„Und jetzt plötzlich: Nichts stimmt mehr“
Buchmarkt Zwei schnelle Werke zur Corona-Krise stehen derzeit auf der Bestsellerliste: „Trotzdem“von Schirach und Kluge – „Dann bleiben wir eben zu Hause“von der Online-Omi
Am 30. März rief der Schriftsteller Ferdinand von Schirach beim Autor und Filmemacher Alexander Kluge an. Ob man sich bitte doch mal über Skype unterhalten könne? Das machten sie dann. Ein langes Gespräch, einmal durch eine Pause unterbrochen, und das Gespräch begann an diesem Vormittag so, wie in dieser Zeit viele Gespräche begannen. Erst einmal versuchen, das Unfassbare ein wenig fassbar machen. Wuhan also, war es ein Schuppentier oder eine Fledermaus?…Am Nachmittag aber war man dann schon bei Voltaire, Rousseau, Locke und Hobbes sowie der Frage angelangt, ob nicht genau jetzt der richtige Zeitpunkt für einen großen Wurf, nämlich eine europäische Verfassung gekommen wäre.
Als sich von Schirach und Kluge über das Virus und die Welt unterhielten, da hatte Renate Bergmann schon längst beim Ullstein-Verlag angerufen. Nicht um über ihr nächstes Buch zu sprechen. Da geht es um Campen und Geranien am Vorzelt, es erscheint Ende Juni, sondern um zu sagen, dass sie jetzt mit dem Schreiben eines anderen beginnen werde. Eines über die Krise nämlich. Und wie man das bisschen Quarantäne aushält.
Vermutlich hat Renate Bergmann ein wenig länger an diesem Buch geschrieben als von Schirach und Kluge miteinander gesprochen haben, der Erfolg beider Bücher war der gleiche: Platz eins der Bestsellerliste. „Trotzdem“heißt das kleine, im Handgrößenformat erschienene Buch der beiden Männer, das die Sachbuchliste anführt. „Dann bleiben wir eben zu Hause“ist der Titel des Buchs von Bergmann, nun wieder verdrängt vom Spitzenplatz durch den Fortsetzungsband in der „Tribute von Panem“-Reihe und Donna Leons neuen Venedig-Krimi.
Unwahrscheinlich, dass die Schnittmenge der Leser besonders groß ist. Ob also der Leser des Dialogs zwischen den zwei Juristen auch schon einmal in die sehr erfolgreiche Reihe über die Online-Omi Bergmann reingeschaut hat. Bergmann, das muss man an dieser Stelle daher zur Sicherheit sagen, ist weder Omi noch Frau und auch nicht vier Mal verwitwet. Dahinter verbirgt sich Thorsten Rohde, etwa halb so alt wie seine Titelfigur, eigentlich ein Controller, dessen Erfolg als Autor mit einem Spaß begann: nämlich dem ersten Tweet seiner Online-Omi vor mittlerweile sieben Jahren. „Guten Tag. Ich heiße Renate Bergmann und bin neu hier. Ich suche nette Damen oder Herren für gemeinsame Unternehmungen. Bitte schreiben Sie.“Der Legende nach ging er dann schlafen und als er am nächsten Tag auf den neuen Account schaute, da hatte die Omi schon hunderte Follower … Da twitterte Rohde als Renate Bergmann weiter, die Follower-Zahlen stiegen in den sechsstelligen Bereich, 13 Bücher sind mittlerweile auf dem Markt, das Neueste in einer Startauflage von 25000. Aber bereits eine Woche nach Erscheinen druckte man bei Ullstein die vierte Auflage.
Drei Männer also, die auf die Schnelle Lektüre zur Krise vorlegen: die eine ein hochgeistiges Gespräch zwischen zwei Stars, die andere lustig-treffendes Gedöns vom Erfolgs-Omifanten. Dass beide Momentaufnahmen nun oben auf den Bestsellerlisten stehen, liegt natürlich an der beiderseitig großen Fangemeinde. Aber wohl auch am Bedürfnis, sich mit der Krise nicht nur durch Zeitungslektüre, Nachrichtensendungen und Gespräche mit Familie und Freunden auseinanderzusetzen.
Wer Bergmann liest, bekommt auf 80 Seiten Alltag gespiegelt: Dass die erwachsenen Kinder plötzlich Kontrollanrufe machen und die Omi unter Hausarrest stellen wollen. Dass die Alten den Geburtstagskaffee aber ohnehin abgesagt haben, weil Polonaise mit anderthalb Meter Abstand keinen Spaß macht. Wie sehr sie die Sache mit dem Klopapier (das auch auf dem Titelbild prangt) wundert. „Was kaufen die Leute dann, wenn mal eine Durchfallepidemie kommt? Hustenbonbons?“Wer mal Trümmerfrau war, weiß die Dinge einzuordnen und worauf es wirklich ankommt: Wie man zum Beispiel Nudeln selber macht. Die Vorteile von Rührkuchen. Was in eine ordentlich gefüllte Speisekammer gehört. „Ich war doch nicht umsonst auf der Bräuteschule und habe Stäbchenmaschen gelernt!“Trockener Humor und immer bereit einen Spruch herauszuhauen, das lieben die Fans an ihrer Omi. Und wann, wenn nicht in der Krise wünscht man sich genau so eine, die einem das Knie tätschelt und vielleicht sagt: „Wird schon wieder mein Kind. Die Menschheit hat schon ganz anderes durchgestanden.“
Nämlich Pest, spanische Grippe … da ist man jetzt aber natürlich bei von Schirach und Kluge, ebenfalls Lektüre, die mit 78 Seiten exakt einen coronaverlangsamten Nachmittag füllt. Wobei es weniger ein Lesen als ein Zuhören ist. Wie sich zwei kluge Männer über Politik und Grundrechte unterhalten, über Freiheit und Sicherheit, über die Entwicklung des modernen Staates, sich die Gedanken zuspielen, aber dabei das gleiche Thema einzufangen versuchen. „Und jetzt plötzlich: Nichts stimmt mehr“, sagt von Schirach: „Das, was wir für den sicheren Grund hielten, ist weggebrochen.“
Zwei Geschichts- und Geschichtenerzähler, die Jahreszahlen, historische Ereignisse und philosophische Thesen so lässig miteinander jonglieren, dass man als Leser großäugig dem Wirbeln folgt. Die eben noch über die Triage sprachen, also die dramatische Auswahl der Ärzte, welcher Patient mit der Lungenmaschine gerettet werden soll, um dann wenige Seiten später bei den Grundrechten anzukommen und sich über den Machtkampf zwischen Gregor VII. und Heinrich IV. im 11. Jahrhundert zu unterhalten. Von Schirach ist derjenige, der dem Gespräch immer wieder Bodenhaftung gibt, in dem er vom Einzelfall, manchmal auch Anekdotischem, ins Allgemeine geht. Kluge ist der intellektuelle Luftgeist, der die Gedanken aufgreift, erweitert, nachhakt, ins Essenzielle treibt und zwischendurch ganz simpel fragt: „Was halten Sie davon, wenn der französische Präsident Macron sagt: ,Wir sind im Krieg.‘“Von Schirach: „Das sind wir nicht…“Aber in einem Ausnahmezustand. Der aber dürfe nicht zu lange dauern, sich die autoritären Strukturen nicht verfestigen. „Erosionen sind langsame Abtragungen, keine plötzlichen Ereignisse.“
Am Höhepunkt dieses klugen, manchmal wilden Kreisens steht die Utopie: Eine europäische Verfassung, die den Anspruch des Menschen auf eine intakte Umwelt festschreibt. Das Zurücktreten von wirtschaftlichen Interessen hinter den universalen Menschenrechten. „Würden wir damit nicht späteren Generationen etwas Strahlendes und Glückliches hinterlassen?“, fragt von Schirach am Ende des Gesprächs, das vielleicht nur der Anfang eines weiteren sein wird…
Noch nämlich dauert ja die Krise. Auch wenn die Online-Omi jetzt bald Campen geht. Und Ferdinand von Schirach ein wenig von seinem Alltag zurückbekommt: im Café sitzen, Frühstücken. Er esse nie zu Hause, verrät er. Jetzt habe er zum ersten Mal versucht, Eier zu kochen. Ein Desaster, unter den Herdplatten waren noch die Transportsicherungen aus Plastik, wie der Mann vom Reparaturservice später feststellte. „Ich hatte tatsächlich noch nie eine der Platten eingeschaltet.“Falls es von Schirach dennoch wieder versucht, ein paar ganz einfache Rezepte hätte die Online-Omi parat. Arme Ritter zum Beispiel. „Da muss man das alte Brot nicht den Enten geben, wo wir doch sowieso nicht rausdürfen…“
» Ferdinand von Schirach, Alexander Kluge: Trotzdem. Luchterhand, 78 Seiten, 8 Euro.
» Renate Bergmann: Dann bleiben wir eben zu Hause. Ullstein, 80 Seiten, 8 Euro.