Der dunkle Fleck der White Sox
Schwarze Schafe des Sports Morddrohungen, die „Kosher Nostra“und ein knausriger Klub-Besitzer: Warum das Team aus Chicago in den Endspielen 1919 den Schmähnamen „Black Sox“trägt (Serie, Teil 6)
Wie der Wortlaut des Telefongesprächs an jenem 9. Oktober 1919 in Chicago war, ist nicht genau überliefert. Klar ist nur, dass Lefty Williams, Pitcher beim Baseballteam der Chicago White Sox, genau verstanden hat, was die Stunde geschlagen hat: Er sollte im achten Spiel der Finalserie um die World Series gegen die Cincinnati Reds gleich im ersten Inning entscheidende Fehler machen, sonst werde seine Familie ermordet.
Dass dies keine leere Drohung war, wusste Williams sofort. Schließlich war sein Gesprächspartner Arnold „The Brain“Rothstein persönlich, ein führendes Mitglied der „Kosher Nostra“, ein jüdischamerikanisches Verbrechersyndikat mit mafiösen Strukturen. Rothstein verdiente sein Geld in Zeiten der Prohibition mit Alkoholschmuggel sowie mit Pferde- und Sportwetten.
Bei Letzteren sollte er im Herbst 1919 selbst nachhelfen ...
Die Chicago White Sox hatten die World Series der MLB (Major League Baseball) 1917 zum zweiten Mal nach 1906 gewonnen. 1919 sicherte sich das Team erneut den American League-Titel, wodurch sie erneut im Finale um den amerikanischen Baseball-Titel standen. Es ist das Werk des Klubbesitzers Charles Comiskey. Er stellte in den Jahren zuvor ein mit Ausnahmespielern besetztes Team zusammen: Eddie Collins, Ray Schalk und „Shoeless“Joe Jackson gehörten zu den besten Spielern jener Zeit.
Allerdings hatte dies seinen Preis: Comiskey galt als geizig, hielt seine Spieler finanziell an der kurzen Leine – so verdiente Lefty Williams etwa 2600 Dollar pro Jahr – und sparte sogar am Waschmittel für die Reinigung der Trikots. Entsprechend dreckig liefen die Spieler zum Ende der Saison auf – und wurden schon vor den World Series als „Black Sox“verspottet.
Nun kam Arnold Rothstein ins Spiel. Denn White-Sox-Spieler Chuck Gandil hatte „Bekannte“im zwielichtigen Milieu und landete prompt bei einem Strohmann Rothsteins. Die Kombination aus unterbezahlten Profis und einem großen Wettpotenzial in der Finalserie ließ Rothstein aufhorchen. Er unterbreitete Gandil ein Angebot, das dieser nicht ablehnen konnte: Für 100000 Dollar sollte Gandil sein Team dazu bringen, im Finale gegen die Cincinnati Reds zu verlieren. Fünf Siege wurden benötigt, um sich den Titel zu sichern.
Gandil schlug ein und weihte sieben weitere Spieler seiner Mannschaft in den Plan ein, darunter Pitcher Lefty Williams und Superstar „Shoeless“Joe Jackson (der mal ein
Spiel einmal ohne Schuhe absolviert hatte).
Die Favoritenrolle im Finale hatten zwar die Reds inne, die zuvor 96 Saisonspiele gewannen (die White Sox siegten 88 Mal). Doch Rothstein, der eine Menge Geld auf einen Reds-Erfolg gesetzt hatte, wollte auf Nummer sicher gehen. Im Verlauf der Finalserie aber wurde die Sache knifflig. Denn Rothsteins Strohmänner hatten keine 100 000 Dollar flüssig und vertrösteten die White Sox mit kleineren Tranchen je 10000 Dollar. Fatal war dann, dass sie vor dem dritten Spiel auf einen Reds-Sieg wetteten – und prompt die White Sox gewannen. Vor dem achten Spiel führten die Reds in der Serie mit 4:3 – und Rothstein griff zum Telefonhörer.
Williams schließlich lieferte an jenem 9. Oktober 1919 vor 33 000 Zuschauern im Cominskey Park in Chicago. Nach dem ersten Inning lagen die Hausherren bereits mit 0:4 zurück und sollten am Ende mit 5:10 verlieren. Damit waren die World Series zugunsten der Reds entschieden.
Die White Sox wurden während der ganzen Folgesaison der Manipulation bezichtigt, doch erst ein knappes Jahr später wurde der Klub angeklagt. Die betroffenen Spieler wurden letztlich aus Mangel an Beweisen freigesprochen (ebenso wie der „ehrbare Geschäftsmann“Rothstein). Die MLB aber reagierte streng und sperrte die acht Profis lebenslang. Besonders bitter war dies für „Shoeless“Joe Jackson: Er wurde – obwohl er neben Babe Ruth zu den besten Spielern seiner Zeit zählte – für immer aus der Hall of Fame verbannt. Für die White Sox, die für einen der größten Skandale in der Geschichte des US-Sports gesorgt hatten, folgte eine titellose Durststrecke von 86 Jahren. Erst 2005 gewann das Team aus Chicago erneut die World Series.