In Rom die Gegenwart abschütteln
Literatur Der Journalist und Schriftsteller Simon Strauß hat einen Sommer in der Ewigen Stadt verbracht. Und dort ein Buch geschrieben, das bleiben wird – buchstäblich
Wie etwas in Rom hinterlassen? Wie die ewige Stadt beeindrucken? Und zwar so, dass man glaubt, der Erste gewesen zu sein, „den sie so angeschaut hat, dessen Blick sie auf diese Weise erwiderte“? Nicht ganz leicht, dieses Unterfangen. Sind ja schon ein paar begabte Altvordere an diesem ambivalenten Sehnsuchtsort gewesen. Um sich dort ihrer selbst zu vergewissern, dabei in Abgründe zu blicken, um sich zu verorten, sich vom Südlicht beruhigen zu lassen, um die eigene Freiheit neu auszuloten, vom Zurückgelassenen zu genesen. Goethe etwa, Rolf Dieter Brinkmann, oder Ingeborg Bachmann. Und dann, „zweihundertunddreißig Jahre und acht Monate nach Goethe“, folgt Simon Strauß. Der sich mit diesem ironischen Hinweis der Überinstanz deutschsprachiger Italienfahrer elegant zu entledigen weiß.
Strauß ist promovierter Althistoriker, Redakteur im Feuilleton der FAZ, Autor des viel diskutierten Erstlings „Sieben Nächte“, Sohn des Schriftstellers Botho Strauß, Mitbegründer der Gruppe „Arbeit an Europa“. Ein junger Mann, Jahrgang ’88, der nach Rom fliegt, „um die Gegenwart abzuschütteln, das Schnipsen im Ohr loszuwerden“, sich geistig durchlüften zu lassen. Was gelingt. Wobei die italienische Hauptstadt gerade im August einen doch eher so anweht, als würde man gerade in Weißwein gegarte Artischocken aus einem Backofen holen.
Strauß jedenfalls mietet sich Anfang Juli in der Via del Corso ein, lässt sich durch den Hochsommer treiben, verschmilzt mehr und mehr mit der Stadt, beobachtet. Er führt den Leser zu der Geburtstagsparty eines stadtbekannten Messerwerfers, zum Largo di Torre Argentina, wo Caesar ermordet wurde, beschreibt, wie eine IntellektuellenSause im Hause eines Industriellen so richtig schief geht, sucht Geistliche auf, auch einen alten General. Strauß besucht die Kirchen, steht an Gräbern, sieht all die große Kunst, den Zerfall im Lande Salvinis, das Leid, befühlt im Flüchtlingslager Tiburtina die Stichnarben eines Überlebenden, beobachtet im Parlament die mit Prada behängten italienischen Abgeordneten, sieht beim abendlichen Bier die Verhärtung im Gesicht eines jungen Schauspielers, der in Italien – wie so viele der Jungen – auf seine Chance wartet und zuletzt dann doch die Rechten gewählt hat. Er verbrüdert sich mit einem unehrlichen Kellner und: verliebt sich. Natürlich. In das „Tiber-Mädchen“.
Strauß’ „Römische Tage“sind eine literarische Reportage, fiktional erweitert (und dann manchmal etwas schlüpfrig, verrutscht), ein anregender Essay, ein szenisch-greifendes Stadtporträt. Es geht – grosso modo – um Strauß in Rom. Verhandelt wird von dort aus aber Größeres: die Moderne (Skepsis), Europa (leidenschaftliche Zuneigung), der Tod, die Liebe, der Glaube. Besichtigt wird die eigene Gegenwart, die Orientierungslosigkeit in der viel zitierten „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“. Strauß weiß: „Wer zu spät auf die Welt gekommen ist, wird seine Zeit nie finden, sagt man.“
Und doch findet er zumindest zu sich selbst zurück. Strauß´ zweites Buch ist keine zeitgeistige Bummelei mit bildungsbürgerlicher Attitüde. Es ist nicht zu egozentrisch, sondern offenherzig im besten Sinn, die Balance des Pathos haltend.
Hätte man sich mehr griffige Alltagsepisoden gewünscht, ein bisschen weniger vom großen Ganzen? Vielleicht. Geht das in Rom? Eher nicht. Denn für Strauß ist Romantik ein „Diminutiv von Rom. Beide verbindet der Drang zum Universalen, zum Phantasma der erlebten Unendlichkeit. Nie sich klein machen, um auch den Kleinen zu genügen, sondern groß sein und oben bleiben. Dem Niedrigen einen hohen Sinn geben und das Stadion fluten für einen einzigen Gedichtvortrag!“
Eine winzige Kerbe sind gut zwei Monate in Rom gemessen an dem Jahrtausende überdauernden Zeitstrahl der Stadtgeschichte. Strauß weiß, er hatte keine Chance, dort „der Erste zu sein“. Rom „lässt sich von jedem lieben, der an sie denkt.“Sein Buch, der Stadt gewidmet, wird dennoch bleiben. Nicht nur, weil Strauß das erste Exemplar angetrunken im Garten der Villa Borghese vergraben hat.
» Simon Strauß: Römische Tage. Tropen, 142 S., 18 ¤