IHK warnt vor Konflikt
Gastronomen fürchten Benachteiligung
Augsburg Die Industrie- und Handelskammer Schwaben (IHK) fordert Chancengleichheit für Gaststätten und Hotels im Grenzgebiet von Bayern und Baden-Württemberg. Bislang ist hauptsächlich der Einzelhandel von den unterschiedlichen Geschwindigkeiten des Re-Starts betroffen. Ab kommendem Montag dürfen bayerische Einzelhändler mit weniger als 800 Quadratmeter Verkaufsfläche ihre Geschäfte wieder öffnen. Ihre baden-württembergischen Wettbewerber durften bereits diesen Montag öffnen, mit der Folge, dass viele Kunden im Grenzgebiet ihre Einkäufe dort erledigen.
Nun hat Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut eine sukzessive Öffnung der Hotels und Gaststätten Anfang Mai in Aussicht gestellt. In Bayern sind dafür die Pfingstferien gut einen Monat später im Gespräch. Die IHK, so Geschäftsführer Marc Lucassen, baue darauf, dass ein Treffen zwischen den Ministerpräsidenten Markus Söder und Winfried Kretschmann am Donnerstag in Ulm zu einem weitgehenden Einklang beim Re-Start führt. Dies sei wichtig für die Akzeptanz der Maßnahmen.
Theo Waigel: Es ist gute Vorarbeit geleistet worden, sodass die Möglichkeit einer gemeinsamen Einigung auf umfassende Hilfe besteht. Natürlich ist Europa in dieser Lage solidarisch. Das eine oder andere Land muss sich aber von seinen Maximalforderungen verabschieden. Die aktuelle Diskussion in Italien ist stark von Prestigedenken geprägt. Umgekehrt kann nicht ein einzelnes Land wie die Niederlande aus innenpolitischen Gründen rasche Nothilfe blockieren.
Aber wie könnte so eine Einigung aussehen?
Waigel: Wir erleben ja schon viel Solidarität und wir haben verschiedene Optionen für noch mehr Hilfe. Das Kurzarbeitergeld auf europäischer Ebene ist ein großer Schritt. Die Europäische Investitionsbank hat ein umfangreiches Not-Programm aufgelegt. Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), der in den vergangenen Jahren erfolgreiche Programme durchgeführt hat, ist gut vorbereitet zu helfen. Seine Kredite müssten ja nicht mit strikten
Auflagen wie etwa für Griechenland während der Euro-Krise verbunden sein. Vergleichbares muss Italien in dieser unverschuldeten Corona-Krise wirklich nicht befürchten.
Dennoch werden Länder wie Italien auf Corona-Bonds beharren.
Waigel: Deren Entscheidung, Haftung und Kontrolle wären aber nicht geklärt. Daher halte ich es für besser, die Hilfe über den europäischen Haushalt zu organisieren. In ihm fallen Entscheidung, Mitbestimmung und Kontrolle zusammen, weil auch die EU-Parlamentarier dafür zuständig sind. Darüber hinaus braucht die EU neue Mittel in Form von eigenen Steuern – etwa eine Digitalsteuer, eine Finanztransaktionssteuer oder eine CO2-Steuer oder ein Mix aus diesen drei Elementen. Damit könnten Klima- und Umweltziele verbunden werden. Ich habe einen solchen Schritt bisher skeptisch gesehen, doch diese Krise zwingt uns, neu zu denken. So eine Steuer könnte zur Krisenfinanzierung beitragen – und das ständige Geschachere um Brutto-und Nettozahlungen und Rabatte in der EU lindern.
Reichen all diese Hilfsmaßnahmen, wenn eine große Volkswirtschaft wie Italien wirklich kollabieren sollte? Droht da nicht Gefahr für die Eurozone, etwa durch einen volkswirtschaftlichen Kollaps Italiens?
Am 1. Juli übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft. Kanzlerin Angela Merkel wollte diese auch zu Reformvorstößen in der EU nutzen. Das ist doch in Zeiten von Corona unrealistisch.
Waigel: Natürlich wird diese in Zeiten von Corona anders ablaufen als erwartet. Aber das ändert nichts daran, dass Deutschland eine Führungsverantwortung in Europa zukommt. Italien hat ja recht, nun Solidarität in dieser Krise zu fordern, immerhin ist es über Jahre ein Nettozahler in Europa gewesen. Dieser Verantwortung – etwa für eine Art Marshallplan für Europa – müssen wir Deutsche uns nun stellen. Wir haben davon nach dem Zweiten Weltkrieg profitiert.
Das Interview führte Gregor Peter Schmitz