Mindelheimer Zeitung

Wer macht endlich Politik für die Jungen?

Es stimmt ja, dass es keine einfachen Antworten auf die größten Herausford­erungen der Zukunft gibt. Aber keine Antwort ist halt auch keine Lösung

- VON MICHAEL STIFTER msti@augsburger-allgemeine.de

Wenn bei einer Rechnung, die jahrzehnte­lang aufging, plötzlich das falsche Ergebnis herauskomm­t, sollte man über neue Lösungsweg­e nachdenken. Die Rechnung der Volksparte­ien ging so: Die Alten werden immer mehr und die Jungen interessie­ren sich sowieso nicht für Politik, also müssen wir schauen, dass wir die Stimmen der Älteren bekommen. Doch das in die Jahre gekommene Modell funktionie­rt nicht mehr. Es ist an der Zeit, diese Politik in Rente zu schicken.

Nie wurde die Hilflosigk­eit der Parteien so offenkundi­g wie in der Klimadebat­te. Hunderttau­sende vermeintli­ch desinteres­sierte junge Menschen engagieren sich, Schüler, sogar Kinder gehen auf die Straße. Und die Politik? Diskutiert über Sanktionen gegen Schulschwä­nzer. Empfiehlt den Demonstran­ten, die Sache mit dem Klima den Profis zu überlassen. Erklärt von oben herab, dass die Jungen das alles eh ganz anders sehen werden, wenn sie erst mal älter sind. Es ist genau diese Attitüde, frei von Empathie, frei von Antworten, die junge Leute so frustriert. Nein, sie sind eben nicht politikver­drossen, sie sind parteienve­rdrossen.

An diesem Dienstag erscheint die neue Shell-Jugendstud­ie. Wissenscha­ftler wollten herausfind­en, was junge Menschen bewegt, welche Werte ihnen wichtig sind, welche Sorgen sie haben. Die Untersuchu­ng trägt in diesem Jahr den Titel „Eine Generation meldet sich zu Wort“. Das ist Drohung und Chance zugleich. Denn eines ist klar: Unsere Demokratie, die von radikalen Kräften immer stärker beschädigt wird, braucht die nächsten Generation­en zum Überleben.

Die Versuche der nervösen „Volksparte­ien“, junge Menschen zurückzuge­winnen, bewegen sich zwischen plumper Anbiederei und Kuriosität­en wie dem neuen Youtube-Kanal der CSU. Das ist so, als würde der 65-jährige Onkel plötzlich nur noch in Jugendspra­che reden. Ein bisschen putzig schon, aber eben vor allem peinlich. Die einzige Partei, die bei jungen Wählern derzeit punkten kann, sind die Grünen. Wie eine aktuelle ForsaUmfra­ge zeigt, liegen sie bei den 18- bis 24-Jährigen klar vorne. In dieser Generation bekommen sie fast doppelt so viel Zuspruch wie Union und SPD zusammen. Deren größter Rückhalt ist die Altersgrup­pe 70 Plus. Das Erfolgsgeh­eimnis der Grünen ist nicht (nur) der Politiksti­l. Sie genießen in der Schicksals­frage des Klimawande­ls einfach die größte Glaubwürdi­gkeit. Genau hier liegt der Schlüssel für die anderen Parteien. Sie müssen erklären, wie sie die Herausford­erungen meistern wollen, die junge Menschen umtreiben. Die Probleme, die Regierunge­n schon so lange vor sich herschiebe­n. Wie soll das mit der Rente auf Dauer gut gehen? Wie können wir die Digitalisi­erung nutzen, anstatt ständig nur vor den Risiken zu warnen? Können wir es uns leisten, eine Familie zu gründen, wenn schon eine MiniWohnun­g unbezahlba­r ist und wir uns von einem befristete­n Job zum nächsten hangeln? Wann schaffen wir es, dass Kinder kein Karriereki­ller mehr sind? Es stimmt ja, dass es keine einfachen Antworten auf diese Fragen gibt. Aber keine Antwort ist halt auch keine Lösung.

Es geht nicht darum, Generation­en gegeneinan­der auszuspiel­en. Es geht darum, endlich auch (!) Politik für die nächsten Generation­en zu machen. Es reicht nicht, den Jungen gönnerhaft zu erlauben, auch mal ein bisschen frech zu sein. Und es ist zu wenig, ihnen Alibi-Posten in der zweiten Reihe zu verschaffe­n oder auf Treffen von Jusos oder Junger Union darum zu wetteifern, wer den lautesten Applaus kriegt. Es geht darum, ihre Stimme tatsächlic­h ernst zu nehmen. Nur so hält eine Gesellscha­ft auf Dauer zusammen. Nur so geht die Rechnung eines Tages wieder auf.

Der Vorwurf der CSU, die AfD sei „geistiger Brandstift­er“, ist absurd. Ausgerechn­et diejenigen, die der AfD gebetsmühl­enartig vorwerfen, sie würde islamische Terroransc­hläge für ihre Zwecke missbrauch­en, ergehen sich, nur wenige Stunden nach der Tat, in der Instrument­alisierung für ihre Zwecke. Gerade Horst Seehofer, der einmal während eines lichten Moments von einer „Herrschaft des Unrechts“gesprochen hatte, sollte wissen, dass es nicht die AfD war, die den Boden gedüngt hat, auf dem der Rechtsextr­emismus gedeiht. Das war Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Dass diese Politik der offenen Scheunento­re verheerend­e Auswirkung­en auf die innere Sicherheit hat und einen wachsenden Unmut der schon länger hier Lebenden nach sich zieht, war absehbar. Ganz nebenbei bemerkt: Es gibt innerhalb der AfD sogar einen Flügel jüdischer Mitglieder (JAfD), dieser Partei dennoch Judenfeind­lichkeit vorzuwerfe­n, verhehlt nur schlecht die wahre Absicht dahinter: Die Altparteie­n sehen ihre Felle davonschwi­mmen. Josef Mehrl, Immenstadt

Eine Generation meldet sich zu Wort. Zum Glück!

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