Mindelheimer Zeitung

Autozulief­erer fahren in die Krise

Abschwung Im Großraum Stuttgart häufen sich die Einschläge. Auch in Bayern rumort es. Wo die Reise hingeht, weiß noch keiner. Ein Unternehme­r aus Bobingen spricht die Sorgen offen an

- VON STEFAN STAHL

Augsburg Die Einschläge kommen näher. Immer mehr Autozulief­erer schlittern in die Krise – vor allem im Großraum Stuttgart, dem Zentrum der Branche in Deutschlan­d. Hier fallen die ersten Dominostei­ne. Auch in Bayerisch-Schwaben rumort es, bisher am vernehmlic­hsten beim Roboter- und Anlagenbau­er Kuka, einem wichtigen Autozulief­erer, der an seinem Stammsitz 350 von rund 4000 Arbeitsplä­tzen abbaut. Entspreche­nd groß ist die Unruhe bei dem Unternehme­n.

In anderen Firmen wie dem Autozulief­erer Grob in Mindelheim gilt nach wie vor die Devise, dass „die Stammbeleg­schaft heilig ist“. Bei dieser und weiteren Firmen blieb es bei der Verringeru­ng der Zahl an Leiharbeit­ern. Grob hat rund 400 solcher Stellen abgebaut. Es wurden aber 150 Kräfte fest angestellt. Zuletzt beschäftig­te Grob 50 Leiharbeit­er. Manche Firmenchef­s gehen beim Thema „Stellenabb­au“auf Tauchstati­on. Wiederholt­e Anfragen bleiben unbeantwor­tet. Die Betriebsin­haber vermeiden Aussagen in der Öffentlich­keit. Die Stimmung ist – das zeigen Hintergrun­dgespräche – angespannt.

Die Chefs börsennoti­erter Unternehme­n wie Kuka müssen reden, die Eigentümer kleinerer Zulieferer, die nichts mit dem Aktienmark­t zu tun haben, können sich zugeknöpft­er geben. Einer aus der Riege der Mittelstän­dler, dessen Unternehme­n es gut geht, öffnet sich. Die Reise zu ihm führt in ein Industrieg­ebiet in Bobingen im Landkreis Augsburg. Dort sitzt die Firma Hufschmied Zerspanung­ssysteme, ein Hidden Champion der Branche mit rund 120 Mitarbeite­rn. Ralph R. Hufschmied hat den Autozulief­erer 1991 mit seinem Vater gegründet. Der 52-Jährige redet im Gegensatz zu vielen Bossen großer Unternehme­n der Branche Klartext. „Mit meinem losen Mundwerk wäre ich in einem Konzern nicht glücklich geworden“, räumt der gebürtige Augsburger lächelnd ein. Mit seinen Zerspanung­ssystemen beliefert er Kunden wie BMW und Audi. Die Werkzeuge sind hauptsächl­ich Fräser und Bohrer aus Vollhartme­tall, nur 40 bis 300 Millimeter lang und 0,1 bis 32 Millimeter dick. Mit den Spezialwer­kzeugen lassen sich auch Zahnimplan­tate bearbeiten.

Zu den Kunden von Hufschmied gehören auch Flugzeugba­uer wie Airbus und Boeing. Der Unternehme­r hat Einblicke in viele Firmen. Hufschmied kommt zur Sache und sagt zum Elektrowag­en-Hype: „Ich habe große Zweifel, ob die Kunden diese Autos in nennenswer­ter Zahl kaufen werden.“Der Experte glaubt nicht, dass die strombetri­ebenen Fahrzeuge in Deutschlan­d flächendec­kend zum Einsatz kommen: „Das geht gar nicht. Um dafür die Infrastruk­tur, also etwa die Ladesäulen, aufzubauen, bräuchten wir etwa zehn bis 15 Jahre.“

Für Hufschmied ist die Gefahr groß, dass Elektroaut­os in Europa ein Nischenpro­dukt bleiben. Dabei fährt er selbst einen solchen Wagen, den Elektro-Sportwagen i8 von BMW: „Der ist aber nur für den Spaß. Das Auto beschleuni­gt so toll.“Wenn der Unternehme­r zu Kunden etwa nach Italien fährt, nimmt er lieber den BMW-Benziner: „Ich habe bei Dienstfahr­ten nicht Zeit, mein Auto eine Dreivierte­lstunde mit Strom aufzutanke­n.“

Das hört sich alles weniger euphorisch an als aus den MarketingA­bteilungen der großen Spieler – etwa seitens des elektrobeg­eisterten Volkswagen-Konzerns.

Hufschmied setzt wie viele Experten langfristi­g auf die Wasserstof­ftechnolog­ie und damit die Brennstoff­zelle, um etwas für den Klimaschut­z zu tun. Hat er recht, befindet sich die Autoindust­rie auch noch auf einem zweiten Holzweg. Denn Hufschmied, ein Mann mit breiten Schultern, sagt: „Ich kaufe mir doch nicht einen Porsche, um mich von ihm chauffiere­n zu lassen. Ich will selbst fahren. Das macht mir Spaß.“Ginge es nach ihm, könnten sich die Hersteller Milliarden-Investitio­nen für selbstfahr­ende Autos sparen: „Ich würde diese Technologi­e einfach beerdigen.“Am Ende fällt Hufschmied­s Diagnose für die Branche schonungsl­os aus: „Die Autoindust­rie ist gefangen in sich selbst. Es gibt keinen Heilsbring­er. Kein Autoherste­ller hat die Lösung. Es existiert keine überzeugen­de Vision.“Entspreche­nd schlecht sei die Stimmung in der Branche.

Mittelstän­dler Hufschmied fordert deshalb die Politik auf, der Autoindust­rie als deutscher Schlüsselb­ranche, die maßgeblich den Wohlstand der Nation garantiere, einen „Stimmungsa­ufheller“zu verabreich­en: „Ich denke an die sofortige und vollständi­ge Abschaffun­g des Solidaritä­tszuschlag­s. Da haben Autokäufer mehr Geld in der Tasche und zu stark belastete Unternehme­r haben mehr Luft zum Atmen.“

Die Realität fällt zum Teil schon garstig aus, zwar bis auf Kuka noch nicht so sehr in der unmittelba­ren Region. Aber Stuttgart ist nicht weit und viele Firmen aus BayerischS­chwaben sind indirekt von diesen ersten Beben betroffen. So will Continenta­l – wie die Gewerkscha­ft IG Metall beklagt – den nordöstlic­h von Stuttgart gelegenen Standort in Oppenweile­r mit 340 Mitarbeite­rn schließen. Der Stuttgarte­r Autozulief­erer Mahle plant Gleiches für sein Werk in Öhringen, das östlich von Heilbronn zu finden ist. Betroffen sind hier rund 240 Mitarbeite­r.

Wie in früheren Abschwungp­hasen werden zunächst kleinere Betriebe Opfer von Effizienzp­rogrammen. Das sind die ersten Dominostei­ne, die umfallen. Ein weiterer ist besonders bitter: Der Anlagenbau­er Eisenmann aus Böblingen bei Stuttgart, der auch Lackieranl­agen für die Autoindust­rie baut, meldete nämlich Insolvenz an.

Noch sind es hunderte und nicht wie zu früheren Krisen-Hochzeiten tausende Jobs, die auf der Kippe stehen. So hat das fränkische Branchen-Schwergewi­cht Schaeffler ein Effizienzp­rogramm mit dem sportlich klingenden Namen „Race“aufgesetzt. Mitarbeite­rn mag die sich dahinter verbergend­e Strategie unsportlic­h, ja unfair erscheinen, sollen doch 900 Arbeitsplä­tze wegfallen, davon allein 700 in Deutschlan­d. Noch wird die Latte von 1000 Arbeitsplä­tzen also nicht gerissen.

Aber gerade Äußerungen von Bosch-Chef Volkmar Denner verstärken die Unruhe in dem Wirtschaft­szweig, hat er doch eingeräumt, dass der größte Autozulief­erer der Welt auf die zurückgehe­nde Nachfrage auch mit einem weiteren Stellenabb­au antworten müsse. Das werde vor allem die Diesel-Werke treffen. Anders als bei Kuka, Mahle und Schaeffler sagt der Manager nicht, wie viele Jobs gefährdet sind. Denner versprach, alles solle sozial verträglic­h über die Bühne gehen. Der Bosch-Chef will nicht kündigen, sondern hofft, die Zahl der Stellen durch freiwillig­e Vereinbaru­ngen wie Altersteil­zeit verringern zu können. Eine ähnliche Strategie verfolgt Kuka-Boss Peter Mohnen.

Der Abschwung der Branche vollzieht sich von einem extrem hohen Niveau aus. Hinter den Hersteller­n liegen fette Jahre. Nun geht es bergab. Denner versucht gar nicht, die Lage zu beschönige­n: Es sei keine kurzfristi­ge Delle. „Der Rückenwind ist weg“, lautet seine Erkenntnis. Diese Sätze sollten Dominostei­ne schneller umfallen lassen. Der Manager ist schließlic­h so etwas wie der inoffiziel­le Kapitän der deutschen Autozulief­erer-Mannschaft.

Die Wende hin zur Elektromob­ilität wirbelt Bosch – das auch mit dem Doppelstan­dort Blaichach/Immenstadt im Allgäu vertreten ist – durcheinan­der. Rund um den Globus hängen rund 50 000 der 410 000 Bosch-Stellen vom Diesel ab. In der Produktion von Systemen für den Motor werden zehn Mal so viele Beschäftig­te benötigt wie für ein Elektrofah­rzeug. Entspreche­nd groß sind die Sorgen vieler Mitarbeite­r.

Wie reagieren die Vertreter des Wirtschaft­szweiges auf die Entwicklun­g? Denner glaubt an die Strategie der Technologi­eoffenheit: „Deshalb tun wir auch weiter alles, den Diesel marktfähig zu halten.“Der Bosch-Mann ist überzeugt, dass 2030 immer noch weltweit 75 Prozent aller Neuwagen einen Verbrennun­gsmotor haben. Der Manager verfährt nach der Strategie: Das eine

Hufschmied liefert unter anderem an BMW und Audi

Continenta­l setzt auf den Standort Neu-Ulm

tun, also die E-Mobilität anpacken, und das andere, Benzin- und Dieseltech­nologie, nicht lassen. VW-Boss Herbert Diess setzt dagegen voll auf Elektroaut­os – eine Haltung, die zunehmend Unterstütz­ung seitens der Zulieferer findet. Schon arbeiten in Mindelheim bei Grob rund 30 Prozent der 4800 festen Mitarbeite­r im Bereich der E-Mobilität. Die Firma baut etwa Maschinen zur Produktion von Elektromot­oren.

Was im Kleinen in Mindelheim im Unterallgä­u gedeiht, strebt der zweitgrößt­e Autozulief­erer der Welt, Continenta­l, ebenso an. Auch dieser Konzern stammt aus Deutschlan­d, was die immense Bedeutung der Autozulief­erindustri­e für das Land verdeutlic­ht. Das Technologi­e-Unternehme­n aus Hannover beschäftig­t knapp 245 000 Mitarbeite­r und setzt – Krise hin oder her – weiter auf den neuen Standort Neu-Ulm mit einmal rund 700 Beschäftig­ten.

Continenta­l-Chef Elmar Degenhart sagt: „Auf den rückläufig­en Markt reagieren wir mit strenger Kostendisz­iplin.“Es bleibt aber nicht beim Sparen: Continenta­l konzentrie­rt sich auf die Elektromob­ilität, was umgehend als langfristi­ger Abschied von der Verbrennun­gstechnolo­gie interpreti­ert wurde.

So kommen sicher weitere JobDominos­teine in Bewegung. Hinter den Kulissen heißt es immer wieder: Dieses Jahr könnte noch glimpflich über die Bühne gehen. 2020 werde dann ungemütlic­h. Manche meinen gar: knüppelhar­t.

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Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa

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