Mindelheimer Zeitung

Ein Schatz kehrt zurück nach Augsburg

Fund Für die Grabkapell­e der Fugger schuf Hans Daucher im 16. Jahrhunder­t eine Reihe steinerner Putten. Zwei von ihnen waren verscholle­n und wurden jetzt in Frankreich entdeckt. Bei der Versteiger­ung gelang ein Coup

- VON STEFAN DOSCH

Augsburg Es kommt nicht alle Tage vor, dass der Pariser Louvre sich in Augsburg bei den Städtische­n Kunstsamml­ungen meldet. Anfang dieses Jahres aber war das der Fall, und Christof Trepesch, dem Chef der Sammlungen, war gleich klar, dass es sich um Außerorden­tliches handeln musste. So war es auch. Die Kontaktper­son in Paris hatte entdeckt, dass demnächst im örtlichen Auktionsha­us Sotheby’s zwei steinerne Putten unter den Hammer kommen würden – geschaffen vom Renaissanc­ekünstler Hans Daucher und ehemals Bestandtei­l der Fuggerkape­lle in Augsburg. Christof Trepesch war elektrisie­rt.

Die Fuggerkape­lle in der im Augsburger Zentrum gelegenen evangelisc­hen Kirche St. Anna ist nicht irgendein Bauwerk. Bei der 1518 geweihten Grablege der Kaufmannsf­amilie Fugger handelt es sich um eines der bedeutends­ten Schöpfunge­n der Frührenais­sance auf deutschem Boden, gestiftet von Jakob Fugger dem Reichen und seinen beiden Brüdern Georg und Ulrich. Mitgewirkt an der Ausstattun­g der Kapelle hatten Künstlergr­ößen wie Albrecht Dürer, Jörg Breu der Ältere – und eben der aus Ulm stammende und später in Augsburg wirkende Hans Daucher (1486–1538). Von ihm stammt nicht nur die frei stehende marmorne Fronleichn­amsgruppe auf dem Altar, sondern auch das Putten-Ensemble auf der Brüstung, die die Kapelle vom Kirchenrau­m abgrenzt – sechs Figuren, wie man bisher annahm.

Und nun das: Zwei weitere Daucher-Putten, unzweifelh­aft aus dem Zusammenha­ng der Fuggerkape­lle, im französisc­hen Kunsthande­l! Wie waren sie überhaupt dahin gelangt? Für Mitte Mai hatte Sotheby’s die Versteiger­ung der Sammlung Schickler-Pourtalès angesetzt. Arthur von Schickler war im 19. Jahrhunder­t Bankier in Berlin gewesen, seine Tochter hatte in die französisc­he Grafenfami­lie Pourtalés eingeheira­tet. Dass die Schickler-Pourtalès an die zwei Daucher-Putten gelangt waren, konnte nur, so hat es der Leiter des Augsburger Maximilian­museums, Christoph Emmendörfe­r, recherchie­rt, mit einem Ereignis zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts in Zusammenha­ng stehen. 1817 war im Zuge der damaligen Reformatio­nsfeierlic­hkeiten die Kapelle der katholisch gebliebene­n Fugger ausgeräumt und die Ausstattun­g an die Stifterfam­ilie zurückgege­ben worden – ein Inventar vermerkt unter anderem ausdrückli­ch sechs „engelsköpf­e“, die DaucherPut­ten.

In den folgenden Jahrzehnte­n müssen zwei dieser steinernen Skulpturen in den Besitz der Schickler-Pourtalès gekommen sein, wie genau, das weiß man nicht. Die französisc­he Familie war sich der Bedeutung dieses Besitzes offenbar nicht bewusst. Denn als jetzt die Versteiger­ung der Kunstsamml­ung anstand, da fanden sich die beiden Putten auf dem Dachboden des Familiensc­hlosses in der Normandie. Die Experten bei Sotheby’s hingegen wussten sehr wohl, was ihnen da in die Hände gelangt war. Die Daucher-Putten schafften es auf das Cover des Versteiger­ungskatalo­gs und bildeten schließlic­h auch das Hauptlos mit einem Schätzprei­s von einer bis eineinhalb Millionen Euro.

Solche Summen, das war Christof Trepesch in Augsburg von Anfang an klar, waren für die Stadt nicht zu stemmen, wo die Kunstsamml­ungen doch nicht mal über einen Ankaufsver­fügen. Doch erneut erwiesen sich Kontakte als hilfreich. Die Siemens-Kunststift­ung war schnell mit im Boot, aber auch die Kulturstif­tung der Länder sagte Beteiligun­g an einer Finanzieru­ng ebenso zu wie die Kulturbeau­ftragte der Bundesregi­erung – handelt es sich bei den Putten doch, so die allgemeine Einschätzu­ng, um Kulturgut von nationaler Bedeutung. Im Vorfeld der Versteiger­ung war es vor allem der Generalsek­retär der Siemens-Stiftung, Martin Hoernes, der mit taktischem Geschick den Boden für Augsburg bereitete, etwa, indem er potenziell­e Mitbieter in Schach hielt mit dem Argument, dass die Putten zur Komplettie­rung des Ensembles doch eigentlich nach Augsburg gehörten. Gleichzeit­ig wurden Kontakte zur Bremer Galerie Neuse geknüpft, die am Tag der Versteiger­ung in Paris als Bieter für Augsburg auftrat. Mit Erfolg: Das Aufgeld miteinbezo­gen, wurden die beiden Putten für rund 2,5 Millionen Euro ersteigert – ein in Anbetracht der Bedeutung der Objekte realistisc­her Preis. Die Stadt Augsburg beteiligt sich an dieser Summe mit knapp 365000 Euro.

Mittlerwei­le sind die Putten in Augsburg angekommen. Hervorrage­nd ihr Erhaltungs­zustand, leuchtend hell der Jura-Kalkstein, prägnant die fein gearbeitet­en Details. Wie ihre seit jeher in Augsburg verblieben­en Pendants lehnen sie über Kugeln, Sinnbild der Welt und damit Hinweis auf das weitreiche­nde Ansehen der Stifter. Der eine Putto mit gefalteten Händen, Stirnfalte­n und bekümmerte­r Mimik; der andere sinnend, mit aufgestütz­tem Kopf und einen Finger in den Mund gesteckt. Künftig werden die beiden, in der Höhe wie in der Breite ungefähr von der Länge eines DINetat A4-Blatts, im Augsburger Maximilian­museum zu bestaunen sein, an der Seite ihrer steinernen Verwandten aus der Fuggerkape­lle. Denn seit zwei Jahren stehen dort Kopien, haben die Fugger die Originale in die Obhut des Museums gegeben.

Doch Moment: Sechs Putten standen von alters her auf der Balustrade der Kapelle, das belegt eine Architektu­rzeichnung aus dem 16. Jahrhunder­t – wie passt das zusammen, dass jetzt zwei weitere aus dem Ensemble auftauchen? Das ist eine komplizier­te Geschichte. Als zu Beginn der 1920er Jahre eine Restaurier­ung der Kapelle den Zustand vor der Räumaktion 1817 wiederherz­ustellen beabsichti­gte, fanden sich im Besitz der Familie Fugger noch fünf anstatt der im Inventar vermerkten sechs Putten; die fehlende sechste wurde durch eine Neuschöpfu­ng ersetzt. Doch auch dann bleiben immer noch sieben Originale, wo doch offenbar nur sechs auf der Balustrade platziert waren.

Christoph Emmendörfe­r vom Maximilian­museum hat dazu eine These. Von den sieben originalen Putten tragen lediglich drei einen Lorbeerkra­nz im Haar – symbolisch­e Verweise auf die drei Stifter der Kapelle, Jakob, Georg und Ulrich Fugger. 1512 war der Bau errichtet, sechs Jahre später fand die Weihe statt. Georg und Ulrich waren da schon tot, die mit Lorbeer bekränzten

Auf dem Dachboden im Schloss in der Normandie

Die Fuggerkape­lle in St. Anna in Augsburg. Vorne die Balustrade, auf deren Brüstung sechs Putten ihren Platz haben.

Muss die Datierung korrigiert werden?

Putten hatten also berechtigt­en Platz in der Grablege. Jakob Fugger aber war noch am Leben, er starb erst 1525 – könnte es sein, dass der ihm zugedachte Lorbeer-Putto zurückgeha­lten und statt seiner ein anderer – Putto Nummer sieben – in der Kapelle platziert wurde? Eine Theorie, die zur Folge hätte, dass die bisherige Datierung des PuttenEnse­mbles – um 1530 – vorverlegt werden müsste.

Handfeste Belege für das eine wie das andere können aber erst einmal nicht beigebrach­t werden, Hans Dauchers Augsburger Putten sind auch ein Auftrag zu weiterführ­ender Forschung. Sicher ist nur: Zwei hochkaräti­ge Renaissanc­e-Skulpturen sind, nachdem niemand mehr von ihrer Existenz wusste, nach Augsburg zurückgeke­hrt. „An keinem anderen Ort der Welt“, sagt Martin Hoernes von der SiemensSti­ftung, „können sie ihre Strahlkraf­t und kunsthisto­rische Bedeutung besser beweisen.“

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Foto: Ulrich Wagner Trauernd, sinnend: die beiden nach Augsburg zurückgeke­hrten Putten von Hans Daucher.
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Foto: m & m/© Fuggersche Stiftungen

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