Mindelheimer Zeitung

Schüller schrieb Geschichte

Die erste Frau, die den olympische­n Eid sprach, wird 70

-

Köln Heidi Schüller stand an jenem

26. August 1972 im gelben Blazer und Faltenrock auf einer Bühne im Münchner Olympiasta­dion – und die ganze Sportwelt schaute zu. „Im Namen aller Wettkämpfe­r gelobe ich, dass wir im fairen Wettstreit an den Olympische­n Spielen teilnehmen“, sprach sie auf Deutsch, Französisc­h und Englisch. Heute sagt die frühere Leichtathl­etin: „Ich bin da so reingestol­pert.“

Als erste Frau überhaupt sprach Heidi Schüller bei den Sommerspie­len damals den olympische­n Eid. Am Montag feiert sie in Köln ihren

70. Geburtstag. Mit dem Spitzenspo­rt und seinen Funktionär­en hat sie längst abgeschlos­sen. Das Foto von der Eröffnungs­feier der bis zum Anschlag auf die israelisch­en Sportler so fröhlichen Spiele weckt bis heute „gute Gefühle“, wie Heidi Schüller lächelnd sagt. „Vor allem bei älteren Herren. Für meine Generation ist das ein schönes Bild.“Und es begleitete sie ihr Leben lang. Doch Heidi Schüller hatte nach ihrem großen Auftritt keine Lust, sich als „Miss Olympia“herumreich­en zu lassen. Im Weitsprung belegte sie – an Heide Rosendahls Gold-Tag – den fünften Platz. Die Weite, 6,51 Meter waren es, wisse sie heute gar nicht mehr.

Danach verabschie­dete sich die gebürtige Passauerin aus dem Leistungss­port. Mit 22 Jahren. „Die Leichtathl­etik war damals eine schöne Nebensache. Ich habe das nicht so ernst genommen. Olympia war eine Momentaufn­ahme.“Schon vor den Spielen hatte die Medizinstu­dentin ihr Physikum abgelegt. Heidi Schüller machte Karriere als Ärztin und Gesundheit­sexpertin und gehörte 1994 zum Schattenka­binett von Kanzlerkan­didat Rudolf Scharping (SPD). Auch als Fernsehmod­eratorin

(„3 nach 9“, „Talk im Turm“) trat sie auf. Heute lebt die zweifache Mutter und Rentnerin „einfach drauflos“.

Etwas eingeschrä­nkt durch ein paar sportbedin­gte Gebrechen, wie sie sagt. Heidi Schüller hat den Spitzenspo­rt mit all seinen Auswüchsen immer wieder kritisiert und ging als streitbare­r Geist auch so manchem auf die Nerven. Ob sich an der Doping-Situation etwas verbessert habe in den vergangene­n Jahren? „Das würde mich doch sehr wundern. Die Leistungse­xplosion ist doch gigantisch.“Mit dem Internatio­nalen Olympische­n Komitee (IOC) liegt sie bis heute „völlig über Kreuz“. Das gilt auch für dessen Präsidente­n Thomas Bach. „Er hat sich blamiert beim Versuch, die Athleten in der Corona-Krise nach Tokio jagen zu wollen. Zum Glück haben sie sich gewehrt“, sagt sie mit Blick auf die spät verschoben­en Sommerspie­le. Die Skandale beim Fußball-Weltverban­d FIFA und beim Leichtathl­etik-Weltverban­d World Athletics haben Heidi Schüller zur Erkenntnis gebracht: „Die ganzen Großorgani­sationen siechen ihrem Ende entgegen.“„In der Summe sind wir eine überaltert­e Gesellscha­ft, die sich über ihr Sozialsyst­em Gedanken machen muss“, sagt sie vor ihrem 70. Und wie sie selbst mit ihrem Alter umgeht? „Ich habe ein reiches, erfülltes Leben gehabt. Ich muss nicht hundert werden“, sagt Heidi Schüller.

 ?? Foto: dpa ?? „Ich bin da so reingestol­pert“, sagt Heidi Schüller.
Foto: dpa „Ich bin da so reingestol­pert“, sagt Heidi Schüller.

Newspapers in German

Newspapers from Germany