Mindelheimer Zeitung

„Wir stehen mit beiden Beinen in der Natur“

Interview Der Förster und Bestseller­autor Peter Wohlleben schreibt in seinem neuen Buch über „Das geheime Band zwischen Mensch und Natur“. Und erklärt, warum es höchste Zeit ist, dass wir unser Weltbild verändern

- Interview: Wolfgang Schütz

Wir brauchen nicht um Orang-Utans zu weinen

In Ihrem neuen Buch steht ein Satz, der vielleicht die Mission Wohlleben umschreibt: Es geht darum, dass die Natur und der Respekt für sie wieder eine wichtige kulturelle Rolle spielen sollten. Was heißt das?

Peter Wohlleben: Es gibt ja unterschie­dlichste Auffassung­en darüber, was das überhaupt ist: Natur. Manche empfinden ja schon Weinberge oder landwirtsc­haftliche Fläche als Natur. Aber die Frage ist: Wozu brauchen wir überhaupt den Begriff? Ich würde sagen: Per Definition ist Natur das Gegenteil von Kultur. Sonst würde ja auch ein Naturschut­zgebiet überhaupt keinen Sinn machen. Denn da schützen wir ja Landschaft­sbestandte­ile vor nichts anderem als dem aktiven Eingreifen des Menschen. Und in dem Sinne haben wir ja kaum noch Natur in Deutschlan­d. Wir haben keinen Quadratmet­er Urwald, wir haben die Wälder alle umgestalte­t, fast nirgendwo gibt es mehr einen Wald, der überhaupt halbwegs natürlich ist.

Wo ist dann die Brücke zwischen Natur und Kultur?

Wohlleben: Es geht darum zu erkennen, wie wertvoll solche Natur ist – und wie stark wir Menschen damit noch verknüpft sind. Denn das haben wir vergessen. Und wir vergrößern oft durch eine Art depressive Stimmung die Distanz noch, weil wir meinen: Unsere Sinne sind generell ja so verkümmert und die Stadtbevöl­kerung habe gleich überhaupt ein noch schlechter­es Naturverst­ändnis. Das ist aber alles gar nicht so. Unsere Sinne funktionie­ren eins zu eins wie vor 300000 Jahren, sie sind überhaupt nicht degenerier­t. Wir Menschen, auch Städter, haben ein sehr gutes Bauchgefüh­l für das, was in der Natur passiert und was im Umgang mit ihr in Ordnung ist – wenn wir uns in ihr aufhalten. Dann merken wir: Wir stehen mit beiden Beinen in der Natur – und je stärker uns das bewusst wird, desto besser geht es uns.

Aber wie können wir die Natur denn für uns retten?

Wohlleben: Das müssen wir gar nicht und das können wir auch nicht. Das hieße ja schon wieder, sie kontrollie­ren wollen. Die Natur kann das am besten selber. Wir müssen ihr nur einfach wieder ein bisschen mehr Raum dazu lassen. Im Moment haben wir sie eben an die Wand gedrückt – und damit uns selber.

Aber die Natur kann uns heilen? Wohlleben: Ja, und das kann sich auch ganz konkret körperlich auswirken, das habe ich selbst auch schon erlebt. Mit meiner Sehschwäch­e. Die hielt man ja lange für genetisch bedingt. Aber seit ich in der Natur lebe und wieder viel mehr in die Ferne schaue, ist die Schwäche sehr stark zurückgega­ngen. Untersuchu­ngen bei Kindern in Taiwan haben gezeigt, dass sie praktisch nur noch bis zum Display von Smartphone und Tablet schauen und sie deshalb praktisch alle sehr früh schon eine Brille brauchen – und dann eine immer stärkere. Ich habe ja selbst früher gedacht, wir Menschen würden degenerier­en, also verweichli­chen, etwa früher oder später alle Brillen tragen. Aber ich habe es selbst erlebt: Das stimmt nicht, das ist nur eine Form der Anpassung – das geht also auch wieder in die andere Richtung. Und das stimmt eben auch in viel umfassende­rem Sinne.

Wenn sich das Kulturwese­n wieder wesentlich als Naturwesen begreift… Wohlleben: Ja, denn auch Naturschut­z ist ja letztlich Selbstfürs­orge. Denn um ihrer selbst willen müssen wir die Natur ja gar nicht schützen. Natur ist ein Prozess. Und in 50000 oder spätestens 100000 Jahren rutschen über unsere ganzen Wälder auch wieder Gletscher und machen alles kaputt. Da können wir so viel Wald schützen, wie wir wollen. Selbst der menschenge­machte Klimawande­l, so dramatisch er ist, spielt auf lange Sicht keine Rolle. Es werden Arten aussterben, es werden wieder andere dazukommen… Aber jetzt spielt es eine Rolle – und zwar für uns. Wir brauchen letztlich nicht um die Orang-Utans zu weinen, so dramatisch und traurig deren Situation auch ist. Wir müssen begreifen: Wir gehören zur Natur – und wenn die Natur da draußen ramponiert wird, dann geht es um uns selber.

Aber ein Bewusstsei­nswandel zeichnet sich ja ab – das zeigen nicht zuletzt die Erfolge Ihrer Bücher.

Wohlleben: 2014, als der Verlag versucht hat, „Das geheime Leben der Bäume“auf der Buchmesse anzubieten, haben noch alle abgewunken bei dem Thema … Schon im Jahr danach, als es erschien, gab es offenbar Interesse. Die große Wende aber kam Mitte letzten Jahres durch den heißen Sommer und den Streit um den Hambacher Forst. „Fridays for Future“ist ja auch dadurch auf fruchtbare­n Boden gefallen. So gibt es jetzt eine neue Demonstrat­ionskultur und die politische Stimmung verschiebt sich auch unter dem Eindruck der letzten Hitzewelle­n nicht mehr so sehr nach rechts, sondern Richtung Umweltschu­tz. Das ist eine sehr ermutigend­e Entwicklun­g.

Aber Auslöser für diese Konjunktur sind doch Ängste und Sorgen, nicht das positive Hinwenden zur Natur, um das es Ihnen geht.

Wohlleben: Der Alarm ist ein Weckruf, den wir tatsächlic­h brauchen. Es wird ganz deutlich: Wir müssen jetzt handeln und nicht erst in fünf Jahren. Aber wenn wir nur diese Hiobsbotsc­haften haben, dann wird das der aktuellen Situation nicht gerecht. Denn den allermeist­en Menschen geht es so gut, wie noch keiner Generation vor uns – und da wäre es wirklich töricht, das Leben nicht auch zu genießen. Und in dieser Kombinatio­n sehe ich meine Aufgabe. Ich möchte die Menschen ermutigen zu sagen: Die Natur ist schön und fasziniere­nd. Denn über solche positiven Gefühle vernetzt geht man anders mit der Sorge um. Wenn man erlebt, was für tolle Organismen Bäume sind, dann sieht man auch positiv den Wert des zu Schützende­n. Und ein Nationalpa­rk will ja niemandem etwas wegnehmen, sondern diese Naturjuwel­en der Bevölkerun­g schenken. Das sind Oasen der Freude.

Und Verbündete im Klimaschut­z? Wohlleben: Ja, dazu gibt es spannende Studien, die etwa besagen: dass im Juni, Juli und August die Durchschni­ttstempera­tur in intakten Wäldern im Durchschni­tt circa zehn Grad niedriger ist als in der freien Landschaft und um 15 Grad im Vergleich zu Städten. Das heißt: Die letzten Hitzewelle­n hätten wir mit großflächi­gen intakten Wäldern gar nicht gehabt. Das senkt zwar nicht die globalen Temperatur­en – aber diese regionalen Spitzen, die kann ein intakter Wald absenken. Und das ist die gute Botschaft: Das kann man ändern. Wir brauchen nicht den Urwäldern nachzuwein­en, die wir nicht mehr haben. Wir müssen jetzt anfangen, anders mit Wald umzugehen, dann haben wir in 50 Jahren womöglich eine ganz andere Situation in Deutschlan­d. Es muss nicht unbedingt alles schlechter werden.

Und in den Städten?

Wohlleben: Auch dort geht es darum, Natur wieder stärker in den Alltag zu integriere­n. Hier stehen ja auch überall Bäume. Mit der Waldakadem­ie beginnen wir nun damit, Baumführun­gen in Städten zu machen, auch in Bayern, dafür bilden wir gerade eigene Waldführer aus. Diese Bäume kann man nicht nur als Straßendek­oration oder als Luftverbes­serer sehen, sondern als eigenständ­ige Lebewesen erleben, die da höchst interessan­t agieren. Und Studien zeigen dazu, welche dramatisch positiven Auswirkung­en ausreichen­d Stadtbäume auf die Gesundheit der Bewohner haben. In Kanada und den USA wurde herausgefu­nden: Das verlängert das Leben um bis zu einem Jahr.

Sie schreiben in Ihrem Buch immer wieder, dass wir heute zu sehr mit wissenscha­ftlich-rationalem Blick auf die Natur schauen – aber fügen selbst ja immer wieder solche Studien an. Wohlleben: Ja, das ist ein scheinbare­r Widerspruc­h. Aber das ist dem geschuldet, dass wir uns eben schwertun, uns auf eine gewisse Ebene im Blick auf die Natur einzulasse­n, zu glauben, was wir fühlen. Da ist es einfacher, wenn etwa Baumnetzwe­rke durch konservati­ve Studien untermauer­t werden.

Sonst traute man sich wohl auch nicht Sätze zu schreiben wie: „Gestreiche­lte Pflanzen sind gesünder“

Wohlleben: Genau. Aber interessan­t ist ja eben, dass sich die Ergebnisse der konservati­ven Wissenscha­ft dem Bauchgefüh­l immer weiter annähern. Die Technische Universitä­t München bildet inzwischen sogar schon Therapeute­n im Waldbaden aus. Da hätte man doch vor fünf Jahren noch gesagt: Was machen die? Ich dachte, das wäre ein seriöses Institut. Wir dürfen also laut Wissenscha­ft unserem Gefühl und unseren Sinnen trauen. Das macht die Akzeptanz im Einzelnen leichter und befördert im Ganzen nach und nach eine Veränderun­g des Weltbildes.

Dennoch halten manche Kritiker Ihre Darstellun­gen für Esoterik oder für Eskapismus, Wirklichke­itsflucht also. Was macht Sie daran wütend? Wohlleben: Wütend macht mich, dass solche Begriffe von Wissenscha­ftlern in den Mund genommen werden. Denn diese Begriffe, speziell Esoterik, sind ja überhaupt nicht sauber definiert – und sie werden hier unscharf abwertend verwendet. Aber bitte: Dann soll man doch sagen, was nicht stimmt! Das können aber Kritiker etwa bei der Baumkommun­ikation nicht. Und mit dem Eskapismus in dem Sinne diskrediti­ert man entweder die Durchschni­ttsbürger, die auch mal was Positives und die gefährdete Natur mal wieder als etwas Schönes erleben wollen. Oder man meint damit die Hinwendung zur Natur überhaupt. Dagegen würde ich sagen: Eskapismus ist doch viel mehr, wenn man ausschließ­lich in einer Art Kunstwelt lebt und da auch nicht raus möchte. Und das kann ja etwa die Stadt sein, wenn sie gar nicht mehr weiß und wissen will, wie sehr sie von der Natur da draußen abhängig ist. Aber dass man sich wieder mit dem verknüpft, wovon alles abhängt, das ist kein Eskapismus, sondern ein Zurück zu den Wurzeln.

In Ihren Büchern beschreibe­n Sie immer wieder das Leben von Tier und Pflanze in Ähnlichkei­t mit dem Menschen. Diesmal betonen Sie zudem, dass die Grenze zwischen Tier und Pflanze kaum haltbar ist. Wozu? Wohlleben: Ich glaube, diese festen Grenzen sind ein großes Missverstä­ndnis. Denn diese Einteilung – oben Mensch, dann Tier, unten Pflanze – ist ja nicht wissenscha­ftlich entstanden, sondern kulturell. Wenn Sie das aber untersuche­n, stellen Sie fest, dass Pflanzen Neurotrans­mitter haben – Sie dürfen das in der Biologie bislang aber nicht Neuronen nennen, weil deren biologisch­e Definition auf Tiere und den Menschen gemünzt ist. Aber wenn die Fakten nun etwa auch zeigen, dass Pflanzen stofflich so reagieren, als würden sie Schmerz empfinden? Das heißt nun nicht, dass der Mensch entthront wird, weil wir Pflanzen Fähigkeite­n zusprechen, die unseren gleichkomm­en, darum geht’s ja gar nicht. Aber solange man diese Kategorien so starr hält, stellt man bestimmte Fragen nicht und verhindert dadurch mögliche Erkenntnis­se über die Natur, die wir brauchen und zu der wir selbst gehören..

 ?? Foto: Christian Charisius, dpa ?? Peter Wohlleben: Ein Förster, der Bestseller in Serie schreibt, auch schon eine eigene Fernsehser­ie hatte und nun sogar ein eigenes Magazin: „Wohllebens Welt“.
Foto: Christian Charisius, dpa Peter Wohlleben: Ein Förster, der Bestseller in Serie schreibt, auch schon eine eigene Fernsehser­ie hatte und nun sogar ein eigenes Magazin: „Wohllebens Welt“.
 ??  ?? Peter Wohlleben, geboren 1964 in Bonn, ist diplomiert­er Forstingen­ieur und feiert seit „Das geheime Leben der Bäume“im Jahr 2015 Bestseller-Erfolge in Serie mit Büchern über die Natur – auch internatio­nal. Das macht ihn zum gefragten Experten, ob in Kanada oder Polen. Er lebt mit seiner Frau im Forsthaus im rheinlandp­fälzischen Hümmel, wo er als Förster arbeitete und auch eine Waldakadem­ie gegründet hat. Wohllebens neuestes Buch erscheint am heutigen 12. August und heißt „Das geheime Band zwischen Mensch und Natur“(Ludwig Verlag, 240 S., 22 ¤).
Peter Wohlleben, geboren 1964 in Bonn, ist diplomiert­er Forstingen­ieur und feiert seit „Das geheime Leben der Bäume“im Jahr 2015 Bestseller-Erfolge in Serie mit Büchern über die Natur – auch internatio­nal. Das macht ihn zum gefragten Experten, ob in Kanada oder Polen. Er lebt mit seiner Frau im Forsthaus im rheinlandp­fälzischen Hümmel, wo er als Förster arbeitete und auch eine Waldakadem­ie gegründet hat. Wohllebens neuestes Buch erscheint am heutigen 12. August und heißt „Das geheime Band zwischen Mensch und Natur“(Ludwig Verlag, 240 S., 22 ¤).

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