Wir waren Helden
Hannelore Ensenmeier, Kissing
Ich war ein Kind aus dem Ruhrpott, neun Jahre alt. Wir wurden ständig bombardiert. Im Radio hieß es: „feindliche Verbände nähern sich“, dann – polter Krach bumm – Ende, Sender getroffen oder der Sprecher in den Keller gerannt. Man rechnet nicht 1 + 2 = 3, sondern eine Steckrübe und zwei Kartoffeln = 1 Mahlzeit. Ich ging betteln, weil Kindern gab man eher etwas. Meine Mutter hatte schon alle ihre Wäschestücke bei den Bauern eingetauscht. Sie nahmen nur das Beste. Es kamen sicher hunderte Bettler pro Tag. Ich bekam einmal eine Kartoffel, zwei Äpfel und ein Ei. Das nahm mir die Militärpolizei wieder ab, warf es auf einen großen Haufen und goss Benzin darüber und zündete ihn an. Den Geruch werde ich nie vergessen. Ein Neger stand abseits und gab mir einen Apfel. Das war das erste Mal, dass ich einen Schwarzen sah. Er hatte wunderschöne Zähne. Ich hatte lange Zöpfe. Um die Haare auszukämmen gab es einen Alukamm. Der ziepte furchtbar.
Unser junger Lehrer, der mit 16 Jahren eingezogen worden war, kam aus der Gefangenschaft zurück und verstand es, uns zu motivieren. Es gab keine Bücher, wir mussten alles auswendig lernen, die Glocke, den Erlkönig … In der Handarbeitsstunde wurden Pullover aufgeriffelt. Die Wolle wurde über ein Brettchen gewickelt, nass gemacht und an der Sonne getrocknet. So war sie wieder glatt. Ich erinnere mich an die schwarzen Männer mit Hut und Mantel, die an die Häuser gemalt waren: „Feind hört mit“. Aber auch an die mit weißer Farbe geschriebenen Buchstaben „Svl“– Schutzraum vorne links. Damit die Überlebenden wussten, wo sie graben mussten. Noch heute sehe ich die Tannenzapfen mit Ehrfurcht an. Die sammelten wir für ein bisschen Wärme. Auch sind wir Kinder auf die vorbeifahrenden Güterwagen geklettert, haben die Kohlenknabbel runtergeworfen, die unten andere in alten Kinderwagen oder Schubkarren eingesammelt haben. Dabei durfte man sich nicht erwischen lassen. Die Kohle war