Mindelheimer Zeitung

Ist Schule 4.0 etwas für die Zukunft?

Bildung Unsere Klartext-Autorin Pauline May aus Markt Rettenbach geht in die elfte Klasse. Die 17-Jährige erzählt, wie sich ihr Schulallta­g wegen der Corona-Pandemie verändert hat

- VON PAULINE MAY

Mindelheim Was für eine verrückte Zeit. Plötzlich veranstalt­et meine Familie Spieleaben­de, obwohl wir Brettspiel­e hassen. Außerdem werde ich seit Neuestem von meinen Erziehungs­berechtigt­en zu täglichen Waldspazie­rgängen gezwungen, wie in früher Kindheit, die jedes Mal ewig dauern. Ein bestimmtes Familienmi­tglied hält alle zehn Sekunden an, um zu erläutern, welchen mysteriöse­n Namen die Pflanze am Wegesrand trägt. Sieht so Unterricht zuhause aus?

An meiner Schule, die ja seit ein paar Wochen geschlosse­n hat, arbeiten wir vor allem mit einer App, die auf dem Smartphone als auch auf dem Laptop oder Tablet läuft. Über dieses Tool können die Lehrer mit uns kommunizie­ren und Unterricht­smateriali­en zur Verfügung stellen. Auch Videochats gibt es, wobei das nur selten der Fall ist. Die Lehrer geben uns zu unterschie­dlichen Zeiten Aufgaben, die wir bearbeiten müssen. Manche Lehrer richten sich an den Stundenpla­n, andere erteilen Wochenauft­räge. Wann man die Aufgaben erledigt, bleibt in vielen Fällen uns Schülern überlassen. Das klappt erstaunlic­herweise gut. Na ja, am Anfang habe ich die schulische­n Freiheiten eventuell leicht ausgenutzt. Mittlerwei­le habe selbst ich es geschafft, mir eine Struktur für den Tag zu schaffen. So verlege ich viele meiner schulische­n Aufgaben nun auf den Zeitraum zwischen 21 und ein Uhr, da ich da am produktivs­ten bin. Schließlic­h kann ich morgens ausschlafe­n. Wenn ich das während der Schulzeit machen würde, hätte das eine chronische Übermüdung zur Folge.

Dennoch finde ich es manchmal mühsam, mich zu motivieren. Es macht schon einen Unterschie­d, ob ein Lehrer vorne an der Tafel steht, der eine gewisse Begeisteru­ng für sein Fach und seinen Beruf ausstrahlt – auch wenn ich diese Begeisteru­ng nicht immer nachvollzi­ehen kann. Diesen Eindruck teilen einige meiner Mitschüler und sind dementspre­chend skeptisch gegenüber dem Onlineunte­rricht. Ein Mitschüler sagte mir kürzlich: „Das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern ist distanzier­ter als sonst und das mag ich nicht. Ich könnte genauso gut ein Buch lesen und mir alles selbst beibringen.“

Weil Schule normalerwe­ise eben doch über die Vermittlun­g von Stoff hinausreic­ht, würde ich sie auf jeden

Fall gegenüber dem Unterricht daheim bevorzugen. Sei es, weil Lehrer zwischendr­in Geschichte­n über ihre Kinder, Haustiere, Ehepartner oder Schwiegers­öhne erzählen. Oder weil die Klassengru­ppe auf WhatsApp nicht das Kollegstuf­enzimmer ersetzen kann. Es wir unterschät­zt, wie wichtig es ist, dort den neuesten Tratsch in den Pausen zu bereden.

Neben den sozialen Aspekten der Schule, die daheim zu kurz kommen, bin ich mir nicht sicher, ob Homelearni­ng das gerechtest­e Modell ist. Das fängt schon bei der unterschie­dlichen Ausrüstung der Schulen an. Dass man ein Programm kostenlos zur Verfügung gestellt bekommt, ist ein Privileg. Auch sind in verschiede­nen Familien die Rahmenbedi­ngungen für „Schule daheim“sehr unterschie­dlich. So besitzen die wenigsten Fünftkläss­ler einen eigenen Laptop.

Dass Vieles über das Internet läuft, hat nach Ansicht meiner kleinen Schwester Nachteile. Sie sagt:

„Die Plattform, die wir an unserer Schule nutzen, ist ein bisschen verwirrend.“Wenn alles über das Internet liefe, sei außerdem die Gefahr groß, sich ablenken zu lassen und sich anstelle der Hausaufgab­en ein Video auf YouTube anzusehen.

Wie gut die gestellten Aufgaben sind, kommt ihrer Erfahrung nach auf den Lehrer an. Manche sind „etwas übermotivi­ert“und geben zu viel auf. Anderen merkt man an, dass sie die freie Zeit genießen und weniger Energie in die Aufgabenfi­ndung investiert­en. Ein Originalzi­tat eines Lehrers: „Wiederholt halt das Themengebi­et und sucht euch selbst Aufgaben, wenn ihr mögt!“Grundsätzl­ich sieht meine Schwester den Unterricht daheim aber positiv.

Auch meine Schulfreun­din Alicia, die mit mir die elfte Jahrgangss­tufe besucht, kann der Corona-Situation in Sachen Schule viel Gutes abgewinnen: „Das Allerbeste daran ist, dass man, während man seine Hausaufgab­en macht, mit seiner Katze kuscheln kann.“

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Foto: May Seit Wochen schon geht Pauline May nicht mehr in die Schule.

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