Lieber Patienten versorgen als feine Dame spielen
Gesundheit Wie es Florence Nightingale schaffte, dass die Krankenpflege ein besseres Ansehen bekam
London Als Florence Nightingale am 4. November 1854 während des Krimkriegs ein Militärkrankenhaus in Istanbul betritt, bietet sich ihr ein Bild des Schreckens. Verlauste Soldaten liegen in ihren eigenen Exkrementen. Die Böden sind verdreckt, Pferde trinken neben Patienten aus dem Brunnen, es gibt kein sauberes Wasser und nicht genügend Essen, Decken und Betten. Verwundet von den Kämpfen an der Front, sterben etliche Männer nicht aufgrund ihrer Kriegsverletzungen, sondern an Kälte, Cholera oder Typhus.
Die Berichte der Times über die miserablen Zustände sorgen in der britischen Heimat für Empörung. Es sollte die englische Krankenschwester Florence Nightingale sein, die nach ihrer Ankunft mit 38 weiteren Schwestern das Lazarett reinigt, Kleidung wie Bettzeug wäscht, die Soldaten physisch und psychisch betreut, sich gegen den Widerstand der Ärzte durchsetzt und für Ordnung sorgt. Und damit ihren Aufstieg zur Begründerin der modernen Krankenpflege einleitete. Am 12. Mai jährt sich Nightingales Geburtstag zum 200. Mal. Dann wird auch der Internationale Tag der Pflege begangen.
Obwohl die junge Britin damals nicht viel von Erregern und der Übertragung von Krankheiten gewusst habe, „realisierte sie, dass diese Männer oft unnötigerweise starben, weil die hygienischen Bedingungen so schlecht waren“, sagt David Green, Direktor des FlorenceNightingale-Museums in London. Die Sonderausstellung auf dem Gelände des St. Thomas’ Hospital ist wegen der Coronavirus-Krise in eine Online-Schau umgewandelt worden.
Durch Nightingales Einsatz sank die Sterblichkeitsrate in dem türkischen Lazarett, die Soldaten liebten die „Dame mit der Laterne“. Den Spitznamen erhielt sie, weil die bis zu 21 Stunden pro Tag arbeitende Nightingale nachts oft mit einer Lampe durch die Gänge lief, um Patienten zu trösten, zu versorgen.
Dünn, erschöpft und krank kehrte Nightingale im August 1856 zurück nach Großbritannien. Sie litt wahrscheinlich an Brucellose, einer Infektionskrankheit, die sie bis zu ihrem Tod 1910 chronisch schwächte und zunehmend depressiv werden ließ. Nach ihrer Ankunft nutzte die Angehörige der Oberschicht ihren Ruhm sowie ihre Kontakte in die höchsten Kreise bis hin zu Königin Victoria, um Reformen der Gesundheitsfürsorge einzuleiten. Es ging der Visionärin um einen ganzheitlichen Ansatz, der die Bedeutung von Hygiene und Desinfektion hervorhob, aber auch Dinge wie Ernährung, die jeweiligen Lebensumstände und die psychische neben der körperlichen Verfassung berücksichtigte.
1860 eröffnete sie eine Pflegeschule im St. Thomas’ Hospital und legte damit die Grundlagen einer professionellen Krankenpflege. Ihr 1860 veröffentlichtes Buch „Notes on Nursing“(Anmerkungen zur Krankenpflege) wurde ein internationaler Bestseller und richtete sich an Frauen, um ihnen Tipps für die häusliche Pflege von kranken Angehörigen zu geben. Dabei sollte Nightingales Leben eigentlich ganz anders verlaufen. Eine Arbeit als Krankenschwester schickte sich nicht für eine vornehme junge Frau im Viktorianischen Zeitalter. Damals galten die dreckigen Krankenhäuser als Orte, in die lediglich Arme kamen – nicht um geheilt zu werden, sondern um dort zu sterben. Wer es sich leisten konnte, ließ sich zu Hause behandeln. Heimlich ließ sie sich nahe Düsseldorf ausbilden, wo Pastor Theodor Flieder ein Krankenhaus und Waisenhaus führte. Dort lernte Nightingale mehr über Medikamente und wie man Wunden behandelte. Sie schaute bei Amputationen zu und kümmerte sich um Kranke wie Sterbende. Nie fühlte sie sich glücklicher: „Jetzt weiß ich, was es heißt, das Leben zu lieben.“Es sollte der Start einer beispiellosen Karriere sein.
Florence Nightingale entstammte der englischen Oberschicht.