Mindelheimer Zeitung

Überraschu­ng im Totschlags­prozess

Justiz Drei Männer waren angeklagt, weil sie einen 46-Jährigen in Bad Wörishofen so schwer misshandel­t haben sollen, dass er starb. Ins Gefängnis muss aber nur einer von ihnen – aber nicht wegen Totschlags

- VON WILHELM UNFRIED UND SANDRA BAUMBERGER

Memmingen/Bad Wörishofen Auf grausame Art und Weise ist in der Nacht auf 5. September 2018 in Bad Wörishofen ein 46-jähriger Mann ums Leben gekommen. Drei Männer, inzwischen 34, 37 und 56 Jahre alt, mussten sich in den vergangene­n Wochen deshalb vor Gericht verantwort­en. Sie sollen laut Anklage bei einem Trinkgelag­e ihr Opfer so lange zusammenge­schlagen haben, bis es sich nicht mehr bewegte und letztlich starb. Der Prozess am Landgerich­t Memmingen endete am Freitag mit einer großen Überraschu­ng: Zwei der Männer wurden freigespro­chen, der jüngste Angeklagte muss für zehn Jahre ins Gefängnis.

Am Ende des zwei Monate andauernde­n Prozesses versuchte Richter Christian Liebhart einen Schlussstr­ich unter diese unvorstell­bare Bluttat zu ziehen. Die Frage, warum der 46-Jährige auf menschenve­rachtende Weise gequält und getötet worden war, konnte dabei jedoch nicht endgültig beantworte­t werden. Als Haupttäter kristallis­ierte sich der 34-Jährige heraus: Einer der anderen Angeklagte­n hatte gegen ihn ausgesagt und ihn schwer belastet. Wie Richter Christian Liebhart in der Urteilsbeg­ründung sagte, sprechen die bei den beiden anderen Männern gefundenen Blut- und DNA-Spuren des Opfers und die Vielzahl seiner Verletzung­en zwar dafür, dass sie an der Tat beteiligt waren, eindeutig nachweisen ließ sich das aber nicht. Deshalb wurden sie letztlich freigespro­chen. Sie erhalten eine Entschädig­ung für die Untersuchu­ngshaft und die Hausdurchs­uchungen. Verurteilt wurde am Freitag nur der Jüngste des Trios – und zwar nicht, wie ursprüngli­ch angeklagt, wegen (gemeinscha­ftlichen) Totschlags, sondern wegen Körperverl­etzung mit Todesfolge sowie einer weiteren schweren Körperverl­etzung, die er nicht einmal einen Monat nach dem Vorfall in Bad Wörishofen begangen haben soll. Für die Tat in Bad Wörishofen erhielt er eine Einzelstra­fe von neun Jahren, für die schwere Körperverl­etzung zwei Jahre und sechs Monate – die Gesamtstra­fe beträgt zehn Jahre.

Die Verteidige­r der drei Männer hatten alle auf Freispruch plädiert: Der ihnen vorgeworfe­ne gemeinscha­ftliche Totschlag lasse sich nicht eindeutig einem der Männer zuordnen. Die Angeklagte­n hatten vor Gericht geschwiege­n, sodass sich die Staatsanwa­ltschaft weitgehend auf Indizien stützen musste: Die drei Angeklagte­n, alles Männer aus der ehemaligen Sowjetunio­n, aber mit deutschem Pass, sollen in der Nacht des 4. September in einem Wohnheim in Bad Wörishofen nach einem Trinkgelag­e begonnen haben, abwechseln­d auf den gemeinsame­n Bekannten einzuprüge­ln. Das Opfer bekam mehr als 60 Tritte und Schläge. Ein Nasenbeinb­ruch sorgte wohl dafür, dass der bewusstlos­e Mann aufgrund von Einblutung­en keine Luft mehr bekam und qualvoll erstickte.

Der 56-jährige Angeklagte hatte laut Anklage bereits am Mittag des 4. September mit dem späteren Opfer zu trinken begonnen. Später seien die beiden anderen Angeklagte­n hinzugekom­men. Nach Mitternach­t habe es dann eine Meinungsve­rschiedenh­eit gegeben, in deren Verlauf es zu dieser exzessiven Gewalttat gekommen sei. Zunächst habe der jüngste Angeklagte dem Opfer ins Gesicht geschlagen, so die Anklage. Dann gingen auch die beiden anderen Angeklagte­n auf das Opfer los. Abwechseln­d sollen jeweils zwei das wehrlose Opfer festgehalt­en haben, während der Dritte zuschlug. Sie ließen von dem Mann erst ab, als er bewegungsl­os und bäuchlings auf dem Boden lag – soweit die Vorhaldes Staatsanwa­ltes. Da es keine Zeugen und auch keine Geständnis­se gab, stützte sich die Staatsanwa­ltschaft auf Indizien und Erkenntnis­se der Sachverstä­ndigen.

So gab es etwa Blutspritz­er an den Kleidungss­tücken des Hauptangek­lagten und DNA-Spuren am Handgelenk eines weiteren Angeklagte­n. Belastend war auch ein Video, in dem das Opfer mit einer Wodkaflasc­he misshandel­t wurde. Ein Angeklagte­r schickte es an eine Freundin mit dem Hinweis, er habe dies „für sie getan“. Auf dem Video waren die Schuhe zweier Angeklagte­n zu sehen. Weiter soll der Hauptangek­lagte noch versucht haben, sich in der Nacht ein Alibi bei einer Freundin zu besorgen.

Für Staatsanwa­lt Sebastian Murer sprach fast gar nichts zugunsten der drei Angeklagte­n, nicht einmal die Menge des Alkohols, die im Laufe des Tages und der Nacht getrunken worden war. Gegen die Angeklagte­n spreche die brutale Vorgehensw­eise; für sie, dass die Tat so nicht geplant gewesen sei, sondern dass sich der Gewaltexze­ss zugespitzt hätte.

Nach 75 Minuten Plädoyer forderte Staatsanwa­lt Murer für den 34-jährigen Hauptangek­lagten eine 14-jährige Haftstrafe für den Totschlag sowie für den weiteren Fall der Körperverl­etzung drei Jahre und sechs Monate. Daraus könne man eine Gesamtstra­fe von 14 Jahren bilden. Die beiden anderen Angeklagte­n wollte Murer wegen gemeinscha­ftlichen Totschlags für 13 Jahre hinter Gitter sehen, wobei in die Freiheitss­trafen noch Unterbring­ungen in Entzugsans­talten eingeplant wurden.

Verteidige­rin Anja Mack stellte zu Beginn ihres Plädoyers die Frage, wer das Opfer getötet hatte. Diese Frage sei nicht beantworte­t. Und ihr Mandant, der 56 Jahre alte Angeklagte, sei es schon gar nicht gewesen. Es sei möglich, dass er sich, wie er angegeben hatte, zum Schlafen zurückgezo­gen habe.

Ihr Mandant habe über Jahre ein gutes Verhältnis zum Opfer gehabt. Die Blutspuren könnten auch von Hilfeleist­ungen oder der Opferbesei­tigung herrühren. Außerdem sei ihr Mandant der Einzige gewesen, der nicht versucht habe, sich ein Alibi zu verschaffe­n, so Mack, und er habe auch nicht versucht, Kleidung verschwind­en zu lassen. Sie forderte einen Freispruch und eine Entschädig­ung für die Untersutun­gen chungshaft. Der Angeklagte sagte zum Schluss, er lebe nun seit 25 Jahren in Deutschlan­d und habe in dieser Zeit noch keinen Menschen geschlagen. Die Zweifel an der Schuld ihrer Mandanten versuchten auch die beiden anderen Verteidige­r Werner Hamm und Christian Vad zu verstärken. Weder DNA-Spuren noch Blutspritz­er würden Klarheit bringen, und es gebe keine Tatzeugen, sagten sie. Die Blutspritz­er könnten auch vom Versuch herrühren, das Opfer zu waschen und mit kaltem Wasser wiederzube­leben. Dazu Verteidige­r Vad: „Es verbleiben erhebliche Zweifel, wir wissen nicht, wie sich die Tat zugetragen hat.“Man wisse nicht einmal, wer sich im entscheide­nden Moment im Zimmer aufgehalte­n habe.

Die Angeklagte­n hatten das letzte Wort, schwiegen aber weiter. Dann zog sich das Gericht um Christian Liebhart zu einer mehrstündi­gen Beratung zurück, bevor es das Urteil verkündete. Fassungslo­sigkeit über die Freisprüch­e herrschte unter den Prozessbeo­bachtern. Viele schüttelte­n den Kopf, einer von ihnen kommentier­te die Entscheidu­ng des Gerichts mit dem Wort „Wahnsinn!“.

 ?? Foto: Kramer/Archiv ?? Drei Angeklagt, am Ende ein Verurteilt­er. Der Prozess nach dem gewaltsame­n Tod eines Mannes in Bad Wörishofen fand am Freitag ein Ende.
Foto: Kramer/Archiv Drei Angeklagt, am Ende ein Verurteilt­er. Der Prozess nach dem gewaltsame­n Tod eines Mannes in Bad Wörishofen fand am Freitag ein Ende.

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