Die Folgen sind schlimmer als das Virus selbst
Die Corona-Pandemie fügt vielen afrikanischen Staaten eine schmerzhafte Wunde zu. Mühsam errungene Fortschritte werden zunichtegemacht
Hat das Schicksal vielleicht doch Gnade walten lassen? Kann es sein, dass ausgerechnet Afrika mit seinen überfüllten Elendsvierteln und dem schon zu normalen Zeiten überforderten Gesundheitssystem glimpflich aus dieser die Welt umspannenden Pandemie hervorgeht? Noch ist die Zahl der mit dem Coronavirus Infizierten vergleichsweise gering – zumindest, wenn man auf die offiziellen Zahlen blickt. Tatsächlich dürfte es deutlich mehr Kranke geben zwischen Kap und Rotem Meer. Die Zahl der Testmöglichkeiten ist gering, die Kosten für einen Arztbesuch können sich viele Menschen nicht leisten.
Doch was noch deutlich schwerer wiegt: Die Zahlen täuschen einen Optimismus vor, für den es keinen Grund gibt. Denn wo schon Europa und die USA unter dem Lockdown
stöhnen, da fügt das abrupte Herunterfahren des öffentlichen Lebens den Volkswirtschaften der Entwicklungs- und Schwellenländer eine Wunde zu, die noch lange schmerzen wird. Die Maßnahmen, die Afrika ergriffen hat, sind strikt: Ausgangssperren, Alkoholverbot, geschlossene Grenzen. Doch mehr als jede andere Region auf dieser Erde müssen die afrikanischen Regierungen einen heiklen Spagat vollführen zwischen dem Schutz für Leib und Leben und dem Schutz der Wirtschaft. Reserven, von denen die Länder zehren könnten, sind praktisch nicht vorhanden. Selbst in Südafrika ist die Staatsverschuldung in den vergangenen Jahren geradezu explodiert – die Hoffnung vieler Menschen wie eine Seifenblase zerplatzt. Von staatlichen Wohltaten wie Kurzarbeitergeld oder Kaufprämien können die Menschen in Afrika nur träumen. Überall an den Straßen warten die Tagelöhner auf Arbeit. Doch wer das Haus nicht verlassen darf, hat auch kein Einkommen. Die Isolation wird damit zum schieren Kampf ums Überleben. Selbst
Afrikas Mittelschicht zittert: Jobs fallen weg, Kleinbetriebe müssen schließen, der Tourismus ist lahmgelegt. Dabei waren es jene Menschen, die sich aus eigener Kraft aus der Misere befreit hatten, auf denen die Hoffnung des gesamten Kontinents lag. Mühsam errungene wirtschaftliche Fortschritte werden innerhalb kürzester Zeit zunichtegemacht. Erst wenn die Staaten
es geschafft haben, den eigenen Wirtschaftsmotor selbst zum Laufen zu bringen, werden sie nicht mehr von ausländischen Zahlungen abhängig sein. Die Schäden, die Corona anrichtet, werden daher langfristig sein. Und dramatisch.
Beinahe unbemerkt von der Öffentlichkeit steigt die Zahl der Hungernden seit einigen Jahren wieder an. Allein in Simbabwe leidet die Hälfte der Bevölkerung unter Nahrungsmittel-Knappheit.
Sambia, Lesotho, Mosambik, Malawi, Madagaskar – die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Von den Entwicklungszielen, die sich die Welt gesetzt hat, sind wir weit entfernt: Bis zum Jahr 2030 sollte der Hunger ausgerottet sein. Stattdessen wissen immer mehr Menschen nicht, wo sie die nächste Mahlzeit herbekommen sollen. In Kombination mit der Corona-Pandemie wird das zu einer Zeitbombe.
Das reiche Europa hat allen Grund, die Krise in der Nachbarschaft genau zu beobachten. Wie nervös die eigene Gesellschaft auf anwachsende Flüchtlingsströme reagiert, hat sich spätestens im Jahr 2015 gezeigt. Verschlechtern sich die Lebensbedingungen weiter, könnten erneut Hunderttausende in Richtung Norden aufbrechen. Dass die Stimmung in den afrikanischen Krisenländern immer gereizter wird, muss aber auch die dortige politische Elite sorgen. Das Vertrauen vieler Menschen in den maroden Staat ist beschädigt, Proteste flammen auf, die schnell zum Flächenbrand ausarten können. Ein gefährlicher Teufelskreis.
Die Isolation wird zum Kampf ums Überleben