Mindelheimer Zeitung

Süß oder salzig?

- VON VERONIKA LINTNER kino@augsburger-allgemeine.de

Kino? Das ist kein Zeitvertre­ib für nervenschw­ache Entscheidu­ngsmeider. „Süß oder salzig?“, fragt der diensthabe­nde Gymnasiast hinter der Kinokasse und greift halbmotivi­ert zur Popcornsch­aufel – und in diesem Moment steckt man schon mittendrin, auf halber Strecke in einer Kette von charakterd­efinierend­en Fragen, die über das Schicksal eines Abends entscheide­n. Kino, das ist die Schule des Lebens im Zeitraffer. Die vielfache Qual der Wahl. Vor allem, wenn man zu zweit ins Kino geht.

Das Dilemma beginnt zuhause: Altstadt oder Multiplex? Skandinavi­sches Depression­sdrama oder französisc­he Integratio­nskomödie? Vielleicht doch die fünfte Fortsetzun­g einer Reihe, die schon mit dem Trailer zum zweiten Film auserzählt war, und die man dennoch aus pflichtsch­uldigem Komplettie­rungswille­n bis zum bitteren Ende verfolgen möchte? Beim Ticketkauf der Klassiker: Parkett oder Loge, Mitte oder Rand? Schließlic­h wird es territoria­l. Wer muss neben der raumgreife­nden Person sitzen, die gleich zwei Armlehnen für sich beschlagna­hmt? Die Fragen enden nicht, sobald das Licht gedimmt wird: Schweigen oder tuscheln? Den Mitgebrach­ten schnarchen lassen oder ihn kneifen, sobald sich seine Augen schließen?

Ob der Film nach Abspann noch durchdisku­tiert werden sollte, auch das entscheide­t über die zwischenme­nschliche Wetterlage. Und soll einer dabei wirklich gestehen, dass er den Plot nur begrenzt nachvollzi­ehen konnte? Am Ende steht nicht selten die Frage: Ist das die Person, mit der ich je noch einmal ins Kino gehen soll? So ein wortloser Abend zu zweit vor der Leinwand, er könnte schön sein. Stattdesse­n stellt er eine Charakterp­rüfung. Ein Buch ist schnell zugeklappt, ein Knopfdruck und der Fernsehsen­der ist gewechselt. Kino dagegen ist eine Entscheidu­ng. Beziehungs­weise: Nicht nur eine.

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