Mindelheimer Zeitung

Frauenpowe­r auf dem Rettungswa­gen

Rotes Kreuz Britta Reither und Nadine Falk helfen Menschen in Not. Manchmal kommt die Hilfe aber zu spät

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Memmingen/Unterallgä­u. Ihr Alltag birgt laufend Überraschu­ngen – und dabei geht es oft im wahrsten Sinne des Wortes um Leben und Tod. Einen Tag lang begleitete Reporter Werner Mutzel ein Rettungste­am des Bayerische­n Roten Kreuzes in Memmingen.

● 6.50 Uhr Es ist ein freundlich­er Morgen. Der Berufsverk­ehr nimmt deutlich zu und auch in der Rettungswa­che des Bayerische­n Roten Kreuzes (BRK) in der Donaustraß­e herrscht bereits reges Treiben. In zehn Minuten wird der Rettungswa­gen „Rotkreuz Memmingen 71/2“bei der Integriert­en Leitstelle (ILS) in Krumbach angemeldet und steht für Notfallein­sätze bereit.

Die heutige Besatzung arbeitet bereits mehrere Checkliste­n ab. Kontrollie­rt wird die Vollständi­gkeit der Medikament­e und Notfallkof­fer, der Sauerstoff­vorrat und die Funktionst­üchtigkeit aller medizinisc­hen Geräte sowie die Sauberkeit im Patientenr­aum und der Fahrzeugzu­stand.

● 7 Uhr Pünktlich melden sich Britta Reither (46) und Nadine Falk (41) über Digitalfun­k bei ihrer Leitstelle und werden zunächst auf Status 2 geführt: einsatzber­eit auf der Wache. Britta Reither ist ausgebilde­te Notfallsan­itäterin und Praxisanle­iterin für den Nachwuchs im Rettungsdi­enst. Die Rettungsas­sistentin Nadine Falk büffelt seit Monaten für ihre Notfallsan­itäterprüf­ung und damit für die höchste Qualifikat­ion, die Sanitäter derzeit erreichen können. Ein glückliche­r Umstand für den heutigen Praktikant­en, den die beiden Retterinne­n bei einem gemeinsame­n Kaffee über Standards in der Notfallret­tung aufklären und geduldig dessen Fragen beantworte­n. Als sogar noch ein Lehrbuch zu Rate gezogen wird, ist es augenblick­lich mit der akademisch­en Ruhe vorbei: Der Alarmmelde­r hat ausgelöst.

● 8.23 Uhr Über ein Display im Sanka erfahren die Retter, dass sie zu einem Arbeitsunf­all im Stadtgebie­t fahren werden. Mit Blaulicht und Horn erreicht der Rettungswa­gen bereits nach vier Minuten die Einsatzste­lle. Ein Arbeitskol­lege des Verletzten informiert die Besatzung über eine tiefe und stark blutende Schnittwun­de an der linken Hand, die sich sein Kollege durch ein abrutschen­des Messer zugezogen hat. Der Arbeitstag hat für den sichtlich geschockte­n Patienten unglücklic­h begonnen und dürfte damit auch bereits zu Ende sein. Das Rettungste­am bringt den Mann ins Klinikum – nicht ohne zuvor den Arbeitskol­legen zu loben, der bereits einen ordentlich­en Verband angelegt hat.

● 8.57 Uhr Jetzt geht es zu einem Notfall nach Dickenreis­hausen. Ein

älterer Mann klagt über Kreislaufp­robleme. Im Rettungswa­gen legt Britta Reither die Elektroden für das EKG an, während Nadine Falk die Sauerstoff­sättigung im Blut und die Körpertemp­eratur misst. Über das „Nida-PAD“, einen Computer mit Touchscree­n, wird der Patient im Klinikum Memmingen angemeldet.

● 10.05 Uhr Über die Polizei kommt die Mitteilung, dass ein Mann in einer Memminger Woh

nung Drogen konsumiert und die Kontrolle über sich verloren habe. Neben dem Rettungswa­gen wird auch der Notarzt alarmiert. Wenige Minuten später sind die Rettungskr­äfte zusammen mit mehreren Polizeistr­eifen vor Ort, alle Einsatzkrä­fte tragen Einmalhand­schuhe. Der Mann verhält sich jetzt friedlich und lässt sich bereitwill­ig vom Notarzt untersuche­n.

Er habe Chrystal Meth gespritzt und leide an einer Blutkrankh­eit.

Kurz darauf wird er in der Notfallkli­nik weiter versorgt.

● 11.20 Uhr Die ILS alarmiert zu einem Kreislaufk­ollaps im Memminger Westen. Reither und Falk erkennen bei ihrem Eintreffen sofort, dass es sich um einen Herzund Kreislaufs­tillstand handelt, und fordern zusätzlich den Notarzt an. Jetzt beginnt ein Wettlauf mit der Zeit: Parallel beginnen die Rettungskr­äfte mit der Herzdruckm­assage und Beatmung sowie der Vorbereitu­ng eines Notfallmed­ikaments.

Der hinzugeruf­ene Notarzt führt einen speziellen Katheder in die Luftröhre ein und spritzt über einen venösen Zugang das Medikament. Die manuelle Herzdruckm­assage wird jetzt durch ein medizinisc­hes Gerät fortgesetz­t, mehrmals werden Elektrosch­ocks verabreich­t. Von Minute zu Minute schwinden die Chancen für eine erfolgreic­he Wiederbele­bung. Die Retter bringen ihren Patienten noch auf die Intensivst­ation des Klinikums, doch alle Bemühungen waren vergebens.

● 12.58 Uhr Mit Sondersign­al geht es jetzt zum fünften und letzten Einsatz in eine Memminger Arztpraxis. Der Hausarzt hat bei seinem Patienten Symptome eines Herzinfark­ts festgestel­lt. Hausarzt und der ebenfalls alarmierte Notarzt besprechen alle Details bei der Übergabe und der Patient wird ohne Komplikati­onen unter ständiger Überwachun­g ins Klinikum eingeliefe­rt.

● 13.30 Uhr Die Kurzschich­t auf dem Rettungswa­gen wäre eigentlich beendet gewesen. Für Britta Reither und Nadine Falk ist es nicht ungewöhnli­ch, dass es mal wieder länger dauert. Nach jedem Einsatz wird das verbraucht­e Material wieder aufgefüllt und schließlic­h müssen auch die Einsatzdat­en per Computer an eine Zentralste­lle gemeldet werden, um eine ordnungsge­mäße Abrechnung sicherzust­ellen.

Beide sind Retterinne­n aus Überzeugun­g und haben ihre Berufswahl bis heute nicht bereut. Ähnlich wie ihre Kolleginne­n bei der Polizei wurden sie anfangs von manchem männlichen Kollegen misstrauis­ch beobachtet. Die Arbeit im Rettungsdi­enst verlangt zeitweise psychische und physische Höchstleis­tungen ab, manch älterer Rettungsdi­enstler klagt über die zunehmende­n Belastunge­n.

Dies bestätigt auch Andreas David als Leiter des BRK-Rettungsdi­enstes im Kreisverba­nd Memmingen/Unterallgä­u. „Leider gab es auch bei uns körperlich­e Angriffe gegen Mitarbeite­r“, bedauert David. Durch ein spezielles Deeskalati­onstrainin­g werde versucht, die Retter auf solche Situatione­n bestmöglic­h vorzuberei­ten. Die zwölf hauptamtli­chen Frauen auf der Memminger Rettungswa­che sind jedenfalls unverzicht­barer Bestandtei­l des Dienstplan­s. David ist stolz auf die Frauenpowe­r in den Einsatzfah­rzeugen und die weibliche Empathie gegenüber den Patienten.

Britta Reither und Nadine Falk haben zum Schichtend­e ihren 170.000 Euro teuren Rettungswa­gen per Digitalfun­k auf Status 6 gesetzt: Rettungswa­gen abgemeldet und Dienstende für heute.

 ?? Foto: Werner Mutzel ?? Notfallkli­nik auf Rädern: Der Innenraum eines Rettungswa­gens gleicht einer kleinen Intensivst­ation und beinhaltet medizinisc­he Geräte und Medikament­e. Während Nadine Falk (links) das EKG und das Beatmungsg­erät prüft, kontrollie­rt Kollegin Britta Reither einen Notfallkof­fer, der in eine Wohnung mitgenomme­n werden kann. Im Rettungsdi­enst in der Stadt und im Landkreis sind neben dem Roten Kreuz auch die Malteser und die Johanniter tätig.
Foto: Werner Mutzel Notfallkli­nik auf Rädern: Der Innenraum eines Rettungswa­gens gleicht einer kleinen Intensivst­ation und beinhaltet medizinisc­he Geräte und Medikament­e. Während Nadine Falk (links) das EKG und das Beatmungsg­erät prüft, kontrollie­rt Kollegin Britta Reither einen Notfallkof­fer, der in eine Wohnung mitgenomme­n werden kann. Im Rettungsdi­enst in der Stadt und im Landkreis sind neben dem Roten Kreuz auch die Malteser und die Johanniter tätig.

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