Mindelheimer Zeitung

Die gute alte böse Zeit des Quentin Tarantino

Once upon a Time in Hollywood Der Kultregiss­eur stellt in seinem neuen Film die Uhr genau um ein halbes Jahrhunder­t zurück. Die Filmindust­rie blühte, Flower Power war angesagt – bis ein Ereignis alles veränderte

- VON MARTIN SCHWICKERT

In der Nacht des 8. August 1969 verschafft­en sich Mitglieder der Hippie-Sekte „Manson-Family“Zugang zu einer Villa am Cielo Drive in Los Angelas, die von Regisseur Roman Polanski und seiner Lebensgefä­hrtin Sharon Tate bewohnt wurde. Die Eindringli­nge ermordeten die hochschwan­gere Frau und deren ungeborene­s Kind sowie vier weitere Besucher des Hauses auf brutale Weise. In der US-Zeitgeschi­chtsschrei­bung gelten die Morde als historisch­er Wendepunkt, an dem die amerikanis­che Flower-Power-Bewegung ihre Unschuld verloren hat.

Nun hat sich Quentin Tarantino in seinem neuen Film „Once Upon a Time in Hollywood“des Vorfalles angenommen, aber er spielt das historisch­e Ereignis nur über Bande an. Zunächst einmal geht es dem bekennende­n Filmenthus­iasten um eine Liebeserkl­ärung an die blühende jener Jahre. Es ist die Zeit der großen Western-Serien, und im Zentrum der Erzählung steht der (fiktive) Schauspiel­er Rick Dalton (Leonardo DiCaprio), der es als Star der Kopfgeldjä­ger-Serie „Bounty Law“zu Ruhm, Reichtum und Alkoholabh­ängigkeit gebracht hat. Nach deren Absetzung wird der erfolgsver­wöhnte Schauspiel­er nur noch als Schurke für einzelne Folgen engagiert, in denen andere Hauptdarst­eller in der Gunst des Publikums stehen.

Sein Manager (Al Pacino) versucht Rick zu einem neuen Karrierest­art in den aufkommend­en Spaghetti-Western zu motivieren. Ricks einziger Freund ist sein Angestellt­er Cliff Booth (Brad Pitt), der früher als Stunt-Double einsprang, wenn es für Rick zu gefährlich wurde. Heute kutschiert er den Auftraggeb­er durch die Gegend und übernimmt die Hauswartst­ätigkeiten im großzügige­n Anwesen am Cielo Drive. Gleich nebenan wohnen Sharon Tate (Margot Robbie) und der berühmte Roman Polanski, dessen Bekanntsch­aft Rick nur zu gerne einmal machen würde.

In lässigem Erzähltemp­o folgt Tarantino dem Alltag der beiden Männer, die sich auf sehr unterschie­dlichen Stufen in der Hollywood-Hierarchie bewegen. DiCaprio, der die weinerlich­e Egozentrik des kriselnden Stars lustvoll mit großen Gesten ironisiert, und Pitt, der überzeugen­d den coolen Hund spielt, ergeben ein wunderbare­s Kontrastpa­ar. Und Regisseur Tarantino weiß mit den Image-Profilen seiner beiden Stars zu spielen. Da wird Brad Pitt auch schon mal ohne erkennbare Plotreleva­nz zur Antennen-Reparatur aufs Dach geschickt und darf zeigen, dass er auch unter dem T-Shirt immer noch ein schöner Mann ist.

Souverän tragen DiCaprio und Pitt die scheinbar episodisch­e ErUS-Fernsehkul­tur zählstrukt­ur, die im Verlauf der 160 Kinominute­n fast unmerklich Fahrt aufnimmt und auf den zugrunde liegenden Kriminalfa­ll zuläuft. Allmählich driftet die Hommage an das Hollywood der späten 60er in eine fiktionali­sierte Rekonstruk­tion der Ereignisse, die mit eruptiver Gewalt den entspannte­n Grundton in der letzten halben Stunde aushebelt. Wie des öfteren bei Tarantino ist die Drastik dieser Szenen schwer auszuhalte­n, zumal sie hier einmal nicht als Genrespiel­erei ausgewiese­n ist, sondern reale Ereignisse spiegelt. Dennoch weigert sich Tarantino mit einer überrasche­nden Schlusswen­dung, sich der Wirklichke­it zu beugen – ähnlich wie in „Inglouriou­s Basterds“, wo seine amerikanis­che Undercover-Truppe eben mal Hitler über den Haufen schoss. Auf den Gewaltausb­ruch folgt ein geradezu zartes Happy End, das in guter alter Western-Tradition zeigt, dass zumindest im Kino die Gerechtigk­eit wieder hergestell­t werden kann.

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Foto: Sony Pictures Von Beruf Westernhel­d: Leonardo DiCaprio in der Rolle des Schauspiel­ers Rick Dalton.

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