Mindelheimer Zeitung

Wenn Papa im Knast sitzt

Gefängnis Bundesweit gibt es rund 125 000 Kinder, deren Väter eine Gefängniss­trafe verbüßen. In Nürnberg existiert aus diesem Grund eine bayernweit einzigarti­ge Vater-Kind-Gruppe

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Nürnberg Der vierjährig­e Luis* umklammert seinen graublauen Plüschhai, der ihn um eine Kopfhöhe überragt: „Den hat der Papa noch nicht gesehen“, sagt er auf dem Parkplatz vor dem Untersuchu­ngsgefängn­is Nürnberg. Luis steht an diesem Samstag nicht zum ersten Mal vor der hohen Mauer. Seit über einem Jahr sitzt hier sein Vater ein.

In Bayern einzigarti­g ist die Vater-Kind-Gruppe in der Untersuchu­ngshaft in Nürnberg, erklärt die evangelisc­he Gefängniss­eelsorgeri­n Gerhild Zeitner. Für diese Häftlinge sei es besonders wichtig, einen Bruch der Familie zu verhindern. Sind sie nach der U-Haft oder einer Strafe wieder frei, soll ja die Familie weiter zusammenha­lten.

„Wir müssen die Gefangenen dafür sensibilis­ieren, dass sie für ihre Kinder eine Verantwort­ung tragen und wieder ihre Vaterrolle sehen“, erläutert der Leiter der Justizvoll­zugsanstal­t Nürnberg, Thomas Vogt. Von den 930 Gefangenen in Nürnberg hätten geschätzt rund 25 Prozent eine Familie. Die Warteliste für die Gruppe ist lang, Vogt wünscht sich ein paar Plätze mehr. Dies scheitere bisher am Personalun­d Platzmange­l.

Trotz des Wohlwollen­s des Anstaltsle­iters erlebt Pfarrerin Zeitner immer wieder, dass gerade wegen strenger Sicherheit­sauflagen die Besuchster­mine für Ehefrauen, Kinder und andere Verwandte mit komplizier­ten Vorbereitu­ngen verbunden sind. Die Männer besitzen keine Handys. Manche dürfen ihre Angehörige­n nur unter Polizeiübe­rwachung sehen oder nur durch eine Trennschei­be mit ihnen sprechen. Die Hürden, in die Vater-KindGruppe aufgenomme­n zu werden, sind in der U-Haft hoch. Manchmal dauert es Monate bis zur Genehmigun­g. Wird die Teilnahme erlaubt, sind die Besuche über die Gruppe ganz anders als jeder normale Besuch. Hier können die Männer mit ihren Kindern einmal im Monat zwei Stunden ohne Aufsicht spielen, blödeln, reden.

Luis hat am Tor Jonas und Jonny getroffen. Sie kennen sich bereits von früheren Besuchen. Die großen Schlüssel klirren, als zwei Justizbeam­te die Kinder, eine Sozialpäda­gogin, Sozialther­apeut Wolfram Gail und drei weitere Jungs zwischen zehn und 15 Jahren durch die Sicherheit­sschleuse lassen. Dann stehen sie vor einer dicken Tür und können durch die Scheibe erspähen, dass sie dahinter erwartet werden. „Papi!“, ruft es aus drei Kehlen, und die Kleinen springen drei Männern in blauer Anstaltskl­eidung auf die Arme. Paul F. sitzt mit seinem Kleinen auf dem Fußboden und bestaunt den neuen Hai. Dem Mittvierzi­ger mit dem kahlrasier­ten Schädel treten bei der Erinnerung an den verpassten Geburtstag des Sohns vor einer Woche die Tränen in die Augen: „Das ist ein ganz schlimmer Tag für mich gewesen.“Weil er in seinem Verfahren wegen Betrugs in Revision gegangen sei, sitze er nun bereits seit 20 Monaten hinter Gittern. Er verpasse viel in der Entwicklun­g seines Sohnes. „Aber die Beziehung zu ihm ist da“, betont der Vater, der seinem Kind Briefe schreibt, die ihm die Mutter vorliest. „Ich denke ganz doll an dich“, steht darin.

Wenig später ist der Lautstärke­pegel im Besucherra­um mit seinen fünf kleinen Tischen, den großen Bausteinen, einem Autoparcou­rsTeppich und einer Holzsteckb­ahn stark angestiege­n. „Das ist für diese Väter wie eine kleine Insel“, sagt Gail, der bei der Stadtmissi­on bereits seit 38 Jahren Strafgefan­gene betreut. „Ob sie Bankräuber sind, Betrüger oder Mörder – hier sind sie in der Vaterrolle, man sieht ihren Gesichtern an, wie sie weicher werden“, sagt er und stellt Teller mit Erdbeeren, Aprikosen und Brezeln auf die Tische. „Wir haben ihm erzählt, dass Daddy was Schlimmes gemacht hat und eine Strafe bekommen hat“, sagt Mike S. und deutet auf Jonas. „Aber es ist schon traurig, dass ich vieles nicht mitbekomme.“In der Zeit seiner U-Haft hat sein Sohn das Sprechen gelernt. Mike S. ist froh, dass seine Frau mit den zwei und vier Jahre alten Söhnen zu ihm hält. Es ist kurz vor zwölf Uhr, Zeitner erinnert ans Ende der Besuchszei­t. Kein Kind jammert, aber sie sind still geworden. Wolfram Gail begleitet die Buben auf den Parkplatz, auf dem bereits ihre Mütter warten.

Jutta Olschewski, epd * Namen der Kinder und Väter geändert.

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Foto: Nicolas Armer, dpa Malen, spielen, herumalber­n, reden: Einmal im Monat können Untersuchu­ngshäftlin­ge in Nürnberg Zeit mit ihren Kindern verbringen.

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