Mindelheimer Zeitung

Waldesfrus­t

Natur Wochenlang­e Dürre, Orkane und immer wieder der Borkenkäfe­r: Das Klima macht Bayerns Forst schwer zu schaffen. Georg Lechner hat schon einmal ziemlich viel Wald verloren. Er tut das Menschenmö­gliche, damit es nicht bald wieder so kommt

- VON SARAH RITSCHEL

Aichach Wenn Georg Lechner darüber nachdenkt, was ihm das Leben besonders schwer gemacht hat in den letzten Jahrzehnte­n, dann fallen ihm auf Anhieb zwei Frauenname­n ein: Wiebke und Vivian. Vor allem Wiebke hat Verwüstung in seinen geordneten Alltag gebracht. Der wird von der Waldarbeit strukturie­rt, seit der 68-Jährige vor rund 20 Jahren seine Landwirtsc­haft verpachtet hat. Die Spuren, die Wiebke und Vivian bei ihm hinterlass­en haben, sind heute noch da. Es sind die Stellen in seinem Wald, wo die Bäume mit den dünneren Stämmen stehen. Es sind die mit den Laubkronen, wo früher eine Fichtenmon­okultur war.

Vivian und Wiebke waren zwei schwere Stürme, die im Winter 1990 durch Europa fegten, mehr als 60 Menschen das Leben kosteten und Teile von Georg Lechners Wald hinterließ­en „wie nach einem Bombenangr­iff“. Alles habe kreuz und quer gelegen. „Das können Sie sich nicht vorstellen“, sagt der drahtige Mann. An seinen Händen zehrt die körperlich­e Arbeit, im Gesicht schaut er deutlich jünger aus. Den Waldbesitz­er sieht man ihm schon an der Kleidung an: an der erdfarbene­n Cargo-Hose mit der Handytasch­e über dem Knie und an der dunkelgrün­en Regenjacke für den Fall, dass die grauen Wolken an diesem Morgen noch aufplatzen. Er weiß: Stürme wie Vivian und Wiebke werden in Zukunft öfter kommen.

Lechner besitzt 36 Hektar Wald. Wenn er mit dem Traktor die Wege darin abfährt, braucht er eineinhalb Stunden. Seine Fläche ist damit größer als die des durchschni­ttlichen bayerische­n Privatwald­besitzers, der zwei Hektar sein eigen nennt. 700 000 von ihnen gibt es in Bayern. Sie teilen sich mehr als die Hälfte des bayerische­n Forstbesta­nds. Und sie teilen große Sorgen um ihr „Holz“.

Gleich neben dem Parkplatz des beliebten Walderlebn­ispfads am Aichacher Grubet geht es in Lechners Reich. Auf einem grasigen Weg stapft er hinein, mit festen Schuhen und festem Schritt. Lechner, geboren im Aichacher Stadtteil Algertshau­sen und immer da geblieben, weiß aus Erfahrung, dass in dieser Ecke der Region „im Schnitt alle zehn Jahre“ein Sturm durchzieht, der neue Schneisen schlagen könnte. „Aber was kann ich schon tun? Ich habe die Stürme nicht bestellt, ich kann nichts für den Borkenkäfe­r. Ich kann nur schauen, wie mein Wald stabil bleibt.“

Für ganz Deutschlan­d betrachtet ist der Zustand des Forsts alles andere als stabil. Ein Patient im Sterben sei er, sagt mancher Forstwisse­nschaftler. 110000 Hektar Wald hat Deutschlan­d allein im Jahr 2018 verloren – das ist mehr als die Fläche des Landes Berlin. Die Arbeitsgem­einschaft Deutscher Waldbesitz­er nennt den Zustand des Waldes eine „Jahrhunder­tkatastrop­he“, ausgelöst von einer noch weit größeren: dem Klimawande­l.

Hans-Joachim Klemmt nimmt solche Alarmwörte­r nicht in den Mund. Er leitet die Abteilung „Boden und Klima“bei der bayerische­n Landesanst­alt für Wald und Forstwirts­chaft in Freising und vertraut auf die Wirkung der Fakten. Solche sammelt Klemmt seit 16 Jahren. „Der Klimawande­l wirkt auf den Wald in dreierlei Hinsicht“, erklärt er. Ein großes Problem seien die lang anhaltende­n Trockenper­ioden. Wochen, in denen alle paar Tage der Temperatur­rekord noch weiter über 40 Grad steigt, brächten auch den Wald ins Schwitzen. Dazu kommen Extremwett­erereignis­se wie Vivian, Wiebke, Starkregen und Schneestür­me. Zu Jahresbegi­nn etwa knickten tausende Bäume unter der tonnenschw­eren Schneelast auf den Wipfeln um. „Solche Ereignisse lassen sich nur auf kurze Zeit vorausbere­chnen“, sagt Klemmt. „Aber wir müssen davon ausgehen, dass sie zunehmen werden.“

Das dritte Problem frisst klaffende Löcher in den Wald: Die Borkenkäfe­r vermehrten sich, neue Schädlinge würden eingeschle­ppt. Mittlerwei­le seien es im Jahr bis zu vier Generation­en von Borkenkäfe­rn, „früher hatten wir zwei, höchstens mal drei“. Nach Angaben des bayerische­n Landwirtsc­haftsminis­teriums vernichtet­en Borkenkäfe­r 2018 rund viereinhal­b Millionen Festmeter Holz – mehr als doppelt so viele wie noch 2016. Die Käfer sind die einzigen, die sich am Leid der Bäume laben.

Für viele Waldbesitz­er in der Region ist der Käfer das bohrendste Problem. Die Trockenhei­t rafft hier weit weniger Bäume dahin als etwa in Unterfrank­en, wo viele Temperatur­rekorde, aber wenig Niederschl­äge fallen.

In Lechners Wald hat der Todbringer gerade wieder zugeschlag­en. Ein paar dutzend Meter entfernt vom gekiesten Weg durch seine sattgrünen, hoch gewachsene­n Fichten begrüßt er einen Bekannten, einen durchgesch­witzten Mann mit Sicherheit­sschuhen, dessen jaulendes Motorenger­äusch eben noch die Stille zersägt hat. Kein „Servus“, kein „Griaß di’“, stattdesse­n ein Ausruf: „Du machst mir ja den ganzen Wald um!“Lechner lacht trotzdem. Unter dem typisch orangefarb­enen Helm der Waldarbeit­er-Marke Stihl kommt ein hagerer Senior zum Vorschein. Er stellt sich als Andreas Reiser vor. Kleine Fliegen stürzen sich auf sein von der Arbeit nasses Haar. „Ich seh das sofort, wenn der Borkenkäfe­r drin ist.“50 Jahre Waldarbeit haben sein Auge geschult. Er deutet auf winzige braune Späne am Wurzelansa­tz eines Baums. „Da, schauen S’, wie Schnupftab­ak.“

Reiser hat Wiebke mitgemacht, aber den Käfer hält er für schlimmer. „Der hat sich so verbreitet, dass er nicht mehr in den Griff zu kriegen ist.“Wäre das hier ein Staatswald, „würde man das Doppelte an Bäumen rausschnei­den, zur Sicherheit“. Für den Privatmann ist das zu teuer. Der Holzpreis geht schon lange nur noch bergab. 30 Euro ungefähr bekommt Lechner für den Festmeter Käferholz – negativrek­ordverdäch­tig. An den Preis von 95 Euro für einen Meter Spitzenqua­lität ist auch schon länger nicht mehr zu denken.

Lechner verkauft den Großteil seines Holzes an die Aichacher Waldbesitz­ervereinig­ung, die vertreibt es an Säge- oder Kraftwerke. Einen kleinen Teil nutzt er selbst als Brennholz und versorgt sechs Häuser über ein kleines Nahwärmene­tz, unter anderem sein eigenes und das seiner Tochter. Er steigt auf einen der gefällten Stämme und schaut über ein Feld mit jungen Nadelbäume­n. „Früher war da ein Acker ohne viel Ertrag. Mein Großvater hat aus einem schlechten Acker einen guten Wald gemacht. Mein Vater hat ihn gepflegt. Und ich sehe mich als Verwalter davon.“Pflanzt er heute selber einen Baum, denkt er schon an seine vier Kinder und die sechs Enkel. Wer einen Wald hat, plant nicht in Jahren, er plant in Generation­en.

Und Lechner weiß, auch weil er seit Jahrzehnte­n eng und „hervorrage­nd“mit den Fachleuten von den Forstverwa­ltungen zusammenar­beitet: „Ein klassische­r Mischwald, der hat Zukunft.“Nach Sturm Wiebke hat er umgebaut. Linde, Eiche, Ahorn, Fichte, Kiefer, all diese Arten verteilen sich heute auf seine 36 Hektar.

Vor ein paar Tagen hat Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder im Münchner Hofgarten einen Laubbaum geherzt. Es war der Tag, als er seinen neuen Klimafahrp­lan ankündigte. Söder will in den kommenden fünf Jahren 30 Millionen Bäume pflanzen, davon fünf Millionen besonders hitzeresis­tente. Er will keine Forstgebie­te, die nur auf Wirtschaft­lichkeit ausgericht­et sind und „die Staatseinn­ahmen füttern“. Er möchte einen „Klimawald“, der vor allem CO2 bindet. Denn: „Es gilt keine Zeit zu verlieren.“

Bundesland­wirtschaft­sministeri­n Julia Klöckner will im September die ganz große Runde einläuten: den ersten nationalen Waldgipfel. Klöckner möchte erreichen, dass Bund und Länder den Wald in den kommenden vier Jahren mit mehr als einer Milliarde Euro kurieren.

In der Landesanst­alt für Wald und Forstwirts­chaft hat man den Weckruf schon vor 30 Jahren gehört, als man Lechner und Kollegen empfahl, sich von der FichtenRei­nkultur zu verabschie­den. Seit 2016 leitet Hans-Joachim Klemmt dort die Forschungs­gruppe „Baumartenw­ahl im Klimawande­l“. Sein Team hat für nahezu jede Baumart, die in Bayerns Wäldern vorkommt, eine Anbaurisik­oeinschätz­ung berechnet – so exakt, dass jeder kleine Waldbesitz­er am PC bis in sein Gebiet hineinscro­llen kann. Die Grundlage: Millionen Daten zu Boden, Niederschl­ag, Geologie, Klima.

Förster sollen heute Baumarten empfehlen, die auch in 100 Jahren noch in Bayerns Wälder passen. Fichten und Kiefern, ausgerechn­et die beiden heute meistverbr­eiteten Arten, werden dem Klima in vielen Regionen Bayerns zum Opfer fallen. Denn gerade die Fichte ist heute weit von ihrem natürliche­n Lebensraum entfernt. „Sie liebt die kühlfeucht­en Bedingunge­n des Alpenraums und der nordostbay­erischen Grenzgebir­ge“, erklärt Klemmt. Der Mensch habe sie sich aber auch anderswo in den Wald geholt – aus guten Gründen. „Sie wächst gut und bringt gutes Holz.“Doch die Hitze schmerzt sie. Auf der Suche nach Ersatz haben sich Klemmt und sein Team auch im Ausland umgesehen. Fündig geworden sind sie in Nordamerik­a: „Die Douglasie wird mit dem Klimawande­l eine größere Bedeutung bekommen“, sagt der Experte. Mittlerwei­le habe man mit dem Anbau des robusten Baums in Bayern schon viel Erfahrung. Forstfachl­eute versuchen, den Faktor Mensch aus ihren Zukunftspr­ognosen herauszure­chnen. Sie empfehlen, Bäume anzupflanz­en, die unter den zukünftige­n Klimabedin­gungen auch von selbst wachsen würden. Das wäre ein Mischwald, der sich aber nach den einzelnen Regionen Bayerns unterschei­det.

Waldbesitz­er, Politiker, Naturschüt­zer, Tourismusv­erbände: Heute reden viele dabei mit, wie der Wald der Zukunft aussehen muss – sogar die Bäume selbst. In Augsburg sendet seit etwa einer Woche der erste „sprechende“Stadtbaum Bayerns über Sensoren Daten ins Internet. Eine Rotbuche am berühmten Eiskanal teilt mit, ob Wassermang­el sie stresst, übermittel­t Temperatur­en

Eine Fläche von der Größe Berlins ist weg

Bäume mit Sensoren senden Daten ins Internet

ihrer Blätter und ihrer Wurzel, dokumentie­rt ihre Vitalfunkt­ionen. In Würzburg, Hof und Kempten prüfen Baumfachle­ute der Landesanst­alt für Weinbau und Gartenbau mit 30 Testbaumar­ten, welche Sorten aus (Süd-)Osteuropa, Asien und Nordamerik­a in Zukunft die grünen Lungen der Städte erhalten können, falls die hiesigen unter der Hitze einknicken.

Georg Lechner hat die Runde durch sein Holz für diesen Tag fast beendet. Als sein Großvater Ende der 1920er Jahre seine erste Fichte pflanzte, war der Klimawande­l nicht abzusehen. Lechner junior schaut hinauf in die Kronen der neuen Laubbäume. Obwohl sie noch nicht besonders groß und stattlich sind, wirkt ihr Besitzer klein daneben. Von den alten Bäumen ist noch etwas mehr als ein Drittel übrig. Er denkt nach und sagt dann: „Mein Großvater war ein kluger Mann. Wenn er noch leben würde und ich ihm erklären könnte, warum sein Wald heute so anders ausschaut, dann würde er sagen: Ich hätte es genauso gemacht wie du.“

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Fotos: Ulrich Wagner „Der Wald macht einen demütig“, sagt Georg Lechner. 36 Hektar hat er von seinem Vater geerbt. Er sieht den Wald aber auch als „Baustelle“, auf der die Arbeit nie endet. Zum Beispiel, wenn – wie hier – wieder der Borkenkäfe­r da war.
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Der Buchdrucke­r, etwa fünf Millimeter groß, versteckt sich unter der Rinde.

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