Eine Gesellschaft am Rande des Zusammenbruchs
Literatur Rafik Schami liefert in seinem neuen Buch einen Krimi-Plot, der zugleich eine Studie über den Zerfall Syriens ist
Ein Fass mit der in Olivenöl eingelegten Leiche eines von Rom nach Syrien entsandten Kardinals wird bei der italienischen Botschaft in Damaskus abgeliefert. Wer hat den geistlichen Würdenträger ermordet? Und was hatte er in Syrien zu suchen? Das soll Kommissar Barudi, der kurz vor der Pensionierung steht, herausfinden. Der Plot klingt nach Krimi, doch der Autor heißt Rafik Schami, und so ist „Die geheime Mission des Kardinals“, die am Vorabend des Bürgerkriegs in Syrien spielt, weit mehr als ein üblicher Kriminalroman.
Das Buch ist auch ein Porträt der syrischen Gesellschaft am Rande des Zusammenbruchs. Denn Kommissar Barudi bekommt es bei seinen Ermittlungen mit korrupten Geistlichen ebenso zu tun wie mit dem allgegenwärtigen Geheimdienst, hinter dem der allgegenwärtige Präsident steht: „Es ist seltsam, dachte Barudi, man macht das Radio an und hört den Präsidenten, man macht den Fernseher an und sieht den Präsidenten, und wenn man alles ausschaltet, um in den Himmel zu sehen, dann zieht ein kleines Flugzeug einen dreißig Meter langen Spruch des Präsidenten durch die Luft.“
Zur Seite steht Barudi in der sensiblen Angelegenheit ein Kollege aus Rom. Kommissar Mancini ist wie Barudi ein Einzelgänger, und er spricht perfekt arabisch. Die beiden teilen bald nicht nur die Vorliebe für Falafel, Kibbeh und Kaffee mit Koriander, sondern auch die kritische Einstellung gegenüber den jeweiligen Regierungen, bei denen sie erstaunliche Übereinstimmungen feststellen. Wunderheiler hier, Reliquienverehrung dort, die Mafia in Italien, ClanWirtschaft in Syrien. Die mafiösen Strukturen reichen bis in die höchste Kirchenhierarchie. Der ermordete Kardinal, vom Papst als integer erkannt, sollte in Syrien die Glaubwürdigkeit der Wunderheiler überprüfen, und dabei kam er wohl mächtig den Mächtigen ins Gehege.
Wie gefährlich das werden kann, weiß Barudi. Deshalb vertraut er sich seinem Seelenverwandten Mancini nur fern von möglichen Abhöranlagen an: „Wir, die Kriminalpolizisten, stehen tief in der Pyramide der Macht, unter uns kommen nur noch die Verkehrspolizisten und die Nachtwächter. Die Kriminalpolizei hat bei uns gewisse Ähnlichkeiten mit der Müllabfuhr. Sie reinigt die Gesellschaft von Kriminellen, damit die Bürger – vor allem die wohlhabenden – besser schlafen können. Darüber hinaus aber sind wir machtlos, und niemand interessiert sich für uns.“
Die Gespräche der beiden Ermittler kreisen nicht nur um den merkwürdigen Fall und die politischen Hintergründe, sie erzählen einander auch aus ihrem Leben. So gelingt es dem geborenen Erzähler Rafik Schami, in diesem „kriminalistisch grundierten Gesellschaftsroman“viele Geschichten unterzubringen. Wie man es aus seinen anderen Büchern kennt, geht der gebürtige Syrer, der 1971 nach Deutschland kam, nie den geraden Weg bei seinen Erzählungen; sie führen über Umwege, Schleifenstraßen und Spitzkehren manchmal auch auf Abwege.
Die etwas aufgepfropfte Liebesgeschichte Barudis mit der Nachbarin Nariman ist so einer. Auch wenn man dem alten Kommissar natürlich nach dem Fiasko der Ermittlungen ein wenig Aufmunterung gönnt. Denn natürlich ist dem syrischen Machthaber daran gelegen, die für die Regierung unerfreulichen Ermittlungsergebnisse nicht an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen. Und natürlich findet sich ein Islamist als Täter. Da hilft dem frustrierten Barudi nur die Flucht ins Privatleben und in die Arme Narimans. ⓘ
Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals.
Hanser, 431 S.,
26 ¤