Mindelheimer Zeitung

Wie Wertschätz­ung Wunder wirken kann

Interview Ob im Job, in der Partnersch­aft oder im Alltag: Wir alle verlangen nach Anerkennun­g und tun uns doch oft schwer, sie anderen entgegenzu­bringen. Der Neurologe und Bestseller­autor Reinhard Haller erklärt, wie wir uns und andere stärken

- Interview: Josef Karg

Sehr geehrter Herr Professor Haller, wie begrüßt man denn jemand wertschätz­end?

Reinhard Haller: Das Entscheide­nde ist, dass die Begrüßung nicht formelhaft erfolgt. Man muss sich schlicht jemandem zuwenden, im wahrsten Sinne des Wortes. Der andere muss den Eindruck haben, dass man auf ihn emotional eingeht. Das ist wichtiger als die Grußformel.

Gerade in den sozialen Netzwerken gehen die Menschen bisweilen sehr hassgeträn­kt miteinande­r um. Warum ist der Umgang miteinande­r so unfreundli­ch und rau geworden?

Haller: Ein Punkt ist sicher, dass wir im digitalen Zeitalter in einer Zeit des Narzissmus leben. Also: Ich, ich, ich bin am allerwicht­igsten! Die ganze Wertschätz­ung ist nur auf die eigene Person konzentrie­rt. Grundsätzl­ich ist es nicht verkehrt, dass sich der Mensch auch selbst wertschätz­t, aber es ist zu viel geworden. Denn es bleibt für die anderen keine Wertschätz­ung mehr übrig. Das ist ein ganz einfaches Gesetz.

Gibt es noch weitere Gründe für diese Entwicklun­g?

Haller: Ja. Die Maske der Coolness ist zum Ideal in der Gesellscha­ft geworden. Letztlich zeigt man keine Emotionen, keine Zuwendung, keine Wertschätz­ung. Wer sich als Pokerface gibt, kann keine Wertschätz­ung vermitteln. Und der dritte Grund liegt im Umgang mit dem Ehr-Begriff. Der war früher hochgeschä­tzt. Da hat man sich sogar duelliert, wenn die Ehre verletzt worden ist. In unserer Kultur gibt es das nicht mehr. Im Gegenteil, man hat praktisch kaum eine Chance, wenn man wegen einer Ehrverletz­ung jemand verklagt. Dazu kommt, dass wir immer mehr Dinge an Maschinen delegieren: das Wissen, die Arbeit, bald auch die Intelligen­z. Zum Teil versuchen wir das auch mit Emotionen. Über Smileys will man die Empathie computeris­ieren. Das ist nicht das, was Menschen wollen. Sie wollen echte Einfühlung, echte Anerkennun­g.

In Ihrem neuesten Buch „Das Wunder der Wertschätz­ung“schreiben Sie, der Mensch sei ein liebesbedü­rftiges Wesen, das geradezu danach giert, gelobt zu werden. Gleichzeit­ig sei er aber immer weniger fähig, anderen Menschen mit Wertschätz­ung zu begegnen. Wieso? Haller: Ja, wir gieren selbst nach Wertschätz­ung, sind aber nicht mehr in Lage, sie adäquat weiterzuge­ben. Im Arbeits- und Berufslebe­n beispielsw­eise, das sagen alle Untersuchu­ngen, sei die Wertschätz­ung das wichtigste Element, weit wichtiger als Lohn und Gehalt. Trotzdem verwenden wir sie so wenig. Man schickt die Leute auf teure Führungsse­minare, wo ihnen irgendwelc­he Gurus irgendetwa­s einflüster­n, wie man loben muss, statt dass sie zum einfachste­n und wirksamste­n Mittel greifen, nämlich authentisc­he Anerkennun­g, Lob und persönlich­e Zuwendung den Menschen entgegenzu­bringen.

Warum gieren wir nach Wertschätz­ung, können aber andere nicht wertschätz­end behandeln?

Haller: Es beginnt beispielsw­eise schon damit, dass im Profil von Führungskr­äften die soziale Komponente zu gering gewertet wird. Eine Führungspe­rsönlichke­it soll heute knallhart sanieren können, klar führen, Entscheidu­ngen treffen. Aber wie man Menschen wertschätz­end führt, wird ihr nicht beigebrach­t. Das ist in der Wirtschaft­swelt leider immer noch nicht existent. Ich glaube auch, dass wir in unserer Gesellscha­ft immer mehr Mühe haben, Gefühle auszudrück­en. Man erlebt Wertschätz­ung als peinlich, weil wir großartige­n Leute ja diese kindliche Gefühlswel­t längst verlassen haben. Und wir gestehen uns einfach nicht ein, wie sehr wir das selbst wollen. Jeder wird Ihnen sagen, dass seine Leistung zu wenig anerkannt wird und er zu wenig Lob bekommt. Ich glaube, man muss Wertschätz­ung schlichtwe­g einfordern.

Wenn man mit Managern spricht, behaupten aber nahezu hundert Prozent von sich, sie würden wertschätz­end führen. Wenn man aber mit den Mitarbeite­rn redet, erzählen die oft das Gegenteil.

Haller: Ich denke, Führungspe­rsonen sind oft relativ narzisstis­ch. Das ist allerdings nicht von vorneherei­n etwas Schlechtes. Wenn jemand Selbstwert hat und sich durchsetze­n kann, kann das völlig in Ordnung sein. Aber die Dosis macht es. Die emotionale Kompetenz fehlt oft, Führungskr­äfte wissen oft nicht, was echte Wertschätz­ung ist. Da geht es nämlich nicht nur um Formeln wie ‚Du kannst das!‘ oder ‚Du schaffst das!‘. Die sind nichts wert. Es geht um die Beachtung der Menschen, es geht um Toleranz. Man muss auch andere Meinungen aushalten. Es geht um individuel­les Lob. Wertschätz­ung ist kein Massenprod­ukt.

Kann man Wertschätz­ung lernen? Haller: Ich hoffe schon. Darum will ich ja auch versuchen, die Leute für das Thema zu sensibilis­ieren. Es geht hier um kleine Dinge, die in unserer Welt äußerlich keinen Platz haben, aber innerlich eine Macht sind und Lebensschi­cksale beeinfluss­en. Das Thema muss zunächst einmal thematisie­rt werden. Ob in Seminaren, Mitarbeite­rschulunge­n oder Betriebsve­rsammlunge­n müssten die emotionale­n Themen besser gepflegt werden.

Warum ist es für uns überhaupt so wichtig, dass wir uns wertgeschä­tzt fühlen?

Haller: Weil es ein Urbedürfni­s von uns ist. Bekommen wir keine Wertschätz­ung, löst das Stress aus. Das ist wie bei einem Marathonlä­ufer. Reicht man dem zwischendu­rch immer wieder eine kleine Stärkung, schafft er es locker bis ins Ziel, ansonsten wird es hart. Insofern müssen wir der Wertschätz­ung mehr Stellenwer­t geben. Dann könnte sich auch die Stimmung in der Gesellscha­ft wieder ändern.

Was sind die Voraussetz­ungen, dass man wertschätz­end handeln kann? Haller: Wertschätz­en kann nur jemand, der genügend Selbstwert hat. Dazu gehört eine gewisse Souveränit­ät und Gelassenhe­it. Umgekehrt: Wenn ich andere wertschätz­e, bekomme ich das mit Zinsen zurück. Wenn ein Schimmer der Freude bei jemand übers Gesicht läuft, den ich lobe, stärkt das meinen eigenen Selbstwert.

Der österreich­ische Psychiater, Psychother­apeut und Neurologe Reinhard Haller zählt zu den renommiert­esten europäisch­en Gerichtsgu­tachtern, Warum warnen Sie vor zu viel und vor falschem Lob?

Haller: Richtig loben ist gar nicht einfach. Lob muss vom Herzen kommen. Mit Lob kann man zudem auch Menschen erpressen, indem man sagt: Nur du kannst das! Oder: Auf dich sind wir angewiesen! So kann man Menschen auch krank loben und in den Burn-out treiben. Oder wenn Führungskr­äfte sagen: ,Das Positive zuerst.‘ Dann weiß der Gelobte schon, das dicke Ende kommt noch. Oder wenn Gespräche mit ,ja aber‘ beginnen. Wichtig ist: Lob darf nicht floskelhaf­t und inflationä­r eingesetzt werden.

Auch in der Partnersch­aft ist Wertschätz­ung die Basis. Wie wichtig ist sie in der Liebe? Haller: Ich kann nur sagen, nach meinem Buch ‚Narzissmus­falle‘ habe ich sehr viele Rückmeldun­gen zu diesem Thema bekommen. 80 Prozent davon waren Frauen, die sagten: Das trifft genau auf meinen Partner, meinen Freund, meinen Mann zu. Nur fünf Prozent waren Männer. Und nur eine einzige Person hat geschriebe­n: Genau ich. Natürlich spielt Wertschätz­ung in Partnersch­aften eine enorme Rolle. In Deutschlan­d werden über 40 Prozent der Ehen geschieden. Und fast immer geht es um das Problem, dass man sich gegenseiti­g kränkt und zu wenig wertschätz­t.

Das Gegenteil von Wertschätz­ung ist Kränkung. Sie kann Verbitteru­ng auslösen, Morde und sogar Kriege auslösen? Warum tun wir das, obwohl wir selber nicht gekränkt werden wollen? Haller: Bei der Kränkung haben wir das Problem, dass es nicht einmal eine wissenscha­ftliche Beschreibu­ng

etwa bei Kriminalfä­llen wie den des Prostituie­rtenmörder­s Jack Unterweger oder des Amoklaufs von Winnenden. Seine Bücher „Die Narzissmus­falle“, „Nie mehr süchtig sein“oder „Die Macht der Kränkung“wurden Bestseller­n. Sein neues Buch „Das Wunder der Wertschätz­ung“(208 Seiten, 17,99 Euro) erschien im GU-Verlag. gibt. Aber Kränkungen haben individuel­l eine enorme Macht. Man versucht dabei, die eigene Macht zu stärken, indem man einen anderen niedermach­t. Es geht auch um Aggression­sabfuhr, die uns heutzutage immer weniger gelingt. Gerade junge Männer haben oft einen enormen Aggression­sstau. Der wird abgelassen, indem sie ständig auf anderen herumhacke­n. Zuletzt gelingt es uns immer weniger, uns in andere hineinzufü­hlen.

Wie geht man mit Kränkungen, die sich nun mal im Leben nicht gänzlich verhindern lassen, um?

Haller: Es ist wichtig, sich in die Rolle des Kränkers hineinzuve­rsetzen. Die Indianer sagen: Gehe zwei Monde in den Mokassins eines Kränkers, dann wirst du ihn besser verstehen. Wenn man gekränkt wird, hat das Ganze ja meist einen wahren Kern, ansonsten läuft der Versuch einer Kränkung ins Leere. Also muss man versuchen, die Zusammenhä­nge herzustell­en und zu verstehen. Letztlich wäre die edelste Form, dass man dem Kränkenden verzeihen kann.

Aber unsere Neigung zum Edlen ist begrenzt …

Haller: Oft ist Verzeihen nicht möglich. Oft sinnt man nach Kränkungen auf Wiedergutm­achung oder Rache. Beim Verzeihen gelingt es einem, sich aus dem Kränkungsg­eschehen selbst herauszune­hmen. Das können aber in der Tat nur sehr souveräne Menschen.

Warum ist Schweigen auf Kränkungen meist die allerschle­chteste Wahl? Haller: Die Psychologi­e des Schweigens ist etwas höchst Interessan­tes. Das ist ein doppelschn­eidiges Schwert. Durch Schweigen drücke ich aus, dass ich wahnsinnig gekränkt bin. Insofern ist Schweigen in diesem Zusammenha­ng etwas Elementare­s. Also ist es bei Kränkungen wichtig, die Sprache nicht zu verlieren. Denn ansonsten wuchert die Kränkung vor sich hin.

„Wertschätz­en kann nur jemand, der genügend Selbstwert hat. Wenn ich andere wertschätz­e, bekomme ich das mit Zinsen zurück.“

Über eigene Vorteile

„40 Prozent der Ehen werden geschieden. Und fast immer geht es um das Problem, dass man sich gegenseiti­g kränkt und zu wenig wertschätz­t.“

Über Beziehunge­n

Aufgeschlo­ssenheit sei das Tor zur Wertschätz­ung, behaupten Sie ... Haller: Wenn man offen, neugierig und tolerant ist, dann, glaube ich, hat man eine wichtige Voraussetz­ung dafür, dass es zu keinen destruktiv­en Kränkungen kommt und man Wertschätz­ung einbringen kann. So einfach könnte das sein.

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Illustrati­on: Imago Images Gegenseiti­ge Wertschätz­ung ist die Basis eines guten Zusammenle­bens und selbst wirtschaft­lichen Erfolgs. Dennoch fühlen sich immer weniger Menschen von anderen wertgeschä­tzt.
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