Draisaitls verpasste Chance
Eishockey Deutsches Nachwuchstalent stand vor seinem größten Triumph in Nordamerika, wurde dann aber von der Pandemie ausgebremst
Edmonton Unaufgeregt spricht NHL-Topstar Leon Draisaitl über die ihm vielleicht entrissene Chance auf einen nie erreichten Erfolg eines deutschen Eishockey-Profis. So imposant wie kein deutscher NHLProfi zuvor trat der Kölner in dieser Saison auf. Er war auf dem besten Weg, die Topscorer-Trophäe zu gewinnen und damit etwas zu erreichen, was selbst die deutsche USSport-Ikone Dirk Nowitzki als Basketballer in der NBA nie geschafft hat.
Doch Draisaitl wurde von der Coronavirus-Pandemie gestoppt. Aus der Stimme des 24-Jährigen klingt aber kein Ärger. „Schade“, findet er. „Aber es ist nicht so, dass mich das um den Schlaf bringt. Zurzeit gibt es einfach wichtigere Sachen“, sagt Draisaitl. Er könne ja doch nichts daran ändern. Emotionaler redet der 24-Jährige, wenn es um seinen Hund geht, für den er jetzt viel mehr Zeit hat. Seit Mitte März ruht der NHL-Spielbetrieb, seitdem gehören die Spaziergänge mit Bowie zur täglichen Routine. Für kleine Spielchen mit seinem Hund nimmt er auch seinen Eishockeyschläger in die Hand. „Mein Hund ist der Einzige, dem das gerade hier gefällt“, sagt er und lacht. Bowie und Puzzeln helfen ihm gegen die Langeweile. Eishockey ist es, was er in dieser Ausnahmesituation am meisten vermisst.
110 Punkte – die Summe aus Toren und Vorlagen – hat er in 71 Spielen der Saison gesammelt. Fünf mehr als bei seiner bisherigen Bestmarke aus der vergangenen Spielzeit, obwohl noch elf Hauptrundenspiele
fehlen. 13 Punkte liegt der Sohn des früheren Nationalstürmers Peter Draisaitl in der Scorerwertung vor dem Kapitän der Oilers, dem kanadischen Topstar Connor
McDavid. Er könnte nicht nur als erster Deutscher die Art-Ross-Trophy als bester Scorer gewinnen, sondern gilt auch als Kandidat, wertvollster Spieler der Saison zu werden. Es sei schwierig, ein Adjektiv für Draisaitls Leistung zu finden, sagt Marco Sturm. Der 41-Jährige, früher selbst NHL-Angreifer, kennt ihn aus seiner Zeit als Bundestrainer – und nun als gegnerischer Coach.
„Wenn wir jetzt morgen gegen Edmonton spielen würden, würden wir uns über Leon Draisaitl unterhalten: Wie kann man ihn stoppen? Das hat es bei einem deutschen Spieler noch nie gegeben“, erzählt der Assistenztrainer der Los Angeles Kings. Doch der momentan beste deutsche Eishockeyspieler hätte mehr Aufmerksamkeit verdient, meint Sturm. „Es wäre umso wichtiger, wenn Leon seine Trophäe als bester Stürmer oder mit den meisten Punkten bekommen hätte. Ich glaube, dann hätte es bei allen klick gemacht.“Noch drückt Draisaitl die
Daumen, dass die Saison fortgesetzt werden kann, dass er mit den in den zuletzt wenig erfolgreichen Oilers in den Play-offs um den Stanley-Cup mitmischen kann.
Experten sehen eine Liga-Fortsetzung vor Verfügbarkeit eines Impfstoffs sehr kritisch. Verschiedene Szenarien werden diskutiert. Ob mit Quarantäne oder Geisterspielen – Draisaitl würde alles hinnehmen: „Wenn es zu Spielen ohne Zuschauer kommt, dann ist es halt so. Aber eigentlich gehören die Fans dazu.“Draisaitl hat sich gegen eine Heimreise nach Deutschland entschieden. Er hält sich im Kraftraum seines Kellers in Edmonton fit. Und wenn er dieses Jahr doch nicht als Topscorer ausgezeichnet wird, dann wäre das eben „natürlich“sein Ziel für die nächste Saison.