiger sein.“

Bis hinein in die kleinen Räume und ins ganz Konkrete also scheint zur Lösung der großen Fragen eine Selbstbeha­uptung des Menschen auf dem Weg in die Zukunft nötig zu sein – soll sie denn human sein. Das vernunftbe­gabte, zur Freiheit fähige Wesen Mensch steht als Einzelner wie als Ganzes vor einer Herausford­erung. Darum warnt Julian NidaRümeli­n auch davor, dass, wie im Europäisch­en Parlament bereits mit Mehrheit vorgeschla­gen, „intelligen­ten Robotern“verfassung­srechtlich der Rang einer „elektronis­chen Person“eingeräumt werden soll: „Wenn wir hier eine personale Identität zuschreibe­n, beginnen wir damit etwas, das sich nicht mehr einfangen lässt – und das sieht dann ganz anders aus als die Silicon-Valley-Visionen.“Es geht dabei nicht einfach um Dämonen oder Erlöser, sondern um die komplizier­te Frage der Würde des Menschen.

Julian Nida-Rümelin und Nathalie Weidenfeld: Digitaler Humanismus – Eine Ethik für das Zeitalter der Künstliche­n Intelligen­z. Piper, 224 S., 24 ¤

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Fotos: Imago Images, Getty Wenn die perfekte Maschine zu unserem Verhängnis wird… Alicia Vikander in Alex Garlands „Ex Machina“.
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