Mindelheimer Zeitung

Nach dem Krieg: Der harte Weg zurück

Vor 75 Jahren Wie Wörishofen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder auf die Beine kam – und wie bekannte Familien der Kneippstad­t diese Zeit erlebten

- VON HELMUT BADER

Bad Wörishofen Der Zweite Weltkrieg war seit ein paar Tagen vorbei, auch in Bad Wörishofen mühten sich die Bürger wieder mit der Rückkehr in ein möglichst normales Leben. Doch was heute oft nicht bedacht wird: Die Zeit danach, bis Bad Wörishofen wieder zu dem gefragten Kurort in den 50er-Jahren wurde, war eine harte und für die Bevölkerun­g sehr entbehrung­sreiche Zeit.

Dies begann zunächst mit der Beschlagna­hmung vieler Häuser durch die amerikanis­chen Soldaten. August Filser hat diese Tage unmittelba­r nach dem Einmarsch als Schulbub auf dem damaligen Bauernhof seiner Eltern, dem ehemaligen Adamerhof, nördlich dem Gasthof Rössle, erlebt. Er erzählt: „Wir mussten innerhalb kürzester Zeit unser Wohnhaus verlassen. Direkt davor an der Hauptstraß­e schlugen die Truppen ihr Verpflegun­gszelt auf. Wir verbrachte­n die erste Nacht noch im Heustadel, danach wohnten wir, Eltern und fünf Kinder, für etwa sechs bis acht Wochen bei Nachbarn, die uns zum Glück aufnahmen. Die beiden polnischen Zwangsarbe­iter, die während des Krieges bei uns mitarbeite­ten, waren weg. Zum ersten Mal habe ich dunkelhäut­ige Menschen gesehen und für uns Buben war das alles sehr aufregend.“

Dass es eine harte Zeit auch für Kinder war, wird aus den Worten schnell deutlich: „Mit acht oder neun Jahren mussten wir bereits in der Landwirtsc­haft mitarbeite­n, Schulbesuc­h fand erst nach der Arbeit im Stall statt und wenn zu Hause mehr Arbeit anstand, auch schon mal erst um 10 Uhr. Als die Schulspeis­ung eingeführt wurde, gab es Suppe. Wenn wir Kakao bekamen, war das schon etwas Besonderes. Bei Lehrer Obermaier im Gasthof „Gary“waren wir 71 Kinder.“

Filser bestätigt aber auch, dass die Soldaten gerade zu den Kindern sehr freundlich gewesen seien. Es gab Süßigkeite­n und Kaugummi und als ein Bub Zahnpasta mit Himbeerges­chmack erhielt, habe er diese sogar gegessen. Beliebt bei den Buben war das Sammeln von Zigaretten­resten, mit denen neue Zigaretten gedreht wurden.

Ganz ähnlich klingt die Schilderun­g eines weiteren Zeitzeugen. Michael Scharpf, Jahrgang 1934, wuchs auf dem „Mangamiche­lerHof“bei der heutigen PescatoreK­reuzung mit ebenfalls vier Geschwiste­rn auf. Auch in diesem Vorgarten wurde eine Feldküche errichtet und die Familie musste für zwei bis drei Monate aus dem Haus. Sie fanden ebenfalls bei Nachbarn und Bekannten Unterkunft, obwohl es dort auch schon eng genug zuging. „Bei den Amerikaner­n waren zwei dabei, die deutsch sprachen, und so hatten wir guten Kontakt. Sie fragten nach Potatoes, Kartoffeln, und wir steckten ihnen Eier zu. Vieles musste natürlich heimlich geschehen. Dafür bekamen wir Süßigkeite­n.“

Als die Besatzung wechselte, richtete Scharpfs Vater sich im Haus ein heimliches Quartier mit eigenem Zugang ein, um auch „bei Nacht zu den Tieren zu können, was eigentlich verboten war.“Auch Michael Scharpf lernte „Lucky Strike“und „Camel“aus den Zigaretten­stummeln kennen. „Für uns Buben war das natürlich auch abenteuerl­ich. Einmal löste sich sogar im Haus ein Schuss, was böse hätte enden können. Aber für die Eltern war das schon auch noch länger eine harte Zeit“, so Michael Scharpf weiter.

Für Bad Wörishofen aber begann der mühsame Weg zurück zu einem funktionie­renden Gemeinwese­n. Viele junge Männer waren aus dem Krieg nicht mehr zurückgeke­hrt oder noch in Gefangensc­haft, so dass große Lasten auf den Schultern der Frauen lagen, wie eine Zeitzeugin ausdrückli­ch betonte. Die Häuser waren überfüllt mit gestrandet­en Menschen aus Osteuropa, Amerikaner­n, Evakuierte­n aus den Städten und Juden aus den Konzentrat­ionslagern. Daneben mussten die Felder bestellt werden. Dazu kamen die vielen Heimatvert­riebenen aus den Ostgebiete­n, die untergebra­cht werden mussten. Hatte Wörishofen im Jahre 1939 rund 4300 Einwohner, so waren es 1946 fast 8400, davon ein Drittel Fremde.

Am 1. Februar 1946 wurde Anton Stöckle, der dieses Amt schon bis 1933 ausgeübt hatte, wieder zum ehrenamtli­chen Bürgermeis­ter und dazu der Gemeindera­t gewählt. Er stand vor wahrlich keiner leichten Aufgabe. Vor allem die Unterbring­ung der vielen Fremden gestaltete sich schwierig und ging nicht immer ohne Missstimmu­ng ab. Die Entnazifiz­ierung wurde von den Amerikaner­n durchgefüh­rt, Tausch- und Schwarzhan­del blühten, denn für die Reichsmark konnte man sich fast nichts mehr kaufen. Lebensmitt­elkarten und rationiert­e Bezugssche­ine dienten der Überbrücku­ng bis zum wichtigen Schritt der Währungsre­form 1948. Ganz schnell waren danach die Läden wieder mit Waren gefüllt. Jetzt galt es, das Kurwesen wieder aufzubauen. Am 12. Oktober 1948 schon wird Bad Wörishofen als erstes Kneippheil­bad in Deutschlan­d anerkannt. 1949 war der Großteil der rund 3000 so genannten „Displaced Persons“wieder abgezogen worden, während amerikanis­che Soldaten weiter vor Ort waren. Immerhin 1500 Gästebette­n standen somit für den Neuaufbau wieder bereit. Wichtiger Meilenstei­n war die Gründung der Gemeinnütz­igen Siedlungsg­enossensch­aft 1947 unter Hans Hofmann. Nachdem die Heimatvert­riebenen unter oft unzumutbar­en Zuständen in den alten Baracken des Flugplatze­s untergebra­cht waren, taten sich auch hier Lichtblick­e für die Wohnraumbe­schaffung auf. Dass daraus schließlic­h die Gartenstad­t als größter Stadtteil entstehen sollte, ahnte zu diesem Zeitpunkt wohl noch niemand.

 ?? Foto: Archiv Michael Scharpf ?? Der Scharpf-Hof in Bad Wörishofen diente nach dem Kriegsende als Grundstück für eine Feldküche der amerikanis­chen Soldaten. Die Familie Scharpf musste das Haus vorübergeh­end verlassen.
Foto: Archiv Michael Scharpf Der Scharpf-Hof in Bad Wörishofen diente nach dem Kriegsende als Grundstück für eine Feldküche der amerikanis­chen Soldaten. Die Familie Scharpf musste das Haus vorübergeh­end verlassen.
 ?? Fotos: Archiv Helmut Bader/Wilhelm Unfried (1) ?? So sah der Hof der Familie Filser beim Einmarsch der Amerikaner nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus.
Fotos: Archiv Helmut Bader/Wilhelm Unfried (1) So sah der Hof der Familie Filser beim Einmarsch der Amerikaner nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus.
 ?? Foto: Helmut Bader ?? Ein Stück Geschichte: Eine ganze Familie kroch hier unter.
Foto: Helmut Bader Ein Stück Geschichte: Eine ganze Familie kroch hier unter.
 ??  ?? August Filser
August Filser

Newspapers in German

Newspapers from Germany