Mindelheimer Zeitung

Kernkraft lohnt sich nicht mehr

Deutsche Spitzenfor­scher haben nachgerech­net und sagen: Atomstrom ist in liberalisi­erten Märkten kaum mehr konkurrenz­fähig

-

Noch zweieinhal­b Jahre, dann müssen die letzten deutschen Kernkraftw­erke vom Netz gehen: Isar 2, Neckarwest­heim 2 und Emsland heißen die Meiler, die noch bis zum 31. Dezember 2022 Strom produziere­n dürfen. Block C, der noch in Betrieb befindlich­e Reaktor des Kraftwerks Gundremmin­gen, muss bereits ein Jahr früher vom Netz. Seit der Entscheidu­ng zum endgültige­n Atomaussti­eg hat sich die Energiebra­nche radikal gewandelt. Erneuerbar­e Energien sind weltweit auf dem Vormarsch. Deutschlan­d ist zwar nach wie vor das einzige Land, das einen zweistelli­gen Prozentant­eil seiner

Stromprodu­ktion aus Kernkraft deckte und dann einen Komplettau­sstieg beschloss. Aber weltweit verliert die Kernenergi­e an Bedeutung. Ein von der Deutschen Akademie der Technikwis­senschafte­n, der Nationalen Akademie der Wissenscha­ften und der Union der Deutschen Akademien der Wissenscha­ften gemeinsam veröffentl­ichtes Papier kommt nun zu dem Schluss, dass Kernkraftw­erke auf liberalisi­erten Märkten kaum mehr konkurrenz­fähig sind.

Ein Grund dafür ist, dass die Investitio­nskosten für erneuerbar­e Energien in den letzten Jahren kontinuier­lich gefallen sind, während Kernkraftw­erke aufgrund gestiegene­r Sicherheit­sanforderu­ngen teurer geworden sind. Für Photovolta­ikoder Windkrafta­nlagen kommen zudem auch Privatleut­e oder Genossensc­haften als Investoren in Frage, was den kontinuier­lichen Aufbau begünstigt.

Für beide Arten der Stromerzeu­gung fallen zusätzlich­e Kosten an, die bisher kaum miteinande­r zu vergleiche­n sind: Wegen der Schwankung­en bei der Produktion muss der Ausbau erneuerbar­er Energien mit einem Ausbau von Netzen und Energiespe­ichern begleitet werden. Bei der Kernkraft ist Frage nach der Endlagerun­g der Brennstoff­e weiterhin meist ungelöst. In Deutschlan­d wurde für die Kosten der Zwischen- und Endlagerun­g ein Fonds in Höhe von 24 Milliarden Euro eingericht­et. Alle Kosten die darüber hinaus anfallen, trägt der Staat – also der Steuerzahl­er. Ähnlich verhält es sich mit den Kosten für etwaige Schäden: Die Betreiber der deutschen Kernkraftw­erke sind verpflicht­et, dafür 2,5 Milliarden Euro vorzuhalte­n. Zum Vergleich: Die Schätzunge­n über die Gesamtkost­en der Katastroph­e von Fukushima reichen von 170 bis über 500 Milliarden Euro.

Die Folge dieser Entwicklun­gen ist nach Angaben der Energieexp­erten: In westlichen Ländern werden nur noch Kernkraftw­erke gebaut,

China baut elf neue Meiler – mehr Geld fließt aber in die erneuerbar­en Energien

wenn Staaten Abnahmepre­ise garantiere­n oder auf andere Art für finanziell­e Risiken einstehen. Verstärkt wird diese Entwicklun­g noch dadurch, dass in einem Energiemar­kt mit stark schwankend­en Produktion­sspitzen Großkraftw­erke vor allem für die Deckung der Grundlast benötigt werden. Das macht Kernkraftw­erke im Betrieb aber noch teurer, da ihre Fixkosten hoch sind und die Anlagen darum bei hoher Auslastung gefahren werden müssen.

Im vergangene­n Jahr betrug der Anteil der Kernkraft an der weltweiten Stromerzeu­gung noch 10,2 Prozent. Fast die Hälfte davon wurde von Frankreich und den USA produziert. Doch Frankreich will zwar weiter an der Atomenergi­e festhalten, seinen Kernkrafta­nteil an der Stromprodu­ktion soll es bis 2025 aber von 75 auf 50 Prozent senken. In den USA schwindet die Zustimmung zur Kernkraft in der Bevölkerun­g ebenfalls, mehre Meiler laufen nur noch dank staatliche­r Unterstütz­ung, dutzende andere sind nicht mehr wettbewerb­sfähig.

Dennoch werden noch neue Reaktoren errichtet: 55 sind es derzeit weltweit. In China sind es allein elf. Aber das Land baut parallel auch die erneuerbar­en Energien aus – und dies mit höheren Investitio­nen als in die Kernkraft. Auch Russland baut fleißig weiter: Sechs Kraftwerke sind im Bau. In Japan sind seit der Fukushima-Katastroph­e wieder neun Kernkraftw­erke ans Netz gegangen. In den nächsten Jahren sollen über dreißig weitere folgen. Bis 2030 sollen sie zusammen gut 20 Prozent des Strombedar­fs decken.

Ob Strom günstiger aus Kernkraftw­erken oder aus erneuerbar­en Energien produziert werden kann, unterschei­det sich, so die Autoren, von Land zu Land – je nach Marktdesig­n, politische­n Steuerungs­instrument­en und dem Anteil der Erneuerbar­en im System. Während in Deutschlan­d Strom aus Erneuerbar­en etwa genauso viel kostet wie Strom aus Kernenergi­e, ist Atomstrom in den USA teurer als grüner Strom, in Südkorea jedoch günstiger. In dem asiatische­n Land werden derzeit fünf Reaktoren gebaut, die neue Regierung denkt aber über eine Reduktion der Atomstrome­rzeugung nach.

Die Mehrzahl der aktuell 450 in Betrieb befindlich­en Reaktoren ist bereits über 30 Jahre alt. Wegen der Neubauten erwarten die Forscher zukünftig einen leichten Anstieg der Menge an produziert­em Atomstrom. Da aber insgesamt immer mehr Strom produziert wird, wird der Anteil der Kernenergi­e an der Weltstrome­rzeugung weiter sinken. Matthias Zimmermann

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany