Waigel: Christen sollen politisch handeln
Vortrag Der ehemalige Bundesfinanzminister und die Suche nach Antworten auf aktuelle Krisen
Bad Wörishofen Wer einen Promi vom Kaliber des Bundesfinanzministers a.D. in die Kurstadt Bad Wörishofen einlädt, kann sich ziemlich sicher sein, dass die Zuhörer nicht ausbleiben. So war es auch bei der Veranstaltung von katholischer und evangelischer Kirche mit dem katholischen Erwachsenenbildungswerk Forum Bad Wörishofen.
Die meisten im Publikum dürften Waigel in seiner Amtszeit als Finanzminister erlebt haben. Maßgeblich auf sein Konto gingen die Vorbereitungen und Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten zur Einführung des „Euro“; der Währungsname selbst soll seine Schöpfung sein. Umtriebig ist der in Oberrohr/Ursberg geborene Sohn eines Handwerkers auch mit seinen inzwischen 80 Jahren geblieben.
Wer Theo Waigel kennt, weiß, dass er kurzweilig, manchmal fesselnd, vor allem aber mit ironischer Selbstreflexion über sich und sein Leben erzählen kann. So hielt er den Ball ganz zu Anfang flach – auch weil sich Geschichte nie wiederhole –, indem, er den ehemaligen Innenminister Friedrich Zimmermann zitierte, der zu Helmut Kohl – sarkastisch – gesagt haben soll:“Kann sein, dass wir keine Zukunft mehr haben, aber wir haben eine riesige Vergangenheit.“ Zum Widerspruch des Abends gehörte dann aber, dass es doch überwiegend um die Vergangenheit ging, jene des Referenten und die, die seine These „Christlicher Glaube – eine Aufforderung zu politischem Handeln!“(Buchtitel) untermauern sollte. Dazu holte Waigel weit aus, hob ab auf seine frühkirchlichen Erlebnisse. Damals habe man Kindern eingetrichtert, dass sie nur mit viel Beten, dem Beichten ihrer Sünden hoffen durften, zwar nicht in den Himmel aber immerhin doch ins Fegefeuer zu kommen; eine Theologie der Angst. Sie hinderte Waigel nicht daran, der katholischen Konfession eng verbunden zu bleiben und die Lehren von philosophischen Vordenkern wie Eugen Biser und Joseph Bernhart zur Richtschnur seines eigenen ethischen Handelns auch in der Politik zu machen.
Waigel wurde durch das gesellschaftliche Klima der frühen Nachkriegszeit geprägt, das von Verdrängung selbst derjenigen bestimmt gewesen sei, die Verfolgte vor den NS-Chargen versteckt oder gerettet hätten. Sie hatten – vielleicht aus Selbstschutz – nicht den Mut zu sagen, was gewesen war. Vor diesem Hintergrund plädiert Waigel für politische Wahrhaftigkeit und Freiheit in Verantwortung, basierend auf einer bereits vorstaatlichen Ordnung. Diese gelte es von einer Bürgergesellschaft tagaus und tagein zu verteidigen. Das sittliche Prinzip der Freiheit sei nicht selbstverständlich, erklärte er warnend unter Hinweis auch auf die fehlgeleiteten Intellektuellen des Münchener Salon Bruckmann, die Hitler nach seiner Haftentlassung hofierten.
Einen großen Teil nehmen auch Waigels Erinnerungen an den Fall des Eisernen Vorhangs und die Wendezeit ein, die er in der Schaltzentrale der Mächtigen verbrachte, in der er selbst Einfluss ausübte und die Charaktere der Akteure aus nächster Nähe kennenlernte. Es ist der spannendste Teil seines Vortrags. Das Ganze bleibt dabei aber eben vor allem autobiografisch und alles in allem, nachdem sich so manche Woge persönlicher Animositäten zwischen den Großen einer politischen Ära geglättet hat, ein Rückblick in Harmonie. Die gegenwärtigen Egomanen auf der politischen Weltbühne wurden zwar kritisiert, die AfD bekam ihr Fett ab und die Klimaaktivisten Waigels Wohlwollen, Inspirationen aber im Hinblick auf die vielfältigen Krisen der Gegenwart blieben aus.