Wenn Schultüren fest verschlossen sind
Bildung Überall fällt der Unterricht aus. Ein paar Leute arbeiten trotzdem an den Schulen. Was tun sie dort? Und wie klappt es mit dem digitalen Unterricht? Eine Expertin hat eine große Befürchtung
Augsburg An den Schulen ist es still. So still vermutlich, dass die Stimme in den Gängen hallt. Überprüfen kann man das als schulfremde Person gerade nicht, denn die Gebäude sind sozusagen Sperrgebiet. Es herrscht Betretungsverbot. Doch was geschieht hinter den Mauern?
Anruf bei mehreren Schulleitungen. Die meisten heben ab. Bei Fragen verweisen sie ans zuständige Schulamt oder das Kultusministerium. Denn die Schulen müssen zwar selbst eine Lösung dafür finden, dass die Schüler trotz Unterrichtsausfall etwas lernen. Das Kommunizieren aber sollen sie in Krisenzeiten anderen überlassen.
Die Schulleiter, so viel wird deutlich, haben genug zu tun, auch wenn ihre Häuser geschlossen sind. Manche sind jeden Vormittag da, es gibt viel zu organisieren. Die Homepage auf dem aktuellen Stand halten, Elternbriefe schreiben. „Altlasten aufarbeiten“, sagt einer. Und ein paar versprengte Schüler lernen ja doch noch in den Klassenzimmern. Es sind Kinder, deren Eltern systemkritische Berufe haben. Polizisten, medizinisches Personal, Pflegekräfte, Journalisten, Mitarbeiter im Lebensmittelbereich: Sie dürfen ihre Kinder auf Antrag an der Schule betreuen lassen, damit sie nicht selbst zu Hause bleiben müssen. Bis zur 6. Jahrgangsstufe gilt dieses Angebot. Bisher nehmen es nur wenige an. In manchen Landkreisen waren es in der ersten Woche nur eine Handvoll Kinder verteilt auf alle Schulen. Im Kreis Augsburg etwa wurden vergangene Woche rund 50 Kinder in ihren Schulen betreut. Auch hier gilt: Die Schule entscheidet, wie die Betreuung läuft. Regulärer Unterricht kann natürlich nicht stattfinden. Pädagogische und spielerische Inhalte wechseln sich im Idealfall ab.
Der überwältigende Teil der mehr als 1,6 Millionen Schüler in Bayern lernt zu Hause. Wenn nicht gerade eine Besprechung stattfindet oder Kinder beaufsichtigt werden müssen, sind auch die Lehrer zur Heimarbeit verpflichtet – so wie eine Grundschullehrerin aus dem Kreis Donau-Ries. Sie wolle sich in der Krise nicht wichtig machen, sagt sie und erzählt lieber ohne Angabe ihres Namens.
Vor der Zwangsschließung haben ihre Schüler in der Klasse eigene Geschichten geschrieben. Zu Hause hat die Lehrerin ein Buch daraus gemacht, es jedem Kind in den Briefkasten geworfen. Gerade sitzt sie daheim am Schreibtisch und erar
Lösungen für die Aufgaben aus dem Wochenplan, den sie für jedes Fach erstellt hat. „Ich verschicke sie an die Eltern, damit die Kinder – oder auch die Eltern – sie selbst korrigieren können.“So einen Plan haben viele, gerade Grundschullehrer, ihren Schülern mitgegeben – mit dem Versprechen, per E-Mail erreichbar zu sein. Beim Unterricht via Internet, findet die
Lehrerin, „hakt es noch gewaltig“. Um solche Dinge nutzen zu können, hätte das vorher mit den Kindern eingeübt werden müssen. „Aber ich hatte an meiner Schule bis vor zwei Wochen noch nicht einmal einen Internetzugang.“Solche Klagen liest man öfter, etwa auf Facebook, wo sich Lehrer in eigenen Gruppen austauschen. Schüler nutzen demnach oft nur das Smartphone für den Unbeitet terricht. Das ist für die Arbeit mit Dateien unpraktisch. Manche hätten gar keinen PC oder würden sich selten zurückmelden. Andere Lehrer bemängeln die Ungeduld mancher Mütter und Väter. Viele Lehrer aber sehen die Krise als Chance. Wenn jeder sich mit digitalen Mitteln behelfen müsse, könne das den Unterricht nach Corona nur bereichern.
Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands, hat sich in den vergangenen Tagen viel umgehört, wie Eltern und Lehrer es zusammen hinbekommen. „Die Rückmeldungen sind so unterschiedlich wie die Schülerschaft“, sagt sie. Eine Vielzahl der Eltern hat sich gut an die Rolle des „Ersatzlehrers“gewöhnt. Manche aber würden es als „unverschämt“bezeichnen, plötzlich miteinbezogen zu werden.
Die einstige Schulleiterin Fleischmann ist sicher, dass sich der Unterricht daheim einspielen wird. Und doch hat sie eine große Befürchtung. „Die Bildungsgerechtigkeit wird sich weiter verschlechtern.“Mit anderen Worten: Das Gefälle zwischen Kindern mit bildungsaffinen Eltern und Schülern, deren Mütter und Väter kein Interesse zeigen, wächst.
Schon jetzt hängt in Deutschland die Leistung in der Schule so sehr wie in kaum einem anderen Land von der Familie ab. Kinder aus sozial schwachen Schichten und mit Migrationshintergrund hinken im Schnitt hinterher. „Das wird uns Lehrer noch schwer beschäftigen.“
Sollten die Schulen auch nach dem 20. April geschlossen bleiben, dürften die Auswirkungen bis ins nächste Schuljahr hinein zu spüren sein, sagt Fleischmann. Man müsse überlegen, Unterricht so umzuschichten, dass Schüler „in den Basiskompetenzen“wieder auf den gleichen Stand kämen. Kinder, die in der unterrichtsfreien Zeit abgehängt wurden, müssten dann nochmal extra gefördert werden. „Das haut uns in Zeiten des Lehrermangels aus der Kurve.“Mit der Ruhe in den Klassenzimmern ist es dann vorbei.