Als 25000 Menschen vor der Basilika standen
Zeitgeschichte Neben bedeutenden Konzerten finden in Ottobeuren seit 70 Jahren auch politische Veranstaltungen statt. Wie alles begann und welchen Wunsch die Bundeskanzlerin hatte, als sie vergangenes Jahr das Unterallgäu besuchte
Ottobeuren Es ist ein Geschichtsbuch aus Fleisch und Blut, das einem da gegenübersitzt. Im Jahr 1949, als alles begann, war Reinald Scheule schon dabei. „Ich habe an diesem 31. Juli den Gottesdienst besucht. Die Basilika, die das Dritte Reich und den Krieg überlebt hatte, hat uns Junge beeindruckt.“Vor genau 70 Jahren gab es erstmals diesen „Dreiklang“(Scheule), für den die Unterallgäuer Marktgemeinde später bekannt geworden ist: Sonntagsmesse und Konzert mit hochkarätigen Künstlern in der Basilika, dazu eine politische Veranstaltung. Zuletzt, im September 2018, kamen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsident Markus Söder zu einem Europa-Symposium in die Ottobeurer Abtei.
1949 fand nach der Messe eine Kundgebung neben der Basilika statt. „Damals gab es eine Flüchtlingswallfahrt. 25000 Heimatvertriebene sind mit Sonderzügen nach Ottobeuren gekommen“, erzählt der heute 88-jährige Scheule. Das sei ein „Glück“gewesen, denn viele der Flüchtlinge besuchten danach auch das Basilikakonzert und zahlten jeweils einen Eintritt von 3,50 Mark. Bei mehr als 5000 Besuchern stimmten am Ende auch die Finanzen. „Damit war das Projekt gerettet“, sagt Scheule.
Dieses „Projekt“entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einer festen Institution mit einer Bedeutung weit über das Allgäu hinaus. Die Konzerte ziehen Gäste aus Süddeutschland und der Schweiz an, zu den politischen Begegnungen kommt viel Prominenz. So wie im September 1977, als der damalige CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß und CDUChef Helmut Kohl vor der Basilika sprachen.
Scheule war inzwischen Kur- und Kulturamtsleiter in Ottobeuren. An 1977 erinnert er sich auch deshalb noch besonders gut, weil sehr strenge Sicherheitsvorkehrungen galten. Die Rote Armee Fraktion (RAF) versetzte Deutschland in Angst und Schrecken, die Terroristen hatten auch Strauß ins Visier genommen. „Damals hieß es in Ottobeuren, dass ein Panzer vor dem Gebäude stand, in dem Strauß untergebracht war.“Das Motto der Veranstaltung lautete „Europa jetzt einen“. Es war auch die Zeit des Kalten Krieges.
Reinald Scheule, dieses Geschichtsbuch aus Fleisch und Blut, hat noch viele Episoden parat. Eine erzählt ebenfalls davon, wie es während des Kalten Krieges zuging. Wir gehen zurück ins Jahr 1974. Politiker und Musiker aus dem damals tschechoslowakischen Bratislava kamen nach Ottobeuren: Gäste von jenseits des Eisernen Vorhangs. „In den Bussen saßen Aufpasser, damit auch jeder wieder mit heimfährt“, sagt Scheule. Und doch sei auch diese Begegnung ein Zeichen dafür, dass „Musik und Kultur die Völker verbinden“.
Dies galt beispielsweise auch für das deutsch-englische Treffen im Jahr 1964 mit dem damaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke und einer Vertreterin des englischen Königshauses.
Ein anderes Beispiel ist der Auftritt des früheren polnischen Außenministers Wladyslaw Bartoszewski im Jahr 2007. Er wurde im Zweiten Weltkrieg ins Konzentrationslager Auschwitz verschleppt und bemühte sich trotzdem bis zu seinem Tod um Versöhnung. Zu den Höhepunkten gehörte auch die Christlich-Jüdisch-Islamische Begegnung im Jahr 1988.
Um solche Treffen auf die Beine zu stellen, bedarf es guter Kontakte. Eine große Hilfe seien in früheren Zeiten der einstige Augsburger Bischof Dr.Josef Stimpfle und der CSU-Europapolitiker Hans August Lücker gewesen, sagt Scheule. Lücker war es auch, der die Stiftung „Europäische Kulturtage Ottobeuren“ins Leben rief. Heute können sich die Unterallgäuer auf die Unterstützung von Dr. Theo Waigel verlassen. Der frühere Bundesfinanzminister habe den Auftritt von Merkel und Söder im vergangenen Jahr vermittelt, sagt Peter Kraus. Er ist der Ottobeurer Touristikamtsleiter und erzählt, dass die Kanzlerin kurz vor dem Basilika-Konzert einen anderen Platz wünschte: „Sie wollte lieber etwas seitlich sit- zen, um den Dirigenten besser sehen zu können. Für Kraus bedeutete dies: „Sicherheitskräfte umdirigieren.“
Das Treffen von Angela Merkel und Theo Waigel bezeichnet Kraus als „eine der größten Herausforderungen in meinem Berufsleben“. Fast zwei Monate lang habe er nichts anderes getan, als dieses Großereignis vorzubereiten, sagt der 56-Jährige.
Solche Veranstaltungen mit bundesweiter Medienpräsenz seien ein Aushängeschild für Ottobeuren. Der Ort des Geschehens spielt dabei eine entscheidende Rolle: „Ohne die Basilika, ein Bauwerk von europäischem Rang, und die BenediktinerAbtei wäre das alles nicht denkbar.“Der Ottobeurer Abt Johannes Schaber erinnert daran, dass der heilige Benedikt als Patron Europas verehrt wird: „Darum begrüße ich Veranstaltungen, in denen es um die europäische Einigung geht.“