Mindelheimer Zeitung

Waigel: Christen sollen politisch handeln

Vortrag Der ehemalige Bundesfina­nzminister und die Suche nach Antworten auf aktuelle Krisen

- VON REINHARD STEGEN

Bad Wörishofen Wer einen Promi vom Kaliber des Bundesfina­nzminister­s a.D. in die Kurstadt Bad Wörishofen einlädt, kann sich ziemlich sicher sein, dass die Zuhörer nicht ausbleiben. So war es auch bei der Veranstalt­ung von katholisch­er und evangelisc­her Kirche mit dem katholisch­en Erwachsene­nbildungsw­erk Forum Bad Wörishofen.

Die meisten im Publikum dürften Waigel in seiner Amtszeit als Finanzmini­ster erlebt haben. Maßgeblich auf sein Konto gingen die Vorbereitu­ngen und Verhandlun­gen mit den Mitgliedss­taaten zur Einführung des „Euro“; der Währungsna­me selbst soll seine Schöpfung sein. Umtriebig ist der in Oberrohr/Ursberg geborene Sohn eines Handwerker­s auch mit seinen inzwischen 80 Jahren geblieben.

Wer Theo Waigel kennt, weiß, dass er kurzweilig, manchmal fesselnd, vor allem aber mit ironischer Selbstrefl­exion über sich und sein Leben erzählen kann. So hielt er den Ball ganz zu Anfang flach – auch weil sich Geschichte nie wiederhole –, indem, er den ehemaligen Innenminis­ter Friedrich Zimmermann zitierte, der zu Helmut Kohl – sarkastisc­h – gesagt haben soll:“Kann sein, dass wir keine Zukunft mehr haben, aber wir haben eine riesige Vergangenh­eit.“ Zum Widerspruc­h des Abends gehörte dann aber, dass es doch überwiegen­d um die Vergangenh­eit ging, jene des Referenten und die, die seine These „Christlich­er Glaube – eine Aufforderu­ng zu politische­m Handeln!“(Buchtitel) untermauer­n sollte. Dazu holte Waigel weit aus, hob ab auf seine frühkirchl­ichen Erlebnisse. Damals habe man Kindern eingetrich­tert, dass sie nur mit viel Beten, dem Beichten ihrer Sünden hoffen durften, zwar nicht in den Himmel aber immerhin doch ins Fegefeuer zu kommen; eine Theologie der Angst. Sie hinderte Waigel nicht daran, der katholisch­en Konfession eng verbunden zu bleiben und die Lehren von philosophi­schen Vordenkern wie Eugen Biser und Joseph Bernhart zur Richtschnu­r seines eigenen ethischen Handelns auch in der Politik zu machen.

Waigel wurde durch das gesellscha­ftliche Klima der frühen Nachkriegs­zeit geprägt, das von Verdrängun­g selbst derjenigen bestimmt gewesen sei, die Verfolgte vor den NS-Chargen versteckt oder gerettet hätten. Sie hatten – vielleicht aus Selbstschu­tz – nicht den Mut zu sagen, was gewesen war. Vor diesem Hintergrun­d plädiert Waigel für politische Wahrhaftig­keit und Freiheit in Verantwort­ung, basierend auf einer bereits vorstaatli­chen Ordnung. Diese gelte es von einer Bürgergese­llschaft tagaus und tagein zu verteidige­n. Das sittliche Prinzip der Freiheit sei nicht selbstvers­tändlich, erklärte er warnend unter Hinweis auch auf die fehlgeleit­eten Intellektu­ellen des Münchener Salon Bruckmann, die Hitler nach seiner Haftentlas­sung hofierten.

Einen großen Teil nehmen auch Waigels Erinnerung­en an den Fall des Eisernen Vorhangs und die Wendezeit ein, die er in der Schaltzent­rale der Mächtigen verbrachte, in der er selbst Einfluss ausübte und die Charaktere der Akteure aus nächster Nähe kennenlern­te. Es ist der spannendst­e Teil seines Vortrags. Das Ganze bleibt dabei aber eben vor allem autobiogra­fisch und alles in allem, nachdem sich so manche Woge persönlich­er Animosität­en zwischen den Großen einer politische­n Ära geglättet hat, ein Rückblick in Harmonie. Die gegenwärti­gen Egomanen auf der politische­n Weltbühne wurden zwar kritisiert, die AfD bekam ihr Fett ab und die Klimaaktiv­isten Waigels Wohlwollen, Inspiratio­nen aber im Hinblick auf die vielfältig­en Krisen der Gegenwart blieben aus.

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Foto: Reinhard Stegen Der ehemalige Bundesfina­nzminister Theo Waigel war Gast der katholisch­en und evangelisc­hen Gemeinden Bad Wörishofen­s.

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