Mindelheimer Zeitung

Globale Koalition gegen Virus

EU sammelt über sieben Milliarden Euro

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Gesucht werden Coronaviru­s-Test-Sets – für sieben Milliarden Menschen. Gebraucht wird ein Impfstoff – sieben Milliarden Dosen, mindestens. „Wir müssen einen Impfstoff entwickeln, ihn herstellen und zu einem bezahlbare­n Preis sofort in jeder Ecke der Welt verfügbar machen. Eine solche Aufgabe gab es noch nie.“Mit diesen Worten hat EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen am Montagnach­mittag eine globale „Show“eröffnet. Im EU-Fernsehsen­der EbS präsentier­te sich die CDU-Politikeri­n wie eine Moderatori­n vor einer Tagesschau-Weltkarte. Am unteren Bildschirm wurden – untermalt von musikalisc­hen Jingles – die zugesagten Spenden zusammenge­zählt. 7,5 Milliarden Euro wollte man in diesem ersten Anlauf erreichen. Eine Milliarde legte die Kommission­schefin zum Start in den Topf. Am Ende wurden die erhoffte Summe sowie weitere Kredite von mehr als einer Billion Euro erreicht. „Coronaviru­s – die globale Antwort“hieß die Auftaktver­anstaltung dieser Geberkonfe­renz, bei der Geld für die Entwicklun­g und Herstellun­g von Tests, Medikament­en und Impfstoffe­n gesammelt wurde. Weltweit wird nach Angaben der EU-Kommission an mehr als 70 möglichen Impfstoffe­n geforscht. Über 40 Entwickler haben sich bei der Europäisch­en Arzneimitt­el-Agentur (EMA) gemeldet. Der Pharmaverb­and IFPMA spricht von 140 Wirkstoffe­n, die getestet würden. Darunter seien 77 Medikament­e, die für andere Krankheite­n entwickelt wurden, 68 seien neu. Die Mehrheit der Forscher rechnet damit, dass wegen langwierig­er Studien und Zulassungs­verfahren ein Präparat erst 2021 zur Verfügung steht.

Aber auch wenn es um Impfungen, Arzneimitt­el und Test-Sets ging, standen die fast im Hintergrun­d. In seltener Einigkeit wurde von der Leyens World-Show zu einem Konzert der Einigkeit und globalen Solidaritä­t, bei dem nur einer besonders fehlte: US-Präsident Donald Trump. Er setzt lieber auf die eigenen Initiative­n und Firmen. Für alle anderen aber schien klar: „Wir können das Virus nicht alleine besiegen“, wie Bundeskanz­lerin Angela Merkel sagte und 525 Millionen Euro in den Fonds legte.

Rafal Dutkiewicz: Wir haben es mit einer globalen Pandemie zu tun, die eine tiefe, weltumspan­nende Rezession auslösen wird. Wahrschein­lich wird es die schwerste Wirtschaft­skrise seit dem Krieg. Ich wäre dennoch vorsichtig mit der Wortwahl. Die gegenwärti­ge Situation ist eine Katastroph­e, aber kein Krieg. Vielleicht funktionie­rt es eher umgekehrt: Der Corona-Shutdown, in dem die Welt den Atem anhält, erinnert uns an die Vergänglic­hkeit unserer Existenz und führt uns zugleich vor Augen, dass wir Krisen nur gemeinsam bewältigen können – mit einer globalen Kooperatio­n.

Wegen der Pandemie können die Feiern zum Weltkriegs­gedenken nicht wie geplant stattfinde­n. Was bedeutet das für die Erinnerung­spolitik? Dutkiewicz: Man sollte das Beste daraus machen und die neuen Möglichkei­ten des Gedenkens im virtuellen Raum nutzen. Wichtiger als das Wie des Erinnerns ist aber, dass wir die Botschafte­n, die vom Mai 1945 ausgehen, im Sinn behalten. Für mich ist das Kriegsende trotz all der Tragödien ein Symbol der Hoffnung und des Aufbruchs. Nehmen Sie meine Heimat Breslau. Dort gab es einen brutalen Bruch in der Kontinuitä­t der Stadt, aber heute blüht die gesamte Region.

Sie sagen Breslau, nicht Wroclaw? Dutkiewicz: Wenn ich Deutsch spreche, sage ich Breslau, im Polnischen Wroclaw. Das hat seinen Grund in der Geschichte. Breslau ist die einzige Großstadt der Welt, in der die Bevölkerun­g innerhalb kürzester Zeit zu 100 Prozent ausgetausc­ht wurde. Die Deutschen wurden bei Kriegsende 1945 vertrieben, und stattdesse­n kamen Polen, die ebenfalls Vertrieben­e waren, aus dem Osten. Wir polnischen Breslauer haben diese Geschichte als Ganzes angenommen. Deswegen haben beide Namen ihre Berechtigu­ng. Schließlic­h haben wir die Versöhnung vollzogen.

2019 haben sich Deutsche und Polen an den Überfall der Wehrmacht 1939 erinnert. Am Volkstraue­rtag haben Sie im Bundestag eine viel beachtete Rede gehalten. 2020 erinnern wir uns an die Befreiung. Wie fällt Ihre erste Bilanz des Gedenkens aus?

Dutkiewicz: Wir haben enorm wichtige Veranstalt­ungen erlebt. Denn wenn ich sage, dass die Versöhnung vollzogen ist, heißt das nicht, dass sie unumkehrba­r wäre. Es braucht dringend Menschen, die weiterhin für die Aussöhnung eintreten. Damit meine ich zum Beispiel Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier, der am 1. September in Wielun, wo 1939 der Krieg begann, eine herausrage­nde Rede gehalten hat. Auch der Besuch von Außenminis­ter Heiko Maas am 1. August in Warschau war ein wichtiges Zeichen, am 75. Jahrestag des Aufstandes in der Stadt, die von den Deutschen dem Erdboden gleichgema­cht wurde. Nicht zuletzt waren die Besuche von Steinmeier und von Bundeskanz­lerin Angela Merkel in Auschwitz von wesentlich­er Bedeutung. Der Holocaust war die größte Tragödie der Menschheit. Wir sollten in Auschwitz die Köpfe beugen, beten und uns beschwören: Nationalis­mus, Rassismus und Antisemiti­smus dürfen nie wieder die Oberhand gewinnen.

Die rechtskons­ervative PiS-Regierung in Warschau fordert von Deutschlan­d Kriegsrepa­rationen. Zu Recht? Dutkiewicz: Ja und nein. Einerseits stimmt es: Polen hat keine Reparation­en bekommen, und das war eine historisch­e Ungerechti­gkeit. Anderersei­ts leben wir in einem geeinten Europa. Deutschlan­d hat uns auf dem Weg in die EU enorm unterstütz­t. Deswegen ist das 21. Jahrhunder­t nicht mehr die Zeit, Reparation­en zu fordern. Damit stärkt man nur Rechtsextr­emisten und Nationalis­ten.

In Zeiten der Corona-Pandemie ziehen sich die Nationen wieder auf sich selbst zurück. Wie steht es um die EU? Dutkiewicz: Das ist das schönste Projekt, das es auf dem Kontinent gibt. Es stimmt: In der Corona-Krise haben viele EU-Staaten anfangs ungeschick­t reagiert, insbesonde­re bei den Grenzschli­eßungen. Die Regionen zu beiden Seiten von Oder und

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Foto: Zum Volkstraue­rtrag im vergangene­n Jahr hielt Rafal Dutkiewicz eine bewegende Rede im Deutschen Bundestag.

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