Wie Wertschätzung Wunder wirken kann
Interview Ob im Job, in der Partnerschaft oder im Alltag: Wir alle verlangen nach Anerkennung und tun uns doch oft schwer, sie anderen entgegenzubringen. Der Neurologe und Bestsellerautor Reinhard Haller erklärt, wie wir uns und andere stärken
Sehr geehrter Herr Professor Haller, wie begrüßt man denn jemand wertschätzend?
Reinhard Haller: Das Entscheidende ist, dass die Begrüßung nicht formelhaft erfolgt. Man muss sich schlicht jemandem zuwenden, im wahrsten Sinne des Wortes. Der andere muss den Eindruck haben, dass man auf ihn emotional eingeht. Das ist wichtiger als die Grußformel.
Gerade in den sozialen Netzwerken gehen die Menschen bisweilen sehr hassgetränkt miteinander um. Warum ist der Umgang miteinander so unfreundlich und rau geworden?
Haller: Ein Punkt ist sicher, dass wir im digitalen Zeitalter in einer Zeit des Narzissmus leben. Also: Ich, ich, ich bin am allerwichtigsten! Die ganze Wertschätzung ist nur auf die eigene Person konzentriert. Grundsätzlich ist es nicht verkehrt, dass sich der Mensch auch selbst wertschätzt, aber es ist zu viel geworden. Denn es bleibt für die anderen keine Wertschätzung mehr übrig. Das ist ein ganz einfaches Gesetz.
Gibt es noch weitere Gründe für diese Entwicklung?
Haller: Ja. Die Maske der Coolness ist zum Ideal in der Gesellschaft geworden. Letztlich zeigt man keine Emotionen, keine Zuwendung, keine Wertschätzung. Wer sich als Pokerface gibt, kann keine Wertschätzung vermitteln. Und der dritte Grund liegt im Umgang mit dem Ehr-Begriff. Der war früher hochgeschätzt. Da hat man sich sogar duelliert, wenn die Ehre verletzt worden ist. In unserer Kultur gibt es das nicht mehr. Im Gegenteil, man hat praktisch kaum eine Chance, wenn man wegen einer Ehrverletzung jemand verklagt. Dazu kommt, dass wir immer mehr Dinge an Maschinen delegieren: das Wissen, die Arbeit, bald auch die Intelligenz. Zum Teil versuchen wir das auch mit Emotionen. Über Smileys will man die Empathie computerisieren. Das ist nicht das, was Menschen wollen. Sie wollen echte Einfühlung, echte Anerkennung.
In Ihrem neuesten Buch „Das Wunder der Wertschätzung“schreiben Sie, der Mensch sei ein liebesbedürftiges Wesen, das geradezu danach giert, gelobt zu werden. Gleichzeitig sei er aber immer weniger fähig, anderen Menschen mit Wertschätzung zu begegnen. Wieso? Haller: Ja, wir gieren selbst nach Wertschätzung, sind aber nicht mehr in Lage, sie adäquat weiterzugeben. Im Arbeits- und Berufsleben beispielsweise, das sagen alle Untersuchungen, sei die Wertschätzung das wichtigste Element, weit wichtiger als Lohn und Gehalt. Trotzdem verwenden wir sie so wenig. Man schickt die Leute auf teure Führungsseminare, wo ihnen irgendwelche Gurus irgendetwas einflüstern, wie man loben muss, statt dass sie zum einfachsten und wirksamsten Mittel greifen, nämlich authentische Anerkennung, Lob und persönliche Zuwendung den Menschen entgegenzubringen.
Warum gieren wir nach Wertschätzung, können aber andere nicht wertschätzend behandeln?
Haller: Es beginnt beispielsweise schon damit, dass im Profil von Führungskräften die soziale Komponente zu gering gewertet wird. Eine Führungspersönlichkeit soll heute knallhart sanieren können, klar führen, Entscheidungen treffen. Aber wie man Menschen wertschätzend führt, wird ihr nicht beigebracht. Das ist in der Wirtschaftswelt leider immer noch nicht existent. Ich glaube auch, dass wir in unserer Gesellschaft immer mehr Mühe haben, Gefühle auszudrücken. Man erlebt Wertschätzung als peinlich, weil wir großartigen Leute ja diese kindliche Gefühlswelt längst verlassen haben. Und wir gestehen uns einfach nicht ein, wie sehr wir das selbst wollen. Jeder wird Ihnen sagen, dass seine Leistung zu wenig anerkannt wird und er zu wenig Lob bekommt. Ich glaube, man muss Wertschätzung schlichtweg einfordern.
Wenn man mit Managern spricht, behaupten aber nahezu hundert Prozent von sich, sie würden wertschätzend führen. Wenn man aber mit den Mitarbeitern redet, erzählen die oft das Gegenteil.
Haller: Ich denke, Führungspersonen sind oft relativ narzisstisch. Das ist allerdings nicht von vorneherein etwas Schlechtes. Wenn jemand Selbstwert hat und sich durchsetzen kann, kann das völlig in Ordnung sein. Aber die Dosis macht es. Die emotionale Kompetenz fehlt oft, Führungskräfte wissen oft nicht, was echte Wertschätzung ist. Da geht es nämlich nicht nur um Formeln wie ‚Du kannst das!‘ oder ‚Du schaffst das!‘. Die sind nichts wert. Es geht um die Beachtung der Menschen, es geht um Toleranz. Man muss auch andere Meinungen aushalten. Es geht um individuelles Lob. Wertschätzung ist kein Massenprodukt.
Kann man Wertschätzung lernen? Haller: Ich hoffe schon. Darum will ich ja auch versuchen, die Leute für das Thema zu sensibilisieren. Es geht hier um kleine Dinge, die in unserer Welt äußerlich keinen Platz haben, aber innerlich eine Macht sind und Lebensschicksale beeinflussen. Das Thema muss zunächst einmal thematisiert werden. Ob in Seminaren, Mitarbeiterschulungen oder Betriebsversammlungen müssten die emotionalen Themen besser gepflegt werden.
Warum ist es für uns überhaupt so wichtig, dass wir uns wertgeschätzt fühlen?
Haller: Weil es ein Urbedürfnis von uns ist. Bekommen wir keine Wertschätzung, löst das Stress aus. Das ist wie bei einem Marathonläufer. Reicht man dem zwischendurch immer wieder eine kleine Stärkung, schafft er es locker bis ins Ziel, ansonsten wird es hart. Insofern müssen wir der Wertschätzung mehr Stellenwert geben. Dann könnte sich auch die Stimmung in der Gesellschaft wieder ändern.
Was sind die Voraussetzungen, dass man wertschätzend handeln kann? Haller: Wertschätzen kann nur jemand, der genügend Selbstwert hat. Dazu gehört eine gewisse Souveränität und Gelassenheit. Umgekehrt: Wenn ich andere wertschätze, bekomme ich das mit Zinsen zurück. Wenn ein Schimmer der Freude bei jemand übers Gesicht läuft, den ich lobe, stärkt das meinen eigenen Selbstwert.
Der österreichische Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe Reinhard Haller zählt zu den renommiertesten europäischen Gerichtsgutachtern, Warum warnen Sie vor zu viel und vor falschem Lob?
Haller: Richtig loben ist gar nicht einfach. Lob muss vom Herzen kommen. Mit Lob kann man zudem auch Menschen erpressen, indem man sagt: Nur du kannst das! Oder: Auf dich sind wir angewiesen! So kann man Menschen auch krank loben und in den Burn-out treiben. Oder wenn Führungskräfte sagen: ,Das Positive zuerst.‘ Dann weiß der Gelobte schon, das dicke Ende kommt noch. Oder wenn Gespräche mit ,ja aber‘ beginnen. Wichtig ist: Lob darf nicht floskelhaft und inflationär eingesetzt werden.
Auch in der Partnerschaft ist Wertschätzung die Basis. Wie wichtig ist sie in der Liebe? Haller: Ich kann nur sagen, nach meinem Buch ‚Narzissmusfalle‘ habe ich sehr viele Rückmeldungen zu diesem Thema bekommen. 80 Prozent davon waren Frauen, die sagten: Das trifft genau auf meinen Partner, meinen Freund, meinen Mann zu. Nur fünf Prozent waren Männer. Und nur eine einzige Person hat geschrieben: Genau ich. Natürlich spielt Wertschätzung in Partnerschaften eine enorme Rolle. In Deutschland werden über 40 Prozent der Ehen geschieden. Und fast immer geht es um das Problem, dass man sich gegenseitig kränkt und zu wenig wertschätzt.
Das Gegenteil von Wertschätzung ist Kränkung. Sie kann Verbitterung auslösen, Morde und sogar Kriege auslösen? Warum tun wir das, obwohl wir selber nicht gekränkt werden wollen? Haller: Bei der Kränkung haben wir das Problem, dass es nicht einmal eine wissenschaftliche Beschreibung
etwa bei Kriminalfällen wie den des Prostituiertenmörders Jack Unterweger oder des Amoklaufs von Winnenden. Seine Bücher „Die Narzissmusfalle“, „Nie mehr süchtig sein“oder „Die Macht der Kränkung“wurden Bestsellern. Sein neues Buch „Das Wunder der Wertschätzung“(208 Seiten, 17,99 Euro) erschien im GU-Verlag. gibt. Aber Kränkungen haben individuell eine enorme Macht. Man versucht dabei, die eigene Macht zu stärken, indem man einen anderen niedermacht. Es geht auch um Aggressionsabfuhr, die uns heutzutage immer weniger gelingt. Gerade junge Männer haben oft einen enormen Aggressionsstau. Der wird abgelassen, indem sie ständig auf anderen herumhacken. Zuletzt gelingt es uns immer weniger, uns in andere hineinzufühlen.
Wie geht man mit Kränkungen, die sich nun mal im Leben nicht gänzlich verhindern lassen, um?
Haller: Es ist wichtig, sich in die Rolle des Kränkers hineinzuversetzen. Die Indianer sagen: Gehe zwei Monde in den Mokassins eines Kränkers, dann wirst du ihn besser verstehen. Wenn man gekränkt wird, hat das Ganze ja meist einen wahren Kern, ansonsten läuft der Versuch einer Kränkung ins Leere. Also muss man versuchen, die Zusammenhänge herzustellen und zu verstehen. Letztlich wäre die edelste Form, dass man dem Kränkenden verzeihen kann.
Aber unsere Neigung zum Edlen ist begrenzt …
Haller: Oft ist Verzeihen nicht möglich. Oft sinnt man nach Kränkungen auf Wiedergutmachung oder Rache. Beim Verzeihen gelingt es einem, sich aus dem Kränkungsgeschehen selbst herauszunehmen. Das können aber in der Tat nur sehr souveräne Menschen.
Warum ist Schweigen auf Kränkungen meist die allerschlechteste Wahl? Haller: Die Psychologie des Schweigens ist etwas höchst Interessantes. Das ist ein doppelschneidiges Schwert. Durch Schweigen drücke ich aus, dass ich wahnsinnig gekränkt bin. Insofern ist Schweigen in diesem Zusammenhang etwas Elementares. Also ist es bei Kränkungen wichtig, die Sprache nicht zu verlieren. Denn ansonsten wuchert die Kränkung vor sich hin.
„Wertschätzen kann nur jemand, der genügend Selbstwert hat. Wenn ich andere wertschätze, bekomme ich das mit Zinsen zurück.“
Über eigene Vorteile
„40 Prozent der Ehen werden geschieden. Und fast immer geht es um das Problem, dass man sich gegenseitig kränkt und zu wenig wertschätzt.“
Über Beziehungen
Aufgeschlossenheit sei das Tor zur Wertschätzung, behaupten Sie ... Haller: Wenn man offen, neugierig und tolerant ist, dann, glaube ich, hat man eine wichtige Voraussetzung dafür, dass es zu keinen destruktiven Kränkungen kommt und man Wertschätzung einbringen kann. So einfach könnte das sein.